Interview mit Detlev von Larcher über Attac und das Ende des Kapitalismus

»Viele denken, wir hätten Grund zur Freude«

Detlev von Larcher gehörte von 1990 bis 2002 zum linken Flügel der SPD-Bun­des­tags­fraktion. 2008 wurde er aus der SPD ausgeschlossen, weil er dazu aufgerufen hatte, die Partei »Die Linke« zu wählen. Bereits 2000 trat von Larcher Attac bei, seit 2005 gehört er dem bundesweiten Koordinierungskreis des globalisierungskritischen Netzwerkes an.

Sie sind maßgeblich an der Organisation des am Wochenende stattfindenden Attac-Kongresses »Ende des Kapitalismus?« beteiligt. Was erhoffen Sie sich von diesem Kongress?

Ich erhoffe mir eine offene Diskussion von unter­schiedlichen Standpunkten von unterschiedlichen Wissenschaftlern und verschiedenen politisch interessierten Menschen mit unterschiedlichen persönlichen Erfahrungen in der gegenwärtigen Krise. Nachdem der finanzmarktgesteu­erte Kapitalismus regelrecht in sich zusammengebrochen ist, geht es jetzt um die Analyse der derzeitigen Krise und deren Ursachen, aber auch darum, mögliche Alternativen zu diskutieren.

Attac tritt für Regulierung des »internationalen Finanzmarktkapitalismus« ein. Obama, Sarkozy und auch Merkel machen das mittlerweile. Wenn die Forderungen von Attac im internationalen Mainstream angekommen sind, ist dann alles auf bestem Wege?

Nein, natürlich nicht. Man muss schon genauer hinsehen und unterscheiden, welche Positionen Attac vertritt und was nun seitens der Politik gefordert wird. Zwar sollen nun, wie Attac immer gefordert hat, etwa Steueroasen geschlossen werden, aber was davon und wie dies dann umgesetzt wird, ist noch einmal eine ganz andere Frage. Verbal mag es zunehmend Ähnlichkeiten geben, die tatsächliche Politik ist von dem, was Attac fordert, denkbar weit entfernt. Viele denken, wir hätten Grund zur Freude, weil sich heute unsere Kritik an der Deregulierung des Finanzmarkts bestätigt und unsere Forderungen zum Teil aufgegriffen werden. Grund zum Jubeln ist das angesichts der derzeitigen Situation allerdings nicht.

Müsste Attac angesichts der protektionistischen Bemühungen vieler Nationalstaaten nicht längst eine Bewegung für Globalisierung sein?

Attac hat sich nie als Antiglobalisierungsbewegung verstanden, sondern als globalisierungs­kritische Bewegung, die nicht die Globalisierung an sich, sondern die Art und Weise der Globalisierung kritisiert und ihre ungerechten Folgen. Wir treten für internationale Kooperation, für eine gerechte und soziale Globalisierung im Interesse der Menschen und nicht im Interesse des Profits ein. Die »andere Welt« der Sozialforumsbewegung muss ein Leben aller Menschen auf der Erde ohne soziale Not und in Würde möglich machen und die natürlichen Lebensgrundlagen auf unserer Erde erhalten.

Das Motto des Kongresses »Ende des Kapitalismus?« scheint anzudeuten, nun komme etwas anderes. Wie sehen die von Attac präferierten Alternativen zum Kapitalismus denn aus?

Das Fragezeichen im Titel nehmen wir ernst. Für uns ist die Antwort auf die Frage offen, außerdem: Attac ist ein breites Netzwerk, und ein einheitliches Modell für eine Alternative zum jetzigen System gibt es nicht. Es gibt aber Ideen oder Prinzipien, in welcher Gesellschaft wir leben wollen, und damit auch einen Konsens. Die Wege dazu sollen auf dem Kongress von unterschiedlichen Standpunkten aus diskutiert werden. Auch nach dem Kongress wird es nicht das Modell oder den Königsweg geben, aber die Sicht auf kon­krete Alternativen wird klarer werden.

An den Reaktionen Attacs auf die Finanzmarkt­krise gibt es auch interne Kritik. Die Attac Gruppe Campus Bochum etwa kritisiert, dass Attac an die Stelle von Analysen simple Schuld­zuweisungen stelle. »Die Beschuldigung der Ma­nager, Spekulanten und Banker seitens Attac entspricht dem Sündenbock-Denken und bedient im schlimmsten Fall nationalistische und antisemitische Argumentationsmuster an­statt über die Widersprüche im kapitalistischen System aufzuklären«, heißt es im Diskussionspapier der Gruppe. Was ist an den Vorwürfen dran?

Nichts. Da muss man nur unsere Pressemitteilungen und Positionspapiere lesen. Bei Attac gibt es keine antisemitischen oder nationalistischen Denkmuster. Wir analysieren die Krise als systemische Krise und nicht als ein moralisches Versagen von einzelnen Schuldigen. Was es gibt, ist Kritik an politischen Entscheidungen. Schließlich waren es Politiker und keine abstrakten Strukturen, die den Finanzmarktkapitalismus und sein auf kurzfristige Rendite fixiertes, sozial verantwortungsloses Handeln erst ermöglicht haben.

Im Debatten-Teil des Attac-Kongresses findet sich ein Text von Jürgen Schneider, der vorschlägt, »Großspekulanten und Zocker als Kriminelle, als Finanz-Terroristen zu behandeln« und sie wie »die Nazi-Kriegsverbrecher« vor ein »Tribunal« zu stellen. Sind solche Positionen denn bei Attac anschlussfähig?

Das ist sehr extrem und hat mit den Forderungen von Attac nichts zu tun. Aber das ist ein Standpunkt, den man diskutieren kann und auch muss, gerade weil er individuelle Schuldzuschreibungen macht und die systemische Dimension vernachlässigt. Dass Manager zur Verantwortung gezogen werden, in dem sie auch mit ihrem Vermögen für ihre Geschäfte haften, wie jeder kleinere Unternehmer dies ja auch tut, ist eine Forderung, die ich teile. Und wenn aufgrund von Spekulation mit Rohstoff-Futures der Preis für eine Tasse Reis sich in Haiti innerhalb von drei Monaten verdoppelt und die Leute sich die nicht mehr leisten können, dann muss emanzipatorische Gesellschaftskritik hinter der scheinbaren Seriosität von Nadelstreifen auch mal Ross und Reiter sichtbar machen.

In Attac sammeln sich Politiker und Parteimitglieder der CDU, der SPD, der Linken und der Grünen. Ist Attac nicht längst eine Spielwiese für alle moralischen Forderungen geworden, die in der parlamentarischen Tagespolitik nicht durchsetzbar sind? Eine Art moralisches Alibi für deutsche Parteipolitiker?

Unsere Forderungen zu einer grundlegenden Reform des Finanzsystems und auch unsere Vorschläge auf anderen Politikfeldern sind keine moralischen Gemeinplätze für Gutmenschen. Ihre Umsetzung würde zu einer handfesten Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse beitragen. Einige sind auch tagespolitisch angelegt und wurden von Parteien übernommen.
Zur Parteienfrage: Attac versteht sich als ein par­teiübergreifendes außerparlamentarisches Netzwerk, das außerparlamentarische und überparteiliche politische Einflussnahme möglich macht. Einflussreiche Parteipolitiker spielen bei Attac keine Rolle und haben schon gar keine Spielwiese bei uns. Heiner Geißler, der mir da zuerst einfällt, gehört ja nicht mehr zur Spitze der CDU. Oskar Lafontaine ist auch Attac-Mitglied der ersten Stunde. Aber auch er spielt bei Attac keine Rolle. Sein Betätigungsfeld liegt auf parlamentarischer und parteipolitischer Ebene. Es gibt eine beträchtliche Anzahl von Mitgliedern der unterschiedlichen Parteien bei Attac. Sie wissen, dass außerparlamentarische Betätigung für die Demokratie von immenser Bedeutung ist. Und die Attac-Mitglieder reagieren immer sehr skeptisch und ablehnend, wenn sich Parteipolitiker etwa wie bei den Protesten in Heiligendamm an die Spitze der Bewegung stellen möchten.