Die neuen Parteien der französischen Linken

Hurra, hurra, die Partei ist da!

Frankreichs Linke befindet sich im Umbruch. Nach der Gründung des Nouveau Parti Anticapitaliste (NPA) und des französischen Pendants zur deutschen Linkspartei Anfang Februar wird vor allem über eine gemeinsamen Liste bei den Wahlen zum Europa-Parlament und eine mögliche Regierungsbeteiligung diskutiert.

Wie links ist sie wirklich, die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) des smarten Olivier Besancenot? Dass darüber die Meinungen auseinander gehen, versteht sich von selbst.
Der junge Postbedienstete und studierte Historiker Besancenot, der in wenigen Wochen 35 Jahre alt wird und bereits zweimal als Präsidentschafts­kandidat antrat, versteht sich als »Kandidat für die Revolution«, wie er neulich im Chat mit den Lesern der Online-Zeitung Rue89 formulierte, den­noch musste er sich sagen lassen, seine Partei sei nicht radikal genug.
Die Anführer des NPA seien »nicht auf der Höhe der Anforderungen der Zeit«, kommentierte beispielsweise die Redaktion der Rue89, die von früheren Redakteuren der linksliberalen Zeitung Libération gegründet wurde. Zu defensiv seien ihnen die Bezeichnungen »neu« und »antikapitalistisch«. Hinter dieser grundsätzlichen Kritik steht die Vorstellung der Redaktion der Rue89, den Kapitalismus, den gebe es doch eigentlich schon fast gar nicht mehr. Historisch zu spät komme also der NPA mit seinem Antikapitalismus. Durch die Verwerfungen der Finanz- und Wirtschaftskrise sei der Kapitalismus quasi bereits ad acta gelegt, längst seien die Alternativen am Durchbrechen, wird argumentiert. Doch die Vorstellung, dass das globale Wirtschaftssystem sich grundlegend geändert hätte, bloß weil ein paar Banken verstaatlicht werden – um dem System in Krisenzeiten das Weiterfunktionieren zu ermöglichen –, dürfte sich jedenfalls schnell als Irrglaube erweisen.

»Jetzt sollten sie lieber mithelfen, nach dem Sturm das Dach zu reparieren«, hält die Rue89 unterdessen Besancenot und seinen Anhängern entgegen. Und das soll bedeuten: Nun sollen sie mal in die Regierung gehen, um dort die Folgen der Krise zu verwalten. Genau davon aber versprechen sich Olivier Besancenot und die Mitbegründer des NPA nicht viel. Nicht, dass sie kein politisches und soziales Programm hätten. Die neue Par­tei verfügt über ein Sofortprogramm, in dem »Dringlichkeitsmaßnahmen« gefordert werden. Etwa die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 1 500 Euro netto, die Stärkung der öffentlichen Dienste etwa im Bereich von Bildung und Gesundheit statt ihrer Privatisierung, den Aus­stieg aus der Nutzung der Atomenergie und die Beendigung des französischen Neokolonialismus in Afrika.
Gleichzeitig aber erhoffen sie sich im Sinne dieser Dringlichkeitsforderungen mehr Ergebnisse von der Teilnahme an sozialen Kämpfen als von einer Regierungsbeteiligung. Das unterscheidet diese Partei der radikalen Linken auch erheblich von einer anderen Linksformation, die am selben Wochenende gegründet wurde, dem Parti de Gauche (PG) unter Anführung des Abgeordneten Jean-Luc Mélenchon.
Nicht nur der Name bedeutet »Linkspartei«, auch sonst lehnt sich die neue Kraft unter Mélenchon – die in ihrer öffentlichen Darstellung tatsächlich stark auf die Person des Parlamentariers zugeschnitten ist – in erheblichem Ausmaß an deutsche Vorbilder an. Nicht zufällig nahm Oskar Lafontaine auch als einer der Stargäste am Gründungskongress des PG Anfang Februar teil.
Aber anders als in Deutschland sind in Frankreich radikale Linkskräfte jenseits der Sozialdemo­kratie – die nicht auf Regierungsbeteiligung setzen und auch bei Wahlen erfolgreich waren – kein Novum in der Parteienlandschaft. Dazu gehörte seit 2002 unter anderem auch die trotzkistische undogmatische LCR (Ligue Communiste Révolutionnaire). Sie beschloss des vergangenen Jahres vor dem Hintergrund verbesserter Wahlergebnisse – bei gleichzeitiger Verankerung in sozialen Kämpfen –, sich zugunsten der Bildung einer breiteren Partei der radikalen Linken aufzulösen, des NPA eben. In ihm sollen nicht nur Per­sonen, die sich auf den Trotzkismus beziehen, ihren Platz haben, sondern auch libertäre Kommunisten, radikale Gewerkschafterinnen oder frühere KP-Anhänger. Hatte die LCR zuvor rund 3 000 Mitglieder, so waren beim Gründungskongress des NPA etwa 9 000 Menschen in der neuen Partei organisiert.
Nun stellt sich die Frage einer eventuellen Zusammenarbeit mit der anderen Linkskraft, die zur selben Zeit gegründet worden ist. Linkspartei und KP hatten zunächst die Bildung einer gemeinsamen Liste mit dem NPA zu den Wahlen zum Europa-Parlament im Juni angestrebt. Doch die neue Partei von Olivier Besancenot stellte dafür auf ihrem Gründungskongress Bedingungen, die eine Einigung auf gemeinsame Listen erheblich erschweren werden. Der NPA fordert nämlich, es müsse »erst eine Einheit in den sozialen Kämpfen« geben, bevor man an eine gemeinsame Liste denken könne. Und falls man gemeinsam Sitze im Europa-Parlament besetze, dann müsse es auch eine Zusammenarbeit über den Wahltag hinaus geben. Dadurch will der NPA verhindern, dass Teile einer gemeinsamen Fraktion sich alsbald als Minister in einer möglichen künftigen sozialdemokratischen Regierung wiederfinden, während man selbst eine Regierungsbeteiligung ablehnt. Die KP und die Linkspartei Mélenchons werden diese Forderungen wohl ablehnen. Beide zusammen liegen in den Umfragen allerdings deut­lich hinter dem NPA.
Auf die Dauer wird sich auch die Frage nach den strategischen Zielen stellen, während beide Kräfte bei sozialen Forderungen und in den Demonstrationen derzeit durchaus an einem Strang ziehen. Mélenchon baut dabei längerfristig auf eine Rückkehr der staatlichen Politik zu »echter« sozialdemokratischer Politik, die von der Sozialistischen Partei zugunsten einer Akzeptanz der wirtschaftsliberalen »Sachzwänge« aufgegeben worden sei. Gleichzeitig setzt sich Mélenchon seit längerem für protektionistische Maßnahmen auf EU-Ebene ein. Darin erblickt er eine notwendige Voraussetzung, um politische Handlungsspielräume innerhalb der Union gegenüber dem »freien Spiel der Marktkräfte« behaupten zu können.
Protektionismus lehnt der NPA hingegen ab und setzt stattdessen auf eine Internationalisierung der Klassenkämpfe, während er im Protektionismus eine Gefahr der Zunahme zwischenstaatlicher Konflikte sieht. Die Partei vertritt die Auffassung, die Lohnabhängigen in China ebenso wie in Europa sollten dafür sorgen, dass ein Kräfteverhältnis geschaffen wird, in dem die jeweils Herrschenden nicht »die Kosten der Krise auf ihren Rücken abwälzen« können.