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Angeblich war er ja beleidigt, weil er so wenig Redezeit hatte. Deshalb habe der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan empört die Talkrunde auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos verlassen, hieß es. Inzwischen hat man noch mal nachgezählt und kommt bei Simon Peres auf 20 Minuten, bei Erdogan auf 16 Minuten plus drei Minuten Nachschlag, macht 19 Minuten. Insgesamt waren, bevor Peres das Wort erhielt, durch Erdogan, den Generalsekretär der Arabischen Liga, Amru Mussa, und den Uno-Generalsekretär, Ban Ki Moon, bereits fast 40 Minuten Israel-Kritik zu hören gewesen.
Es ging also wohl nicht nur um Redezeit. Zumal Erdogan bereits in einem Interview mit der Washington Post, das zwar nach dem »Eklat« von Davos veröffentlicht, aber bereits vorher geführt worden war, schon sehr heftig mit Israel ins Gericht gegangen war. Erdogan, der im eigenen Land mit aller Härte gegen die PKK vorgehen lässt, forderte gar, die Hamas nicht als Terrororganisation einzustufen. Dass er in Davos Israel drohte: »Allahs Strafe wird über Israel kommen«, freute dann nicht nur das Regime im Iran – ein Ayatollah schlug ihn gar für den Friedensnobelpreis vor –, sondern auch eine überraschend große Öffentlichkeit in der Türkei. Die anti-israelischen Demonstrationen während des Gaza-Krieges waren riesig, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in der Türkei erklärte, das Land erlebe derzeit eine noch nie dagewesene anti-jüdische Stimmung.
Das ist bemerkenswert, weil die Verbindungen zwischen Israel und der Türkei, nicht nur zwischen den Militärapparaten, bisher als ausgesprochen gut galten, auch, weil die Türkei eines der beliebtesten Urlaubsländer für Israelis ist. Und auch deshalb, weil Erdogan seine Vermittlerrolle zwischen muslimischer Welt und Israel bewusst aufs Spiel gesetzt hat. Die wachsende anti-israelische und insgesamt antiwestliche Stimmung in der Bevölkerung für sich zu nutzen und weiter aufzuheizen, war ihm wichtiger als seine bisher starke Position in der Welt-Nah-Ost-Politik.