Klagen mit leerem Magen

Evo Morales begann früh mit der Rebellion. Seine Schwester Esther berichtet, dass er sich im Alter von fünf Jahren ins Feuer stürzte, um die Aufmerksamkeit seiner Mutter zu erregen, die vergessen hatte, ihm etwas zu essen zu geben. Den Sinn für theatralische Auftritte hat Morales sich bewahrt, doch nun will er vorläufig gar nichts mehr essen. Am Donnerstag der vergangenen Woche trat der bolivianische Präsident in den Hungerstreik, er ruht im Präsidentenpalast auf einer Matratze auf dem Fußboden und beklagt die »Nachlässigkeit einer Gruppe neoliberaler Abgeordneter«. Die rechten Oppositionellen blockieren ein Gesetz, das die Schaffung von 14 indigenen Wahlkreisen vorsieht. »Jetzt ist die beste Zeit, um die oppositionellen Senatoren im Nationalkongress zur Annahme des Gesetzes zu zwingen«, meinte Morales. Wohl weil das Osterfest an das Opfer des Erlösers gemahnt. »Chris­tus gab sein Leben für die Armen, und wir sind hier, um unser Leben für die Armen zu geben.«
»Wir glauben, dass der Präsident mit dem Streik erpressen will«, sagte der Senator Walter Guiteras. »Hungerstreiks können in der Logik und Dynamik der Demokratie nicht benutzt werden.« Doch die Aktion ist zwar kurios, aber nicht undemokratisch. Schließlich verpflichtet sich ein Präsident mit seinem Amtseid nicht zur Einnahme einer bestimmten Kalorienmenge. Auch ist unklar, womit Morales die Senatoren erpressen könnte, denn die rechten Oppositionellen erweckten bislang nicht den Eindruck, als läge ihnen der Bauch des Präsidenten am Herzen. Eigentlich ist die Aktionsform beispielhaft, sie würde die internationalen Beziehungen beleben. Angela Merkel etwa könnte beim nächsten Treffen mit Barack Obama sagen: »Wenn Sie Opel nicht retten, esse ich meinen Nachtisch nicht.« Denkbar wäre aber auch der um­gekehrte Weg, Obama könnte drohen: »Frau Merkel, wenn Sie weiterhin so geizig in Sachen Konkunkturpaket sind, müssen Sie ohne Abendbrot ins Bett.«