Langston Hughes und die Harlem Renaissance

When the Negro was in vogue

Langston Hughes war einer der Protagonisten der schwarzen Künstlerbewegung Harlem Renaissance. Sein programmatischer Kolumnen-Roman »Simpel spricht sich aus« ist jetzt in einer deutschen Übersetzung erschienen.

Der britische Filmemacher Isaac Julien inszenierte Langston Hughes in »Looking for Langston« als einen Pionier der schwarzen Schwulenbewegung, Carl Van Vechten nannte Hughes den Hofdichter der afroamerikanischen Literatur, und in afro­amerikanischen Literaturgeschichten des 20. Jahr­hunderts wird er regelmäßig als eine der zentralen Figuren herausgestellt. Und doch liegt von Langston Hughes’ literarischem Werk bislang so gut wie nichts auf Deutsch vor, lediglich in der DDR erschienen in den Sechzigern einige seiner Erzählungen und Romane.
Nun hat der Wiener Milena-Verlag ein Buch von Hughes neu übersetzen lassen – passend zum Amtsantritt des ersten schwarzen US-Präsidenten, könnte man sagen, stöhnte doch noch Simpel, der Protagonist des Romans »Simpel spricht sich aus«: »Wenn jeder andere in Amerika Präsident werden kann, will ich auch Präsident werden. Die Verfassung garantiert uns gleiche Rechte, aber hab ich sie? Nein, die hat mich auch im Stich gelassen. Ich kann mich an diese Theke lehnen, aber ich hab nix anderes sonst, worauf ich mich in den USA stützen kann.« Oder auch pünktlich zur Finanzkrise, markierte der Börsencrash von 1929 und dessen Folgen doch auch nach zehn Jahren der Blütezeit das Ende der Harlem Renaissance, der ersten Bewegung schwarzer Künstler in Amerika, die auch von einem weißen Publikum rezipiert und ernst genommen wurde und in der Hughes eine wichtige Stimme war.
Ob er tatsächlich als Schwulen-Ikone taugt, ist fraglich, er selbst hielt sich Zeit seines Lebens bedeckt, was Fragen seiner sexuellen Orientierung betrifft, lediglich in einigen Gedichten machte er Andeutungen, etwa in »Poem, or To F.S.: »I loved my friend. / He went away from me. / There’s nothing more to say. / The poem ends / Soft as it began – / I loved my friend«.
Die Initialien F.S. stehen für Ferdinand Smith, einen Seemann und Politaktivisten, der 1951 als Kommunist und illegaler Einwanderer in sein Geburtsland Jamaika abgeschoben wurde. An­dere Mitstreiter der Harlem Renaissance wie etwa Bruce Nugent oder Wallace Thurman waren im Umgang mit ihrer Homosexualität offensiver.
Eindeutig ist seine Bedeutung für die Literaturgeschichte und seine Rolle als Mitgründer, Chronist wie auch Kritiker der Harlem Renaissance. In seiner 1940 publizierten Autobiografie schreibt er rückblickend, das Problem der Bewegung sei gewesen, dass sie sich nicht als flexibel genug erwiesen habe, die Masse der Schwarzen in Amerika zu erreichen. Der durchschnittliche Schwarze habe davon nichts mit­bekommen, so Hughes, und wenn, dann habe dies seinen Lohn auch nicht erhöht. Doch auch wenn sich die Situation der Masse der Afro­amerikaner durch diese künstlerische und intellektuelle Bewegung nicht wirklich ändern ließ, so hat diese doch den Grundstein für die schwarze Bürgerrechtsbewegung in den sechziger Jahren gelegt.
Natürlich entstand die Harlem Renaissance nicht aus dem kulturellen Nichts. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts hatten erste afroamerikanische Autoren wie Paul Lawrence Dunbar oder Charles Waddel Chesnutt Erfolg auch bei einem weißen Publikum, W.C. Handy hatte den Blues populär gemacht, und der New Orleans Jazz erreichte ein immer größeres Publikum. Und mit W.E.B. Du Bois’ »Die Seelen der Schwarzen« war bereits 1903 der »Urtext der afroamerikanischen Erfahrung« erschienen, wie Henry Louis Gates in seiner Einleitung zu dem Buch schreibt. »Das Problem des 20. Jahrhunderts ist das Problem der Rassentrennung«, schreibt Du Bois, ein Freund Max Webers, und fordert: »Die Geschichte des amerikanischen Schwarzen ist die Geschichte dieses Kampfes – die Sehnsucht, ein selbstbewusstes Menschsein zu erlangen und das doppelte Selbst in einem besseren und wahreren Selbst zu vereinen, ohne dabei eines seiner früheren zu verlieren. Er hat nur den Wunsch, beides zu sein: Schwarzer und Amerikaner, ohne von seinen Mitbürgern verflucht und angespuckt zu werden.«
Nach dem formellen Ende der Sklaverei 1865 waren viele Schwarze zunächst in die Städte des Südens gezogen, was sich jedoch in den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts änderte. Nun übersiedelten viele in die Industriegebie­te des Nordens, insbesondere nach New York, Philadelphia und Chicago. Um 1920 lebte dort etwa ein Viertel aller Schwarzen Amerikas. Der Eintritt der Vereinigten Staaten in den Ersten Weltkrieg hatte dort einen rapiden Anstieg des Bedarfs an Arbeitskräften zur Folge gehabt, der von den aus dem Süden eintreffenden Afroamerikanern gedeckt wurde. Allerdings waren auch viele Schwarze im Kriegseinsatz in Europa, wenn auch in rein schwarzen Einheiten, was auch Hughes’ Roman thematisiert, wenn der Protagonist einen Dritten Weltkrieg imaginiert, in dem schwarze Kommandanten eine weiße Armee befehligen: »Ich seh mich schon im Dritten Weltkrieg, wie ich meine Mississippi-Truppen ins Gefecht führe. Wenn ich am nächsten Tag dann zu ihnen hinkomme, tät ich ihnen die Orden für Tapferkeit vor’m Feind verleihen. Dann wird ’n Foto von mir gemacht, mit meinen ganzen feinen weißen Truppen; ich – der erste schwarze amerikanische General, der Orden an weiße Soldaten aus Mississippi verleiht.«
Als zentraler Sammelpunkt für die Migranten aus den Südstaaten hatte sich bereits ab Anfang des 20. Jahrhunderts der ursprünglich von Holländern bewohnte Stadtteil Harlem auf der Insel Manhattan etabliert, wo sich zu dieser Zeit die Bevölkerungsstruktur völlig wandelte. Nach­dem sich dort zunächst viele osteuropä­ische Juden angesiedelt hatten, begannen ab etwa 1904 die Immobilienmakler damit, die Wohnungen in Harlem auch an Afroamerikaner zu vermieten, und bis 1920 hatte sich die Zahl der Schwarzen in Harlem vervierfacht. Diese Veränderungen gingen nicht ohne Probleme mit den alteingesessenen Bewohnern vonstatten, die sich zuvor bereits – erfolglos – gegen den Zuzug von Juden gewehrt hatten. Schilder, auf denen »Keine Juden und keine Hunde« zu lesen war, waren keine Seltenheit. In der Konsequenz zog ein Großteil der jüdischen Bevölkerung Richtung Norden, während die Afroamerikaner sich in Vereinigungen wie der National Urban League zu organisieren begannen. Die Konflikte nahmen nach dem Ersten Weltkrieg noch einmal an Schärfe zu, als die heimkehrenden Soldaten in ihre Jobs zurückkehren wollten, doch auch die Black Community Amerikas hatte ihre Kriegshelden und an Selbstbewusstsein gewonnen. Vor diesem Hintergrund kam es 1919 in Washington und Chicago zu Riots.
Dies ist die Vorgeschichte für die Entstehung der retrospektiv Harlem Renaissance genannten Bewegung; damals sprach man eher vom New Negro Movement. Da man sich nicht als Bewegung verstand, gab es auch nie so etwas wie ein Manifest oder einen klar formulierten Anspruch. Schwarze Intellektuelle wollten eine schwarze Hochkultur etablieren, während jüngere Literaten und Musiker sich auf die bereits existierenden Formen schwarzer Kunst bezogen und versuchten, Blues und Jazz in die Literatur zu überführen. Langston Hughes hat mit seinem Essay »The Negro Artist and the Racial Mountain« einen der wenigen Texte verfasst, die zumindest für einen Teil der Bewegung programmatisch wurden. Darin fordert er, schwarze Künst­ler sollten nicht länger versuchen, es den Weißen rechtzumachen. Vielmehr müsse es darum gehen, Hierarchien in der Kunst zu zertrümmern und schwarze Traditionen in die Kunst gleichberechtigt mit aufzunehmen. Doch mit diesen Forderungen blieb er in der Minderheit.
Drei Ereignisse waren für die Harlem Renaissance von Bedeutung. Ab 1924 brachte Charles S. Johnson, ein Soziologe und der erste schwarze Präsident der Fisk University, in seinem Civic Club schwarze und weiße Intellektuelle und Künstler zusammen und schuf so einen Nährboden für das Interesse des weißen Publikums an der Kultur in Harlem. Unter diesen jungen Talenten war natürlich Hughes, der 1921 19jährig sein erstes Gedicht in Crisis, der von Du Bois herausgegebenen Zeitschrift, unterbringen konnte.
1926 veröffentlichte der später als Fotograf bekannt gewordene Carl Van Vechten das Buch »Nigger Heaven« – benannt nach den einzigen Theater-Logen in den obersten Rängen, in denen Schwarze zugelassen waren –, eine sehr detaillierte Beschreibung des Nachtlebens in Harlem, die in Amerika zum Bestseller wurde und immer mehr Weiße in die Jazzclubs in Harlem lockte. Ironischerweise blieben zu diesem Zeitpunkt bereits viele der Clubs, in denen die neuen Stars der Szene – Duke Ellington, Louis Armstrong oder Fletcher Henderson – spielten, dem schwarzen Publikum verschlossen. Am Wochenende strömten Weiße nach Harlem, um sich ins wilde Nachtleben zu stürzen, das sich ein Großteil der schwarzen Harlemer gar nicht mehr leisten konnte. Während manche schwarzen Intellektuellen in dieser Zeit bereits einen Wendepunkt im Verhältnis von Schwarzen und Weißen sahen, fühlten sich die schwarzen Einwohner von Harlem wie Tiere im Zoo. Hughes beschreibt in seiner Auto­biografie, wie sich Partys für Schwarze in den Privatwohnungen etablierten, mit gepanschtem Whiskey und Live-Musik, weitab der hippen Clubs mit schwarzen Musikern, die für die Weißen spielten.
Eine andere Reaktion auf diese Entwicklung war die Abkehr von der elitären Vorstellung von Kultur. Einige der jüngeren Literaten begannen mit der Konzeption einer Zeitschrift, die ihrem Unmut Ausdruck geben und neue Themen etablieren sollte. Fire!! erschien 1926, nach einer einzigen Ausgabe wurde die Zeitschrift eingestellt, die Herausgeber blieben auf einem Schuldenberg sitzen. Angeführt von Wallace Thurman und unter Mitarbeit von Hughes, Bruce Nugent, Zora Neale Hurston und anderen, wandten sich die Herausgeber explizit gegen eine Ästhetik, wie sie etwa Du Bois oder Alain LeRoi Locke, Philosoph und Herausgeber der einflussreichen Anthologie »The New Negro«, einforderten. Diese verlangten von schwarzer Kunst Themen, die positive Bilder der Afroamerikaner entstehen lassen sollten, in der Hoffnung, dass dies auf die gesellschaftliche Situation zurückwirke. Fire!! versuchte das Gegenteil und griff tabuisierte Themen wie Prostitution und Homosexualität auf.
Dies hatte nur noch wenig zu tun mit der Authentizität und Wildheit, die weiße Kunstsammler und Kritiker sich mit der afroamerikanischen Kunst zu kaufen erhofften. »When the Negro was in vogue« nennt Hughes dann auch in seiner Autobiografie das Kapitel über die Blütezeit der Harlem Renaissance. Irgendwann war er dann nicht mehr en vogue, und die weißen Förderer der Kulturszene blieben weg, spätestens mit der Finanzkrise ab 1929. Nun waren weniger Mittel für die Kultur vorhanden, zudem beschäftigten sich viele Schwarzen-Organisationen stärker mit den Folgen der Wirtschaftskrise als mit der Förderung von Literatur, Musik und Kunst.
Langston Hughes hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits neu orientiert; Anfang der dreißiger Jahre ging er in die Sowjetunion und kehrte 1933 nach einem China-Aufenthalt in die Vereinigten Staaten zurück. 1937 reiste er nach Europa, diesmal dokumentierte er als Fotograf den Spanischen Bürgerkrieg. Während dieser Jahre radikalisierte sich auch seine Lyrik; thematisiert wurde nicht mehr nur der alltägliche Rassismus, seine Gedichte wurden zunehmend antireligiös und antikapitalistisch, was ihn 1953 schließlich auch vor das Komitee für unamerikanische Aktivitäten brachte.
Als hätte er diese Entwicklung vorausgeahnt, lässt er seinen Protagonisten aus »Simpel spricht sich aus«, Jesse B. Semple, genannt Simpel, genau darüber sinnieren.
»Ich wünsch mir fast, dass mich der alte Vorsitzende aus dem Süden dort hinzitiert. Dann erzähl ich ihm mehr, als ihm lieb ist. (…) ›Ich weiß, dass Sie ein roter Russe sind!‹, schreit der alte Vorsitzende. ›Sie wollen dieses Land ruinieren!‹ ›Eure Ehrwürdigkeit‹, sag ich, ›ich gestehe, ich möchte eine Hälfte davon zugrunde richten – den Süden von Virginia bis Mobile –, nur um sie dann neu aufzubauen. Und wenn ich sie neu aufgebaut hab, würd ich Sie in ’nen Jim-Crow-Zug stecken, statt mir.‹« Hughes selber hat sich dann doch nicht so heldenhaft verhalten, sondern sich vor dem Ausschuss vielmehr vom Kommunismus distanziert, was in der radikalen Linken Amerikas, die ihm bislang wohlwollend gegenüber gestanden war, einigen Unmut hervorgerufen hat.
In dem nun ins Deutsche übersetzten Roman »Simpel spricht sich aus« ist jedoch von dieser Abkehr von der Radikalität noch wenig zu spüren. Ursprünglich wurden die Episoden aus dem Leben des Simpel in den vierziger Jahren als Kolumne für den Chicago Defender, die größte schwarze Wochenzeitung Amerikas, geschrieben, später wurden sie in mehreren Büchern zusammengefasst. Simpel, der vor »proletarischem Selbstbewusstsein« strotzt, wie Dietrich Kuhlbrodt im Nachwort zur deutschen Ausgabe schreibt, trifft in jeder Episode – meist in einer Kneipe – auf einen mit ihm befreundeten schwarzen Akademiker, mit dem er sich über Politik, Musik und Frauen unterhält. In diesen Dialogen führt Langston Hughes seine Kritik am elitären Gestus der Harlem Renaissance weiter aus und rückt seine eigene Rolle als Vermittler zwischen High und Low Art in den Mittelpunkt. Die Gespräche streifen so ziemlich jedes aktuelle Thema der damaligen Zeit – schwarzen Nationalismus, die Jim-Crow-Gesetze, Panafrikanismus, Lynchmorde, Jazz und immer wieder den alltäglichen Rassismus. Hughes gelingt es, gerade in dem Aufeinandertreffen von zwei Menschen mit solch unterschiedlichen Hintergründen, ein anschauliches Bild von Harlem in den ersten Nachkriegsjahren zu zeichnen. Oder, um mit einem Gedicht Simpels zu schließen: »Here’s to Harlem! / They say Heaven is Paradise. / If Harlem ain’t Heaven, / Then a mouse ain’t mice!«

Langston Hughes: Simpel spricht sich aus. Aus dem Amerikanischen von Evelyn Steinthaler. Milena, Wien 2009, 280 Seiten, 19,40 Euro