Neo-konservativer Konsens und Faschismus

Mussolinis willige Vollstrecker

Die Fusion von Berlusconis Forza Italia mit der ehemals faschistischen Partei ist Ausdruck eines neokonservativen Konsenses, der im Faschismus seine historische Grund­lage hat.

»Ein großer Traum lebt in uns/Wir sind die Leute der Freiheit/Präsident, wir sind mit dir!« Wenn sich die italienischen Rechten am Wochenende zur Partei »Popolo della Libertà«, zu Deutsch: »Volk der Freiheit«, vereinigen werden, wird dieser seit Jahren in einer Parteihymne besungene Traum in Erfüllung gehen. Ob die Anhänger ihren Vorsit­zenden durch das gemeinsame Absingen des Refrains »Zum Glück gibt es Silvio!« bestimmen werden, ist noch nicht ausgemacht, nach parteiinter­nen Verlautbarungen gilt jedenfalls als selbst­ver­ständlich, dass »eine charismatische Partei wie der Popolo della Libertà (PdL) ihren Leader nicht in einer geheimen Abstimmung wählt«. 90 Prozent der Parteibasis würden sowieso für Silvio Ber­lusconi stimmen. Zu erwarten ist demnach ein real­sozialistisches Wahlergebnis für den dezidiert anti­kommunistisch auftretenden Parteivorsitzenden. In Interviews kokettierte Berlusconi zuletzt damit, dass ihm die Umfrageergebnisse, die ihm konstant einen gesamtgesellschaftlichen Konsens von circa 70 Prozent bescheinigen, »pein­lich« seien.

Für die Opposition personifiziert der vor einem Jahr mit überwältigender Mehrheit zum dritten Mal ins Amt gewählte Ministerpräsident den »neu­en Faschismus«. Sogar der stellvertretende Direktor der liberalen Tageszeitung La Repubblica, Massimo Giannini, untersucht in seinem jüngsten Buch die »Affinität« Berlusconis zu Mussolini. Er findet dabei viele Übereinstimmungen mit den Charaktereigenschaften, die der Mussolini-Biograph Renzo De Felice dem Duce zuschreibt. Doch Charisma, Dezisionismus und Medienkompetenz sind Charakteristika, die längst auch linksliberale Politiker auszeichnen. Der Vergleich trägt nicht zur Erklärung der weitreichenden Sympathie bei, die die italienische Bevölkerung der rechten Regierung entgegenbringt.
Dabei war es gerade Renzo De Felice, der in den siebziger Jahren den Begriff des consenso geprägt hat, als er im dritten Band seiner monumentalen Biographie des faschistischen Führers die Jahre 1929 bis 1936 als »Jahre des Konsenses« bezeichnete, in denen der Duce seine Macht konsolidieren konnte. Da De Felice dazu tendiert, vermeintlich gute Jahre der frühen Mussolini-Zeit von den negativen Jahren des späteren Regimes zu unterscheiden, werden seine Arbeiten von dem Antifaschismus verpflichteten Historikern zurecht als revisionistisch kritisiert.
Auch sein Begriff des Konsenses ist nicht unum­stritten. Im italienischen »Wörterbuch des Faschismus« wird unter dem entsprechenden Stich­wort die Auseinandersetzung um den Begriff dokumentiert. Im Mittelpunkt stehen Schwierigkeiten der Definition. Konsens markiere eine »freiwillige Zustimmung«, von der unter einem diktatorischen Regime keine Rede sein könne. Mussolinis Konsens sei eine durch Massenpropaganda und Repression konstruierte und erzwungene »passive Akzeptanz« gewesen. Als Kronzeuge für diese Argumentation wird ausgerechnet Marschall Pietro Badoglio zitiert, der bis zur Entmachtung Mussolinis 1943 höchste Ämter in der faschistischen Armee innehatte. Am Ende steht die Behauptung, dass der Konsens nie total gewesen und spätestens mit dem Kriegseintritt Italiens 1940 zusammengebrochen sei.

Der Artikel im Wörterbuch zeigt die blinden Flecken einer von der antifaschistischen Rhetorik geprägten Historiographie. Erst seit wenigen Jahren bemüht sich eine jüngere Historikergeneration um eine Entmythologisierung der Resistenza. Dabei wurde die Debatte um die falsche Glorifizierung des italienischen Widerstands ausgerech­net von Sergio Luzzatto, einem der Herausgeber des Wörterbuchs, angeregt. In seinem Buch zur »Krise des Antifaschismus« fordert er dazu auf, auch unangenehme Fragen zuzulassen. Für die Historikerin Patrizia Dogliani heißt das, in einer in der italienischen Forschung bisher vernachläs­sigten Sozialgeschichte den »Faschismus der Italiener« und damit »das Ausmaß, die Grenzen und die Entwicklung des Konsenses mit dem Regime« genauer zu erforschen.
In diesem Sinne untersucht eine von Cristina Bal­dassini im vergangenen Jahr vorgelegte Studie die scheinbar unpolitische Mehrheit der italienischen Nachkriegsgesellschaft, die im »Schatten von Mussolini« eine anti-antifaschistische Erinnerungskultur pflegte, in der der Faschismus nicht verurteilt, sondern mit »Nachsicht« und »Nos­talgie« betrachtet wurde. In der Analyse der auf­lagenstarken Regenbogenpresse werden alle Topoi der »nachsichtigen Erinnerung« erkennbar: Die Verbrechen des Faschismus werden durch einen Vergleich mit den Gräueltaten des Nationalsozialismus verharmlost, der autoritär-repressive Charakter der Diktatur wird bagatellisiert. Im Vordergrund stehen Geschichten vom »braven Sol­daten« und vom »guten Kolonialismus«, der oh­ne imperiale Absicht die afrikanische Wüste in ein Paradies verwandeln wollte. Der Duce erscheint in unzähligen Bildreportagen als treusorgendes Staats- und Familienoberhaupt.
Die Autorin bewertet diese Erinnerungskultur als »schwach«, da sie keine auf historischem Quellenmaterial basierende »strukturierte Erzäh­lung« des Faschismus liefere und sich stattdessen allein auf Autobiographisches, auf Stimmungen und Meinungen berufe. Obwohl die Historikerin zugeben muss, dass die Erfolge von populärwissenschaftlichen Büchern und Fernsehdokumentationen zur faschistischen Vergangenheit ungebrochen auf das alte Erzählmuster zurückzuführen sind, verkennt sie die Bedeutung, die die­se emotional aufgeladenen, persönlichen Erinnerungen für das Geschichtsbewusstsein der post­faschistischen Generationen haben. Sie verschweigt auch die personellen Kontinuitäten. Die einschlägigen Illustrierten erscheinen nach wie vor, in den siebziger Jahren wurden sie teilweise von Berlusconi mitfinanziert, ehe sein Medienkonzern Mediaset anfing, eigene Zeitschriften auf den Markt zu bringen.

Da Familienalben zur Grundlage der nationalen Erinnerungskultur werden, erfolgt eine zunehmende Ent-Faschisierung des Faschismus: Das Familiengedächtnis erinnert sich nicht (in Italien habe es keine Konzentrationslager gegeben), verfälscht (die »Rassengesetze« seien nur auf Druck von Hitler eingeführt, aber nie angewandt worden), beschönigt (Mussolini habe seine politischen Gegner nicht in die Verbannung, sondern in die »Sommerfrische« geschickt) und verklärt (damals seien die Züge pünktlich gewesen). Während die Vergangenheit verkehrt wird, zeigen sich in der Gegenwart unverhohlen Elemente der faschistischen Ideologie: im Rassismus gegen die afrikanischen Flüchtlinge, in der antislawischen Hetze gegen rumänische Immigranten und im hasserfüllten Antiziganismus gegen Roma.
Der antiparlamentarische Dezisionismus des Regierungschefs und die Angriffe auf die antifaschistische Verfassung verweisen hingegen auf eine Zäsur jüngeren Datums. Mit der Aufdeckung des Korruptionsskandals Tangentopoli Anfang der neunziger Jahre brach das alte Parteiensystem auseinander, die Nachkriegsordnung der »Ersten Republik« verlor ihre Legitimation. Die Parteigänger der Grauzone, die jahrzehntelang in die Democrazia Cristiana integriert waren, konnten nun aus dem »Schatten von Mussolini« heraustreten und im Bündnis mit den Ex-Faschisten der Alleanza Nazionale die Macht übernehmen. Im PdL vereinen sich somit Elemente der traditionellen faschistischen Ideologie mit zeitgenössischen populistischen und antidemokratischen Ressentiments.