Die zentrale Datei für »Vieleinlader«

Papa muss draußen bleiben

Kirchen, Universitäten und Verbände wollen sie nicht, nun lehnt auch die SPD sie ab: eine zentrale Datei, in der diejenigen erfasst werden, die Ausländern mit Ein­ladungen Visa verschaffen. Die CDU muss die Pläne dennoch nicht verwerfen.

Der deutsche Staat ist misstrauisch, was seine Gäste angeht: Woher soll er wissen, ob das chinesische Orchester nach der Konzertreise durch Süddeutschland ordnungsgemäß und vollzählig in das Herkunftsland zurückkehrt? Von der Großfamilie aus Südostanatolien, die die Verwandten in Bochum besucht, ganz zu schweigen. Und wer garantiert, dass die Klassenlehrerin in Frankfurt an der Oder, die den Austausch mit einer russischen Schulklasse organisiert, nicht in Wahrheit eine professionelle Schleuserin ist?
Solche Erwägungen klingen abwegig. Aber die »innere Sicherheit« Deutschlands wird der Bundes­regierung zufolge in hohem Maß von »illegaler Einwanderung« und »Schleusungskriminalität« bedroht, kriminelle Netzwerke stehen im Verdacht, gewerbsmäßig und mit gefälschten Papieren eine Vielzahl so genannter Visaeinladungen ausgesprochen zu haben. Deshalb haben die Union und die SPD im Februar einen Gesetzesentwurf vorgelegt. Das Erschleichen von Visa wirksam zu bekämpfen, sei nach gegenwärtiger Rechtslage nicht möglich. Die Auslandsvertretungen, die für die Ausstellung der Visa zuständig seien, stünden nicht hinreichend miteinander in Verbin­dung und wüssten daher nur von Missbrauchsfällen in ihrem eigenen Haus. Deshalb müsse eine zentrale Datei her, in der diejenigen Personen erfasst würden, die ausländische Staatsangehörige nach Deutschland einladen oder für die Unterhaltskosten oder die möglichen Abschiebungskosten der ausländischen Gäste bürgen.

»Vieleinlader« gelten dabei als besonders verdächtig. Wer fünf Einladungen in zwei Jahren ausspricht, dessen Daten sollen an alle deutschen Botschaften übermittelt werden. Daneben, so der Gesetzesvorschlag, sollten Personen in einer »Warndatei« erfasst werden, die bereits wegen der Schleusung von Ausländern oder anderen Delikten verurteilt worden oder auch nur auffällig geworden seien. Auch die Sozialämter und die Bundesagentur für Arbeit hätten neben sämt­lichen Polizeibehörden Zugriff auf diese Warndatei.
Die SPD lehnt jedoch mittlerweile die Einrichtung einer Datenbank für »Vieleinlader« ab. Vorangegangen war der Protest von Kirchen, Jugendverbänden und Universitäten mit inter­nationalen Beziehungen. Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag sprach sich gegen die Datei aus. Wegen ihr könnten seine Mitglieder sonst beim Besuch von Geschäftspartnern aus dem Ausland in Verdacht geraten.
Hiltrud Stöcker-Zafari vom »Verband binationaler Familien und Partnerschaften« bezeichnet die Datei als »umfassende Attacke auf grenz­über­schreitende Lebenskonzepte«. Viele Betroffene würden sich sogar zurückhalten, ihre ei­genen Eltern nach Deutschland einzuladen. »Und wie­so sollen wir darauf vertrauen, dass vertrauenswürdig mit den Daten umgegangen wird?« sagt sie der Jungle World. Ebenso unklar ist es, ob durch solche Dateien überhaupt unerwünschte Einwanderung verhindert würde. Nach Ansicht von Memet Kilic, dem Vorsitzenden des Bundesausländerbeirats, bedienen sich die Schleuser meist anderer Mittel als der Einladung. Tatsächlich bleibt die Rede der Bundesregierung von den »kriminellen Netzwerken« völlig vage. Wie Marei Pelzer von Pro Asyl sagt, gebe es für einen organisierten, häufigen und länder­übergreifenden Missbrauch von Einladungen keinen Beleg. »Solche Überwachungsmaßnahmen werden daher vor allem Unschuldige treffen und gegen Straftäter nichts ausrichten können«, sagt Pelzer.

Hiltrud Stöcker-Zafari zufolge sind die Auslandsvertretungen seit den neunziger Jahren insgesamt restriktiver vorgegangen, auch ohne die nun geplanten Dateien. Davon seien z.B. Menschen aus Afrika, Indien und Pakistan betroffen. Memet Kilics Familie bekam die Schwierigkeiten auch zu spüren. Als der Neffe seiner Frau zu Kilics Hoch­zeit nach Deutschland kommen wollte, weigerte sich die deutsche Botschaft in der Türkei, ihm ein Visum auszustellen. Erst nach Beschwerden auf höherer Ebene sei die Einreise genehmigt worden, sagt Kilic, der aber eingesteht, dass dies Menschen mit weniger politischem Einfluss wohl nicht gelungen wäre.
Um ein Besuchsvisum zu bekommen, muss der Antragsteller nach Ansicht der Auslandsvertretungen nämlich »rückkehrbereit« sein, und dies muss nachgewiesen werden. Fehlt es also etwa an einer Familie oder einem Beruf, kann es schwierig werden, und die Bewerber sind abhängig vom guten Willen der Beamten. Daneben muss nachgewiesen werden, dass man für den Aufenthalt in Deutschland finanziell abgesichert ist. Ansonsten kann sich auch der Gastgeber in Deutschland verpflichten, die Kosten einschließlich der Rückreise in das Herkunftsland zu tragen. Hat aber etwa die in Deutschland lebende Fami­lie auch nicht genügend Vermögen, um einen Verwandtschaftsbesuch zu finanzieren, ist sie auf wohlhabendere Bekannte angewiesen, die bürgen können. Der Anreiz, eine solche Bürgschaft ein­zugehen, würde durch die Aufnahme in eine Datenbank freilich nicht größer.
Das Neue an einer »Vieleinladerdatei« wäre vor allem, dass die Kontrolle nicht mehr nur die Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft, sondern auch deren soziales Umfeld in Deutschland und eine Vielzahl deutscher Durchschnittsbürger und Organisationen beträfe. Allein deshalb konnte die Einführung einer solchen Datei vorerst verhindert werden. Auf weniger Widerstand treffen hingegen die bestehenden, weitaus umfangreicheren Kontrollmaßnahmen, denen Migranten in Deutschland ausgesetzt sind. Mit deren pauschaler Kriminalisierung durch die Raster­fahndungen, das Ausländerzentralregister oder etwa auch die europaweite Datenbank »Eurodac« für Asylbewerber haben weder die Kirchen und Jugendverbände oder der Deutsche Industrie- und Handelskammertag noch die SPD ein Problem.

Die Union muss die Pläne für die Datei aber nicht aufgeben, schließlich könnte sie Deutschland ab September mit der FDP regieren. Allerdings könnte dann der derzeitige Innenminister Wolfgang Schäuble fehlen. Die beiden Anwälte Gerhard Strate und Rolf Gutmann haben wegen der »Verfolgung Unschuldiger« Anzeige gegen ihn erstattet, das Delikt kann mit fünf Jahren Gefängnis bestraft werden. Schäuble hat den Anwälten zufolge Bundespolizisten angewiesen, gegen türkische Staatsbürger ein Verfahren wegen unerlaubter Einreise einzuleiten, wenn diese ohne ein Visum an die Grenze kommen. Dabei hat jüngst der Europäische Gerichtshof (EuGH) festgelegt, dass Türken grundsätzlich ohne Visum nach Deutschland einreisen dürfen. Dass Schäuble hinter Gitter muss, ist freilich zu bezweifeln. Aber das Urteil des EuGH könnte dazu führen, dass die Einreise türkischer Staatsangehöriger von den geplanten Dateien ausgenommen werden muss.