Die Grenzen und Möglichkeiten der »Freiraumbewegung«

Bleiben wollen

Häuserkampf heißt heute »Freiraumbewegung«. Zu ihren Grenzen und Möglichkeiten, zu falschen Vorstellungen und richtiger Kritik.

Vor zwei Jahren gab es auf Wikipedia eine Diskussion über den Eintrag »linke Freiräume«. Ein Benutzer hatte einen Artikel zu dem Begriff verfasst, doch schnell folgte der Antrag, ihn wieder zu löschen. Die Begründung lautete: fehlende Relevanz. Ein schwaches Argument, wenn man sich die »relevanten« Artikel ansieht, die sich in Wikipedia finden lassen – z.B. über den Ort Leien­kaul (351 Einwohner) oder die polnische Entenblutsuppe Czernina. Auch kann man schon nach kurzer Suche im Internet unzählige Konflikte und Kampagnen in europäischen Klein- und Groß­städten finden, die sich um das Thema »Freiräume« drehen.
Der Wikipedia-Eintrag wurde gelöscht (bis heute ohne Ersatz), aber die Kämpfe um »Freiräume« gehen weiter. Mitte März fand unter dem Motto »United we stay« eine »Freiraumdemons­tration« in Berlin statt, initiiert von Berliner Hausprojekten und Wagenplätzen. Über 5 000 Menschen demonstrierten »gegen die Verdrängung« und »für mehr selbst organisiertes Leben in Berlin und weltweit«. Im Aufruf zur Demonstration hieß es: »Berlin Anfang 2009. Die Gentrifizierung ist in vollem Gange. Wo Anfang der neunziger Jahre noch über 100 besetzte Häuser waren, sind nur noch wenige selbstverwaltete Wohn- und Kulturprojekte übrig geblieben.« Tatsächlich sind im gan­zen Bundesgebiet nur noch wenige Orte aus den glorreichen Zeiten des Häuserkampfs übrig geblieben, die noch besetzt, selbstverwaltet, autonom oder »frei« sind. Die heutigen Kämpfe sind in der Regel Abwehrkämpfe. »United we stay« – es geht darum zu bleiben. Hausbesetzungen, die auf Dauer Erfolg haben, sind in Deutschland mitt­lerweile die große Ausnahme. Nicht zuletzt, weil die Parole von damals, »eine Räumung – eine Million Mark Sachschaden«, heute mangels Masse eine leere Drohung darstellen würde.

Der Häuserkampf in den Achtzigern war selbst für Jürgen Trittin seinerzeit »letztlich nur denkbar als sozialistischer, als Kampf um die Vergesellschaftung von allem Grund und Boden«. Danach hören sich die meisten Aufrufe heutzutage nicht mehr an. Worum geht es also? Warum ist ein legales Hausprojekt »frei«, eine kleine WG aber nicht? Hängt die Freiheit von der Höhe der Miete ab? Und was verbindet den Bauwagen im Grünen mit der verrauchten Punkerkneipe? Offensichtlich einiges. »Freiraum beinhaltet nicht nur eine sprachliche Nähe zu Freiheit. Freiräume bieten diese, indem sie versuchen, frei von Sexismus, Rassismus und Zwang zu sein. Damit bieten sie Raum für alternative Ideen sowie um Lebensentwürfe zu entwickeln und diese auch zu testen«, konnte man 2007 in einem Demons­tra­tionsaufruf aus Gießen lesen. Jene gesellschaftlich produzierten Verhaltensweisen nicht zu akzeptieren, die wahlweise Frauen, Migranten, Homosexuelle oder andere im besten Fall nerven, im schlimmsten Fall bedrohen, ist ein Merkmal, das linke Freiräume auszeichnet. Und dies führt notwendigerweise zu Diskussionen darüber, ob und wie die Kollektive diesem Anspruch gerecht werden.
Kritiker erheben gern den Vorwurf der Intoleranz, wenn Regeln aufgestellt werden. Tatsächlich: Wie frei bin ich denn, wenn ich in einem veganen Hausprojekt mein Schnitzel nicht braten darf? Es geht offensichtlich auch um Bedürfnisse. Da die gegenwärtige gesellschaftliche Situation es nicht möglich macht, sollen den Menschen Räu­me gegeben werden, in denen sie »ihre Individualität ausleben« können. Die Möglichkeit zu haben, die hegemonialen Verhältnisse vor der Tür lassen zu können, erscheint attraktiv. Aber ist das so einfach, wie es klingt? Außerdem waren ja da noch die Gentrifizierung, der Neoliberalismus, und irgendwelche Schwaben haben damit auch etwas zu tun.

Die Forderung nach autonomen Freiräumen (im Sinne von kollektiven Wohnformen, Kneipen, Zentren etc.) mit gewissen emanzipatorischen Stan­dards wird oft mit Mieterkämpfen und Protesten gegen die Stadtumstrukturierung verbunden. Unter Gentrifizierung wird eigentlich der Prozess der »ökonomischen und sozialen Aufwertung von städtischen, armen und häufig zuvor dem Verfall preisgegebenen Wohnquartieren verstanden«, wie die Berliner Mietervereinigung erklärt.
Manchen Kämpfern für Freiraum ist diese Definition offensichtlich zu komplex. Mit Shirts, auf denen »Die Yuppie Scum« geschrieben steht, protestieren sie gegen die »Vertreibung von Altbewohnern zugunsten von reichen Eigentumswohnungsbesitzern aus kleinen südwestdeutschen Provinznestern«, so ein Bericht auf Indymedia. Die Stadtumstrukturierung hat zweifels­ohne mehr schlechte als gute Seiten und es gibt genug gute Gründe, dagegen zu protestieren. Die »soziale Aufwertung« betrifft nämlich nur den Stadtteil, nicht jedoch die Einwohner, die der »Aufwertung« meist im Weg stehen. Deshalb fordern sie zu Recht bezahlbare Mieten und das Recht auf Mitbestimmung darüber, wie sich ihr Wohn- und Lebensumfeld entwickelt.
Ob die Mainzer Straße während ihrer Besetzung 1990 attraktiver war als heute, darüber gibt es sicher verschiedene Meinungen. Die Tatsache, dass sich die Stadtbilder immer mehr zu einem langweiligen modernen Einheitsbrei entwickeln und all die Facetten und Unterschiede in der Gesellschaft »weggentrifiziert« werden, sollte aber selbst Leute, die sich nicht zur Linken zählen, zu Unterstützern von Hausprojekten und »Freiräumen« machen. Ihre Sympathie zeigen diese Leute aber auf ihre Weise: Sie ziehen in bzw. »yuppisieren« die entsprechenden Stadtteile. Es gibt sehr viele Leute, die nie auf eine Demonstration für Freiräu­me gehen würden, aber sehr wohl eine »multikulturelle«, links-alternative Atmosphäre zu schät­zen wissen. Es ist eine Konstante der Stadtentwicklung, dass alternative Stadtteile mit großer subkultureller und linker Szene innerhalb weniger Jahre Leute anziehen, die mit den dahinter ste­henden Inhalten wenig, mit dem Style aber um­so mehr anfangen können.
Mit »Verdrängung« hat dies reichlich wenig zu tun. Die »Yuppies«, »Schwaben« oder »Studenten« wollen die Viertel ja gerade nicht ihrem kon­for­men Leben gemäß einrichten, sondern wollen auch hip sein und sich den »Anderen« zugehörig fühlen. Dies wird von der Szene jedoch nicht als An­erken­nung, sondern als Angriff gewer­tet. Die schlim­m­sten Auswüchse sind dann Plakate, die ver­mumm­te Autonome zeigen, die Kreuz­berg mit der Zwille gegen angreifende Heuschrecken vertei­digen. So landet die Bewegung schnell beim regres­siven an­ti­kapitalistischen Reflex, das Alte (die »Kiez­ge­mein­schaft«) gegen das Neue (Gentrifizierung, Neoliberalismus, Schwa­ben) verteidigen zu wollen.

Es stellt sich vielmehr die Frage, ob das links-alternative Milieu nicht den ersten Invasor darstellt, der die Gentrifizierung erst in Gang bringt, wie manche Stadtsoziologen betonen. In der Regel werden auch nicht die jungen Alternativen verdrängt, sondern die alteingesessenen einkom­mensschwachen Bewohner. Am steigenden Druck auf die ärmere Bevölkerung ist die »Bionadebourgeoisie« aber ebenso wenig schuld, wie die Banker an der Krise schuld sind. »Eine Anti-Gentrification-Bewegung sollte daher nicht bei der Skandalisierung von Leuchtturmprojekten der Aufwertung stehenbleiben, sondern zentral die Miet- und Wohnungspolitik in den Blick nehmen«, fordert der Stadtsoziologe Andrej Holm im aktuellen Szeneblatt Antiberliner. Für Theorie und Praxis der Freiraumbewegung ist es ein bedeutender Unterschied, ob die städtische Wohnpolitik im Kontext kapitalistischer Modernisierung begriffen wird oder bloß die Car-Lofts und die zu­gezogenen Besserverdienenden als zentrales Problem aufgefasst werden. In seinem Artikel be­schreibt Holm treffend das Problem der Proteste: »Gerade die Überlagerung ganz verschiedener Protestmotivationen macht es so schwer, eine klare Position zu und in diesem Konflikt zu finden.«
Die Freiraumbewegung erfreut sich wachsender Beliebtheit. Das mag am gesteigerten Interesse an abweichenden Lebensvorstellungen und ein wenig mehr Entscheidungsfreiheit liegen oder an der Erkenntnis, dass Staat und Kapital bis in den letzten Winkel der Gesellschaft, auch in den Keller des besetzten Hauses, vordringen. Viel­leicht liegt es aber auch einfach daran, dass der Kampf um »Freiräume« Linken die Möglichkeit gibt, unabhängig von alten Grabenkämpfen und unvereinbaren Ansichten bezüglich der Kriege im Nahen Osten und des »Befreiungskampfs« im Baskenland vor der eigenen Haustür zusammen politisch aktiv zu werden.