Das Fest der Linkspartei

Country for Old Men

Die Partei »Die Linke« hat sich offiziell erst vor zwei Jahren gegründet. Deshalb nennt sie sich gern eine »junge Partei«. Ihr Parteifest am vergangenen Wochenende bot ein anderes Bild.

Ein Blick von der Galerie hinab in den mit zahl­reichen Anhängern der Partei »Die Linke« gefüllten Saal, in dem Sahra Wagenknecht gleich aus ihrem Buch »Wahnsinn mit Methode« vorlesen wird, verrät vieles. Etwa, wieso es in manchen Fußgängerpassagen noch immer Boutiquen gibt, die graugelbe Blusen und jene sandfarbenen Westen mit Funktionstaschen verkaufen, angesichts derer man sich fragt, wer hier noch einkauft. Das Publikum, dass sich bei der Auftaktveranstaltung des Fests der Partei »Die Linke« am Wochenende in der Berliner Kulturbrauerei versammelt hat und dort auf Wagenknecht wartet, beweist, dass es für jene Kleidung durchaus Nachfrage gibt.
Geraden Schrittes betritt Sahra Wagenknecht die Bühne, wie immer die Haare streng zum Dutt geknotet. Ihr homogenes Publikum, dass ganz nebenbei seinen Frühschoppen abhält, applaudiert, bevor Wagenknecht über die Ergebnisse der Europa-Wahl und den Neoliberalismus doziert. Insbesondere ihr Westerwelle-Bashing ist ein ­gefragter Schlager, der von euphorischem Applaus und wohlwollendem Kopfnicken beglei­tet wird.
Während draußen noch die Stände aufgebaut werden, an denen es morgen Bratwurst, Bier, Ostalgie und Geschimpfe auf »die da oben« geben wird, liest Wagenknecht mit melancholischer Miene aus dem Vorwort ihres Buches. Ihre Stimmlage erinnert dabei an die Szenen aus der Fernsehsendung die »Supernanny«, in denen Kinder auf die »stille Treppe« geschickt werden, weil sie nicht spuren. Hier geht es aber nicht um Kevin oder Chantal, hier geht es um »Private-equi­ty-Piraten«. Auf die faltigen Gesichter der Zuhörer legen sich noch tiefere Stirnfalten, die Mundwinkel ziehen schwer nach unten, die Köpfe nicken nach jedem Satz.
Auf der folgenden Diskussionsveranstaltung reden der Parteivorsitzende Lothar Bisky, Kerstin Kaiser, die bis zur »Verschmelzung« mit der Wasg Mitglied des PDS-Parteivorstandes war, und ­Petra Pau, die Vizepräsidentin des Bundestags, über »Straßburg, Saarbrücken, Berlin – Linke Stationen 2009«. Strasbourg im Jahre 2009 – eine »linke Station«? »Unsere Klientel geht nicht zur Europa-Wahl«, dementiert Bisky den Titel der Veranstaltungsrunde, während er versucht, das schlechte Abschneiden der Linken bei der Europa-Wahl zu erklären.

Die zweite, noch anstehende »linke Station« dieses Jahres, Saarbrücken, scheint angesichts des Misserfolgs bei den Europa-Wahlen unterzugehen. Zumindest spricht an diesem Abend niemand über die anstehenden Landtagswahlen im Saarland, bei der Lafontaine Spitzenkandidat sein wird. Dass Lafontaine heute zum Parteifest nicht kommen konnte, liege nicht an einem Zerwürfnis zwischen ihm und dem hier vertretenen Osten der Partei, geben mehrere Genossen Auskunft. Das geschlossene Bild soll nicht durch Streiterei gebrochen werden.
Über die verschiedenen Flügel wird dann doch gesprochen. Bisky sagt mahnend: »Wenn man sich weiter streitet und spaltet, dann sollte das schlechte Abschneiden der Linken Italiens bei der Europa-Wahl als Lehrstück dienen.« Programmatische Auseinandersetzungen seien dagegen in jeder guten Partei normal. Auf diese geht Bisky jedoch nicht weiter ein, die alle Flügel einigende Kritik der FDP ist unkomplizierter: »Siegt Westerwelle, dann gute Nacht Deutschland«, ruft er und erntet Applaus. Dass hier sowieso niemand FDP wählen wird, spielt da keine Rolle. Anschließend nutzt Petra Pau die Runde, um für eine durchstrukturierte Agenda zu plädieren, die dem Bürger diene und nicht parteiinternen Strömungen: »Ein Vogel fliegt nur, wenn der Körper als ganzes in der Mitte liegt, denn dann kann er mit den Flügeln schlagen.«
Währenddessen sitzt ein stämmiger, bärtiger Mann, der einen Postbank-Schlüsselanhänger um den Hals trägt, in der Sonne vor den Backstein­mauern der alten Brauerei und verbreitet seine Ansichten zur »Linken« mit wütender Stimme. »Die Studierten mit ihrem Gerede machen ja auch nichts, und dann sind uns die Straßendiplomierten am 1. Mai auch noch in den Rücken gefallen«, kommentiert er die Krawalle am 1. Mai in Kreuzberg. Ein älterer Herr mit beiger Mütze, goldener Sonnenbrille und einer Flasche Bier in der Hand hört ihm zu und klagt seinerseits sein Leid. »Die wollten uns ja nicht mehr nach der Wende. Wir waren ja nichts mehr wert«, sagt er und klammert sich mit beiden Händen an seine Bierflasche.

Wie schlimm die »Wende« war, hört man hier in jeder Ecke, auch auf den Podien. Etwa von der niederländischen Schauspielerin Cox Habbema, einer einstigen freiwilligen Bewohnerin der DDR. Die Ostler seien 1989 belogen und betrogen worden. Obwohl »die Ostler sehr schnelle Denker gewesen und die besseren Menschen waren«, sagt sie. Das Publikum ist begeistert.
Auf einer anderen Bühne spricht Gregor Gysi. Die Ostmitglieder der Partei hätten ja lange anderer Erfahrungen gemacht als die Westler, sagt er. »Die hatten in der Bundesrepublik ja keine Chance, da links der Sozialdemokratie nichts möglich war. Da kann man schon mal so im Kopf werden«, sagt der Liebling der Zuschauer mit ­einer Drehbewegung seiner Hand in der Höhe des Kopfes, als wolle er sagen, die Westler sei­en eben irre. Dennoch gibt er sich optimistisch, dass sich die ehemaligen Wasg-Mitglieder noch entwickeln werden. Als Gysis Auftritt endet, wird er gefragt, was für ihn der Exportschlager Berlins sei. Unter anderem antwortet er: »Die Jugend, die sich diese Stadt erarbeitet hat«,.
Wer hier im Publikum sitzt, gehört meist nicht zu jenem Exportschlager. »Die Linke muss mehr für junge Leute tun«, sagt deshalb Ernesto, der mit seinen 23 Jahren aus dem Rest des Festes heraussticht. Aber er und seine Freundin sind nur hier, um sich die Stände der iranischen Kommunisten, der Taz und der vielen linken Aktionsbündnisse anzuschauen. Vor der großen Kinderbühne, auf der gerade die Mädchen der Kinder-Tanzgruppe »Step by Step« einstudierte Tänze zeigen, wirken die knapp 20 Kinder recht verloren. Ein zur Belustigung der Kleinen an­geheuerter Mann im Piratenkostüm schlendert lustlos an den Ständen vorbei und wartet auf Kinder.
»Wenn sie die ganz Jungen haben wollen, dann müssten hier die Grünen sein«, sagt Steffen Twardowski, ehemals Moderator der DDR-Jugendsendung »elf99«, der selbst mittlerweile Mitte 40 ist. Am Bratwurststand steht ein junger Mann mit Chucks und Jackett, an das er einen Button der Linken gesteckt hat. Er kommt aus Thüringen und ist Mitglied im Stadtverband Suhl. Nach seinen Angaben besteht der 300 Mitglieder starke Verband vor allem aus Rentnern. »Man muss sich schon auf die Hinterbeine stellen, um Nachwuchs zu bekommen«, sagt er und blickt auf den Boden. Für Diana Golze, die Kinder- und Jugendpolitische Sprecherin der Fraktion im Bundestag ist, ist die »Linke« aber keineswegs eine aussterbende Partei. Dass bei Wagenknecht keine jungen Leute im Publikum saßen, versteht sie nicht als Zeichen der Vergreisung. »Wagenknecht ist jetzt auch nicht die Lektüre für junge Leute«, sagt sie lächelnd. Außerdem kämpften ja alle Parteien mit Nachwuchsmangel.