Ein Rückblick auf die Konjunkturprogramme der jüngeren Geschichte

Doping oder Placebo?

Die Finanz- und Wirtschaftskrise habe bereits »historische« Konjunkturmaßnahmen nach sich gezogen, heißt es. Aber das wird leicht gesagt. Ein Rückblick auf die Konjunk­turprogramme der jüngeren Geschichte.

Ein Konjunkturprogramm besteht aus vom Staat getätigten oder veranlassten Ausgaben, mit denen entweder eine Rezession vermieden, gedämpft oder überwunden werden oder ein zu schwacher Aufschwung verstetigt werden soll. Verwandt, aber nicht identisch damit sind Aufwendungen der Öffentlichen Hände, die zu außer­ökonomischen Zwecken erfolgen, aber dennoch Auswirkungen auf die Konjunktur haben. Eine Extremform ist der Krieg: Geld spielt für den Staat da keine Rolle. Er leiht es, und die Wirtschaft brummt.
Manchmal verbinden sich diese beiden Formen öffentlicher Aufwendungen. So war es in Deutsch­land während der so genannten goldenen zwanziger Jahre, die in Wirklichkeit aber nur von 1924 bis 1928 dauerten. Nach dem Ende der Inflation 1923 war das neue Geld knapp, es hätte zu einer Liquiditätsklemme kommen können und damit zu einer Krise. Doch die Städte und Gemeinden investierten. Sie bauten Schwimmbäder, Schulen, Straßen und kommunale Wohnungen. Für die Unternehmen schuf das die dringend benötigte Nachfrage. Es handelte sich also um ein Konjunk­turprogramm, nur gab es das Wort noch nicht.
Das Geld wurde übrigens gepumpt, und zwar auf dem US-amerikanischen Kapitalmarkt. Auf dem Binnenmarkt der Vereinigten Staaten konnten die Erzeugnisse der hochproduktiven Industrie nicht vollständig abgesetzt werden, unter anderem weil die Kaufkraft der Farmer und der durch Rationalisierungen bedrohten Fabrikarbeiter zu schwach war. Die Kapitalüberschüsse gingen als Anleihen nach Deutschland. Fast jeder Oberbürgermeister, der etwas auf sich hielt, machte damals seine Amerika-Reise.

Spätestens in der Weltwirtschaftskrise 1929 war Schluss damit. In den USA platzte die Anleihen- und Aktienblase. Die Regierung hielt sich zunächst heraus, man meinte, die Krise werde sich von allein bereinigen.
Der britische Ökonom John Maynard Keynes aber war davon überzeugt, dass es sich nicht um eine zyklische, sondern um eine strukturelle Krise handele. Die Wirtschaft befinde sich in der so genannten Liquiditätsfalle – wer viel Geld hatte, hielt es fest, aus Furcht, es in den unsicheren Zeiten bei Investitionen zu verlieren. Keynes’ Rezept lautete: Den Geldvermögensbesitzern müsse die Freude an ihrem Eigentum durch niedrige Verzinsung ausgetrieben werden. Dies erlaube zu­gleich dem Staat, sich günstig zu verschulden und zu investieren. Außerdem müssten die Einkommen der Unterschichten gehoben werden, denn diese seien – anders als die Reichen – genö­tigt, das zusätzliche Geld gleich wieder auszugeben und damit die Konjunktur zu beleben.
So handelte ab 1933 der neue US-Präsident Frank­lin D. Roosevelt. Ob er unmittelbar von Keynes inspiriert war, ist nicht sicher. Dessen »Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes« erschien erst 1936, und da war die US-Wirtschaft schon aus dem Gröbsten heraus. Aber nur aus dem Gröbsten. Vollbeschäftigung konnte Roosevelt in den gesamten dreißiger Jahren nicht herstellen, das gelang erst mit dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg.

Es gab noch einen anderen Prä-Keynesianer: Hitler. Sein Vierjahresplan von 1936 hatte das au­ßer­­­ökonomische Ziel der Kriegsvorbereitung und war zugleich ein Konjunkturprogramm. Auch in diesem Fall konnte erst durch Rüstung wieder Vollbeschäftigung hergestellt werden.
Ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Über­windung der Weltwirtschaftskrise lässt sich nicht beweisen. Ihr Ende wird allgemein auf das Jahr 1933 datiert – also noch bevor Hitler und Roosevelt ihre Konjunkturprogramme starteten. Im Zweiten Weltkrieg waren dann beide ihre ökonomischen Sorgen los.
Als Konjunkturprogramm kann auch der 1947 verkündete Marshall-Plan gelten. 13,1 Milliarden US-Dollar (»Wikipedia« belehrt uns, dass die Summe ca. 75 Milliarden Euro des Jahres 2007 entsprach) sollten eine Liquiditätsklemme in Mittel- und Westeuropa sowie einen Auftragsausfall für die Wirtschaft der Vereinigten Staaten nach dem Ende der unmittelbaren Kriegsproduktion verhindern. Allgemein wird heutzutage bezweifelt, dass diese Mittel die Ursache für den bald einsetzenden Daueraufschwung des westeuropäischen Wirtschaftswunders gewesen seien. Der ungarische Ökonom Ferenc Jánossy zum Beispiel nimmt an, dass sich ohnehin ökonomische Potenziale entfaltet hätten, die sich in den vorangegangenen Krisenjahrzehnten aufgestaut hatten.
In der Bundesrepublik funktionierte das aber nicht gleich. Als im Winter 1949/50 die Arbeitslosenzahlen stiegen, drängten die Westalliierten den störrischen Wirtschaftsminister Ludwig Erhard (CDU), ein Konjunkturprogramm aufzulegen. Das widersprach seinen marktliberalen Grund­sätzen, und er gab nur halbherzig nach. Ein kleines Konjunkturprogramm, das so zustande kam, sollte schwachen Regionen wie Niedersachsen, Nordhessen und Ostbayern aufhelfen. Als es nicht sofort wirkte, verlangten die Westalliierten ein zweites Programm, das der Korea-Krieg schließ­lich überflüssig machte. Die US-amerikanische Industrie konzentrierte sich auf die Rüstungspro­duktion, und die westdeutsche Industrie konnte zivile Güter exportieren. Wieder einmal vermochte niemand zu sagen, ob das Konjunkturprogramm etwas gebracht hatte.

Unter der ersten Großen Koalition legte der dama­lige Wirtschaftsminister Karl Schiller 1967 zwei Programme auf. Ob sie die Ursache dafür waren, dass ein Jahr später die Konjunktur wieder ansprang, ist ebenfalls nach wie vor umstritten.
Nachdem 1975 nahezu in der gesamten kapitalistischen Welt eine neue Krise ausgebrochen war, fürchteten die Wirtschaftsredakteure der FAZ alljährlich die Großen Ferien. Denn immer wenn der Kanzler Helmut Schmidt aus seinem Urlaub am Brahmsee zurückkam, brachte er Ideen für ein Konjunkturprogramm mit. Relativ wirksam war ein sogar auch auf regionale und ökologische Infrastruktur gerichtetes »Zukunftsinvestitionsprogramm«, das zwischen 1977 und 1982 ca. 300 000 neue Jobs brachte. Auf die nächste Krise, 1982, reagierte die Regierung Kohl u.a. mit Investitionsmaßnahmen. Der Forschungsminister Heinz Riesenhuber brachte ein milliardenschweres Programm zur Förderung der Informations­technologie auf den Weg, und der Postminister Christian Schwarz-Schilling trieb die Ausstattung der Bundesrepublik mit Breitbandkabeln für die audiovisuelle Kommunikation im lokalen und re­gionalen Bereich voran. Offiziell waren das keine Konjunkturprogramme, es ging um den Aufbau der Infrastruktur. Aber es waren doch nachfragewirksame Investitionen.
In den folgenden beiden Jahrzehnten blieb der Begriff »Konjunkturprogramm« tabu, aber der Sache nach gab es dennoch eins: Die Wirtschaftskrise, in die andere kapitalistische Staaten 1990 gerieten, wurde in Deutschland drei Jahre hinaus­geschoben. Der Grund dafür waren die staatlichen Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Anschluss der DDR an die BRD.
Unter den christdemokratisch-liberalen Regierungen jener Zeit gab es insofern einen Zwiespalt zwischen Reden und Handeln, als Konjunkturprogramme offiziell verpönt waren, in Wirklichkeit aber praktiziert wurden. Die rot-grüne Ko­alition dagegen stellte eine Einheit zwischen Wort und Untätigkeit her – freie Bahn dem Markt, keine Konjunkturprogramme. Anders als Kohl 1993 kam die Regierung Schröder mit der Wirtschaftskrise nach dem Abschwung von 2001 nicht zurecht und verwaltete bis zu ihrer Abwahl eine Dauerstagnation.
Die zweite Große Koalition nahm Anfang 2006 Umgruppierungen im Haushalt vor, welche von der SPD als »Konjunkturpaket« verkauft wurden und zu denen die CDU-Kanzlerin höflich schwieg. Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise sind Konjunk­turprogramme plötzlich wieder offiziell erlaubt, ja sogar geboten. Was die riesigen Aufwendungen für Banken und Autoindustrie angeht, so handelt es sich allerdings um Mogelpackungen. Das sind keine Konjunkturprogramme, sondern Subventionen. Und wo tatsächlich investiert wird, konserviert man, weil es schnell gehen muss, im Wesentlichen bereits bestehende Strukturen. So zum Beispiel die Bauindustrie.
Irgendwann, wenn die Krise vorbei ist, wird man sich in Dissertationen darüber streiten, ob die »Pakete« etwas gebracht haben oder nicht. Manche Wissenschaftler werden sagen, dass es sich um erfolgreiches Doping handelte, die anderen werden von einem Placebo sprechen. Aber auch Placebos können bekanntlich wirken, falls man fest genug daran glaubt.

Gewinner und Verlierer ließen sich in der Geschichte bisher so orten: Die Staatsschulden, mit denen die »Pakete« finanziert wurden, kamen letztlich wieder den Geldvermögensbesitzern zugute, denn sie waren ja die Gläubiger und strichen die Zinsen ein. Wurde Infrastruktur dauerhaft über Kredite finanziert, so belastete dies keineswegs die nächsten Generationen, denn diese konnten ja den Gegenwert der Schulden nutzen. In Extremfällen allerdings wurde die Währung ruiniert, nämlich aufgrund der beiden größten Konjunkturprogramme der deutschen Geschichte: der zwei Weltkriege. Die nachfolgenden Währungsreformen ruinierten die Sparguthaben.
Was würde Keynes zu alledem sagen? Vielleicht nichts, denn er war nicht sehr rechthaberisch. Mag sein, er verwiese darauf, dass gegenwärtig ei­ne Ressource nicht genutzt wird, die er für wichtig hielt. Durch eine Abschöpfung der großen Ver­mögen und eine Anhebung der niedrigen Einkommen könne die Konjunktur belebt und ge­stützt werden. So weit dies über die Löhne und ihre so genannten Nebenkosten sowie den Sozialtransfer geschieht, widerspricht das den Reflexen eines Exportweltmeisters, der sein Glück immer noch vor allem draußen sucht. Deshalb spürt man auch in der jetzigen Krise kaum etwas davon.