Opel und die neue deutsche Industriepolitik

Opel fährt nach Hause

Mit den Plänen für Opel könnte die deutsche Regierung den Präzedenzfall für eine neue Industriepolitik geschaffen haben.

Im Jahre zehn nach der neuen nationalen Zeitrechnung verkündete einst Jürgen Mahneke, der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats bei Holzmann: »Der Kanzler hat uns ein frohes Weihnachtsfest beschert.« Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte dem bankrotten Baugiganten 250 Millionen Mark Bundeshilfe zur Verfügung stellt. Die Belegschaft des Unternehmens skandierte den Vornamen des kurzfristig vom »Genossen der Bosse« zum Arbeiterführer gewandelten Regierungschefs der rot-grünen Koalition.
Zwei Jahre später war trotzdem Schluss – Holzmann wurde endgültig abgewickelt. Was Friedrich Merz (CDU) und Guido Westerwelle (FDP) einen »Angriff auf die Freiheit« nannten und ihnen jahrelang Stoff für Wahlkampfreden lieferte, nimmt sich angesichts der Pläne für Opel aus wie die berühmten Peanuts.

Immerhin schlug sich dies in der Inszenierung nieder. Statt populistischer Clownerie prägte staatsmännische Ernsthaftigkeit das Ringen um das »Rüsselsheimer Traditionsunternehmen«. Zwei Nächte lang zogen sich die Verhandlungen zwischen der Bundesregierung, den betroffenen Landesregierungen, der US-Botschaft, dem Chef von General Motors in Europa, Carl-Peter Forster, sowie Vertretern von Opel und den beiden verbliebenen Interessenten Fiat und Mag­na hin, bevor übermüdete Gestalten am Samstag vor die Mikrofone traten und das Ergebnis verkündeten, das gefeiert wurde wie sonst nur Fußball-Weltmeistertitel.
Die Herauslösung von Opel aus dem General-Motors-Konzern, der aber immerhin 35 Prozent der Anteile behalten wird, und die Übernahme des operativen Geschäfts durch den größten Autozulieferer der Welt, Magna, war die sowohl von der IG Metall als auch von der deutschen Regierung präferierte Lösung. Sogar bei den Kosten blieb die Bundesregierung im vorgesehenen Rahmen. 1,5 Milliarden zur treuhänderischen Überbrückung der nächsten Monate und 4,5 Milliarden für Bürgschaften in den kommenden fünf Jahren lässt man sich die Heimholung Opels kosten.
So konnte der Vizekanzler und SPD-Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier von einem »guten Tag für Opel und den Industriestandort Deutschland insgesamt« sprechen, und die Kanzlerin meinte, eine »Perspektive für die Zukunft« erkennen zu können. Lediglich Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der immer wieder eine geordnete Insolvenz in die Diskussion gebracht hatte, wirkte sichtlich entnervt. Niemand aber nahm die Einigung so euphorisch auf wie die Gewerkschaften, die sich schon vor den Verhandlungen besonders vehement für eine »deutsche Lösung« – so nannte es der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats, Klaus Franz – ausgesprochen hatten. Nach ausgiebigen Dankesreden diktierte ein sichtlich gut gelaunter Berthold Huber, der Vorsitzende der IG Metall, der versammelten Presse in die Notizblöcke, dass nun endlich der Weg für eine »gute Zukunft« Opels frei geworden sei.
Bloß für die Beschäftigten sieht die Zukunft nicht so rosig aus. Magna hat angekündigt, 11 000 Stellen bei Opel abzubauen, allein in Deutschland 2 500 der insgesamt 26 000 Arbeitsplätze des Unternehmens. Hinzu sollen drastische Lohnkürzungen kommen, wie Franz eingestand.

Noch schlimmer kann es kommen für den Fall, dass das Konzept der österreichisch-kanadischen Magna-Gruppe und der hinter ihr stehenden russischen quasi-staatlichen Sberbank, mit 35 Prozent nunmehr neben GM größter Anteilseigner bei Opel, doch nicht aufgeht. Denn das gilt vielen Experten, etwa dem Sprecher der Bamberger Forschungsstelle für Automobilwirtschaft, Wolfgang Meinig, als »extrem wackelig«.
Zunächst einmal ist es überhaupt nicht ausgemacht, dass GM sich völlig zurückziehen wird. Im Gegenteil. Fritz Henderson, Präsident des Konzerns, betonte sogleich seinen Wunsch nach einem »Produktionsverbund zwischen GM und Opel«. Hinzu kommt, dass in dem in Kürze in den USA beginnenden Insolvenzverfahren dem ehemals größten Autokonzern der Welt eine Abspaltung der defizitären Teile nach Art einer Bad Bank ermöglicht werden soll, was ein Abschieben von Opel für GM weniger attraktiv macht. Vor allem aber ist Magna selbst derzeit keineswegs besonders erfolgreich. Der Eigentümer Frank Stronach musste bereits im ersten Quartal dieses Jahres 150 Millionen Euro Verlust vermelden.
Entsprechend hängt die »deutsche Lösung« vor allem von der russischen Sberbank ab. Ob Stronach im Falle einer Einigung mit GM in den kommenden Monaten mehr als ein reines Exekutivorgan des russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin darstellen wird, darf ernsthaft bezweifelt werden. Insofern ist die allgemeine Zufriedenheit mit der gefundenen Lösung trotz Merkels Beschwörung der »transatlantischen Gemeinschaft« bei Opel auch ein deutliches außenpolitisches Signal der Orientierung deutscher Industriepolitik.
So liegt die Zukunft Opels nun in der Erschließung des russischen Automarkts, den Putin mit Hilfe aus Rüsselsheim zu modernisieren hofft. Dabei soll das Händlernetz von GAZ, dem zweitgrößten Automobilhersteller Russlands, der dem schwer angeschlagenen Oligarchen Oleg Deripaska gehört, behilflich sein. Da Stronach bereits verkündet hat, kein Eigenkapital bei Opel investieren zu wollen, könnte langfristig die Putin-Deripaska-Connection auch das operative Geschäft übernehmen. Angesichts einer insgesamt in aller Welt produzierten Überkapazität von 16 Millionen Fahrzeugen – eine Zahl, die Professor Ferdinand Dudenhöffer auf dem CAR-Symposium im Januar in Bochum vorstellte – immerhin eine Perspektive für Opel auf dem international immer härter umkämpften Automobilmarkt. Im bizarrsten Fall könnte die »deutsche Lösung« in der Verlagerung der Produktion nach Russland bestehen. Man darf gespannt sein, wie die vielen Kritiker von GM darauf reagieren werden.

Ob Opel nun überleben wird oder auch nicht, innenpolitisch könnte die Rettung einen Präzedenzfall mit ungeahnter Wirkung darstellen. Die bisherigen Aktivitäten des Wirtschaftsfonds Deutschland, der etwa Unternehmen wie Schiesser, Märklin oder die Werftengruppe Wadan mit Hilfen bedachte, spielten in der öffentlichen Diskussion wegen der deutlich geringeren Summen oder wegen des geringen Bekanntheitsgrads der Unternehmen nur eine untergeordnete Rolle verglichen mit dem Bankenrettungsfonds. Doch längst schon hat sich eine Reihe von Unternehmen formiert, die ebenfalls um Überbrückungshilfe bitten. Im Gegensatz zum Wirtschaftsminister will Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) etwa eine Hilfe für den Warenhauskonzern Arcandor, zu dem Karstadt gehört, nicht ausschließen. »Ideologische Vorfestlegungen« gebe es mit ihm nicht, sagte der Minister
Überbrückungszahlungen oder auch langfristige Bürgschaften für krisengeschüttelte Unternehmen abzulehnen, dürfte nach dem Präzedenzfall Opel jedenfalls schwer fallen. Der Unterschied zu Holzmann seinerzeit liegt auf der Hand. Es geht nicht mehr darum, das eine oder andere Unternehmen vor dem Untergang oder, begleitet von nationalen Tönen, vor dem Verkauf an ausländische Konkurrenten zu bewahren. Nach den Geschenken an die Banken richtet man sich darauf ein, langfristig auch die Akkumulation mit Staatsgeldern am Laufen zu halten. Allen Warnungen vor einer Inflation zum Trotz überbieten sich die Regierungen dabei, ihre Industriestandorte künstlich zu erhalten. Nicht nur die letzten Meldungen über die geschätzten Steuerausfälle von 350 Milliarden Euro bis 2013 zeigen, dass die Staatsverschuldung auch in Deutschland in immer drastischere Sphären steigen wird.

Das ganze Geschehen nur als Wahlkampf ab­zutun, geht in jedem Fall am Gegenstand vorbei. Auch wenn dieser eine Rolle spielen dürfte – im Gegensatz zu den Sozialdemokraten, die in ihrem Element sind, wirkt die CDU leicht verkrampft –, deutet sich in immer stärkerem Maße eine permanente Krise des Kapitals an.
Wegen der gesteigerten Produktivität entstehen spürbare Überkapazitäten, und das Kapital findet keine Investitionsmöglichkeiten, was die Spekulationsblasen entstehen lässt. Da sich deswegen die wirtschaftlichen und staatlichen Faux Frais im Verhältnis zu den produktiven Wirtschaftsbereichen immer weiter ausdehnen, ist ein Aufschwung wie in der Nachkriegsära nur noch schwer vorstellbar. Die von vielen Kommentatoren konstatierte Renaissance des Keynesianismus könnte den einen oder anderen Anhänger dieses Modells jedenfalls erschrecken. Denn der neue »Notstands-Keynesianismus« (Robert Kurz) ist keiner, der über Schutzmaßnahmen oder Nachfragepolitik die Lohnabhängigen stärkt, sondern einer, der die Konzerne stützt. Dies dürfte zu Lasten öffentlicher Leistungen geschehen.
Vor 150 Jahren bereitete sich ein kleiner Trupp von Sozialrevolutionären, der sich etwas großspurig Bund der Kommunisten nannte, auf die drohenden kapitalistischen Krisen vor. In einer Ansprache ihrer Zentralbehörde schlug ihr junger Cheftheoretiker folgende Strategie vor: »Wenn die Demokraten die Regulierung der Staatsschulden verlangen, verlangen die Arbeiter den Staatsbankrott.« Es scheint, die kapitalistischen Staaten sind ihm zuvorgekommen.