Die politische Funktion von Kurzarbeitergeld

Spezifisch rheinisch feuern

Die Entscheidung, zwei Jahre lang Kurzarbeitergeld zu bezahlen, hat weniger eine ökonomische als eine politische Funktion.

Dass man es nicht allen recht machen kann, ist die wahrscheinlich banalste Reflexion über die Klassengesellschaft. Umso erstaunlicher ist es, wenn dann und wann gerade diese Banalität offenbar keine Gültigkeit mehr hat.
So geschah es, als kürzlich die maximale Be­zugs­dauer des Kurzarbeitergelds von 18 auf 24 Monate verlängert wurde. Nicht nur Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD), der diese Maßnahme zusammen mit dem Vorsitzenden des DGB, Michael Som­mer, und dem Arbeitgeberpräsidenten Dieter Hundt Ende April ausgehandelt hatte, sondern auch alle staatstragenden Parteien und Interessenverbände zeigten sich beeindruckt von der schnel­len Reaktion auf die drohende Krise am Arbeitsmarkt.
Diese größte aller möglichen Koalitionen und die hohe Wahrscheinlichkeit, die Verlängerung der Kurzarbeit per Kabinettsverordnung durchsetzen zu können, lassen erwarten, dass die neue Regelung schon in den nächsten Wochen oh­ne grö­ßere öffentliche Diskussion in Kraft treten wird.

Erst vor wenigen Monaten, als die Krise begann, war die Bezugsdauer bereits von einem Jahr auf 18 Monate angehoben worden. Somit stellt die nun beschlossene Verlängerung immerhin eine Verdoppelung des maximalen Zahlungszeitraumes des Kurzarbeitergelds innerhalb eines Jahres dar.
Die wirkliche Neuerung aber besteht darin, dass die Unternehmer bereits nach sechs Monaten von den von ihnen zu zahlenden Sozialversicherungsbeiträgen freigestellt werden. Auch an diesem Punkt konnte die nun ausgehandelte Regelung an der Reform aus dem vorigen Jahr ansetzen. Seitdem zahlt die Bundesagentur für Arbeit bereits 50 Prozent der Beiträge – angesichts von 1,7 Millionen Beschäftigten, für die bis Ende März Kurzarbeitergeld beantragt wurde, eine beachtliche Subventionierung der Unternehmen.
Vor allem aber handelt es sich bei der Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge durch den Staat nach dem »Sonderbeitrag« zum »Gesundheitsfonds« um ein weiteres Anzeichen dafür, dass man sich vom paritätisch finanzierten Sozialversicherungssystem verabschiedet. Das fordert das Kapital bereits seit langem. Insofern über­rascht es kaum, dass die Arbeitgeber zufrieden sind mit Olaf Scholz.

Aber nicht nur bei den Bossen scheint sich die An­sicht durchgesetzt zu haben, dass es eine großartige Sache ist, wenn der Staat 60 Prozent der Lohnkosten – bei Eltern sogar 67 Prozent – für die für Unternehmen nicht vernutzbare Arbeitszeit bezahlt. Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) sagte bei der Vorstellung der Konjunkturprognose für 2009, die Maßnahme fände seine »Sympathie«. Sie sei ein wichtiges Mit­tel, um die Probleme am Arbeitsmarkt zu »entschärfen« und den privaten Konsum zu »stützen«. Und nach Ansicht der Arbeitsmarktbeauftragten der SPD, Andrea Nahles, wird gerade die Entlastung bei den Sozialbeiträgen für viele Betriebe den Ausschlag geben, »die Kurzarbeit mitten in der Krise zu verlängern, statt Arbeitnehmer zu entlassen«. Auch der DGB und die Linkspartei zeigten sich im Großen und Ganzen zufrieden. Während aber Sommer noch eine adäquate Ausdehnung der Alterteilszeit ins Spiel brachte, mahnte der stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei, Klaus Ernst, eine staatliche Garantie für die Sozialversicherungsleistungen auch über das laufende Jahr hinaus an. Schließlich ist damit zu rechnen, dass man im weiteren Verlauf der Wirtschaftskrise mit dem Argument der knappen Kassen dort sparen will.
Dass trotz aller Risiken für die Sicherungssysteme kaum Kritik an der neuen Regelung laut wird, zeigt überdeutlich, wie wichtig den Politikern die Verschleierung der Arbeitslosigkeit ist. Denn die Entscheidung wird vor allem damit begründet, dass Entlassungen verhindert werden. Was für die Beschäftigten immerhin gelegentlich den Vor­teil hat, länger auf dem Niveau des Arbeitslosengelds I zu leben – bis 24 Monate Kurzarbeiter­geld plus zwölf Monate Arbeitslosengeld I nach der Entlassung –, könnte langfristig eine spezifisch rheinische Form des hire and fire nach sich ziehen.
In den USA, wo es weder einen Kündigungsschutz noch Kurzarbeit gibt, wechseln die Arbeits­kraftverkäufer zwischen Beschäftigung in der Konjunktur und Arbeitslosigkeit in der Krise. Hier­zulande könnte der Wechsel zwischen Beschäftigung und Kurzarbeit noch größere Dimensionen annehmen, wenn der Staat, wie derzeit abzusehen, zukünftig auch die letzten Arbeitgeberbeiträge noch streicht.

Vor allem eine Branche wird aber schon jetzt über alle Maßen von der Ausdehnung der Kurzarbeit profitieren: die Weiterbildungsinstitute. Denn die Anteile der Unternehmer an den Sozialabgaben werden künftig schon vollständig erstattet, wenn sich der Kurzarbeiter in eine Weiter­bildung begibt. Dass der Arbeitsmarktexperte des DGB, Wilhelm Adamy, im Tagesspiegel an die Unternehmen appellierte, ihre Mitarbeiter zu qualifizieren, »um dem drohenden Fachkräftemangel rechtzeitig entgegenzuwirken«, wird vor diesem Hintergrund die geringste Motivation für die betroffenen Unternehmen darstellen.
Angesichts der permanenten Verfügbarkeit der in Kurzarbeit Befindlichen – viele erfahren erst einen Tag vorher, ob sie arbeiten kommen sollen oder nicht – werden wohl eher Weiterbildungen boomen, die den Charakter von Beschäftigungstherapien haben: »Kommunikationsworkshops«, Mediationswochenenden und ähnlicher Krimskrams für eine immer weniger zu vernutzende Klasse. Immerhin, bespielt wird sie noch.