Die Biennale in Venedig

Der Trend geht zu Faden und Netz

Bei den 53.  »Olympischen Spielen« der Kunst, der Biennale in Venedig, ist viel ästhetisch ansprechende Kunst und wenig Krise zu sehen.

Il Presidente della repubblica«, sagt der Carabiniere achselzuckend, als er uns und alle anderen Rastsuchenden vom Ra­sen vor dem italienischen Pavillon ver­scheucht. Das reicht dem Uniformträger als Erklärung, warum es nicht angeht, dass man liegend auf der Wiese des Ausstellungs­geländes Arsenale herumlümmelt, wenn gerade der Ex-Kommunist Giorgio Napolitano auf sei­nem offiziellen Eröffnungs-Trip vorbeikutschiert wird. Dabei hat uns der kleine Tross rund um das greise italienische Staatsoberhaupt im Golf­wägelchen schon ganz unzeremoniös passiert, ohne von den von Venedigs schwüler Hitze und endlosen Kunstmeilen Ausgepowerten im Gras Notiz zu nehmen. Immerhin hat der Presidente selbst bereits eine erstaunlich kurze Verleihung der Goldenen Löwen hinter sich, die unaufgemotzt unter freiem Himmel stattfand, an Yoko Ono und John Baldessari für ihr Lebenswerk, an Tobias Rehberger als besten Künstler, an die USA bzw. Bruce Nauman für den besten Pavillon und an die junge Schwedin Nathalie Djurberg (Silberner Löwe) als beste Nachwuchskünstlerin.
Alles ruhig und normal also – weder von Hys­terie noch Krise ist bei dieser 53. Auflage der seit über 100 Jahren existierenden Turnus-Ausstellung etwas zu spüren, die mit 90 Teilnehmern aus 77 Ländern nicht nur die klassischen Stätten Giardini und Arsenale bespielt, sondern mit ihren zahllosen Parallel-Events und ausgelagerten Landes- und Extra-Ausstellungen wieder einmal die ganze Stadt mit Kunst überzieht. Vor den Giardini dümpeln die üblichen megalomanischen Yachten, doch ein sichtbarer Besucheransturm für Sonntag, dem ersten für die Allgemeinheit offenen Tag, bleibt aus.
»Fare Mondi«, das vom US-amerikanischen Phi­losophen Nelson Goodman entlehnte »Welten-Machen«, haben der Schwede Daniel Birnbaum, Leiter der Frankfurter Städelschule und jüngster Biennale-Kurator aller Zeiten, und sein deut­scher Co-Kurator Jochen Volz der 53. Biennale als Konzept verordnet. Wo man wohlwollend von künstlerischen »Visionen« spricht, werden schnell auch Geniekult und Eskapismus aufgerufen. Weder die Finanzmarktkrise, die im Kunst­markt nach vorsichtigen Schätzungen Einbrüche bis 80  Prozent verursacht hat, noch die prekären Produktionsbedingungen von Künstlern werden in den Arbeiten selbst thematisiert – was natürlich nicht verwunderlich ist, denn wer hier ausstellt, hat es nach marktstrategischen Kriterien sowieso geschafft.
So ist die präsentierte Kunst durchaus ästhetisch geschmackvoll, ohne einem diskurstheoretische, politische Fragestellungen aufzudrän­gen oder einen gar zum Stolpern zu bringen. Das Thema des Welten-Bauens schlägt sich nieder in bewusst großen Würfen, erstaunlich häu­fig werden Fäden verknüpft und Netze gespannt, beispielsweise von Lygia Pape, Tomas Saraceno, Moshekwa Langa oder Haegue Yang, der umgekehrt von der Decke hängenden, explodierenden Papparchitektur Yona Friedmans, der psychedelisch-grellen Cafeteria-Deko von Tobias Rehberger, dem aus Zivilisationstrash zu­sammengesampelten Schattenspiel von Hans-Peter Feldmann oder dem schwülstig-kitschigen Skulpturenwald aus pseudoexotischen Pflanzen der mit dem Silbernen Löwen ausgezeichne­ten Nathalie Djurberg.
Interessanter sind da die subtileren Interpretationen im Arsenale, wie die enigmatische Videoarbeit der Karlsruherin Ulla von Brandenburg, in der eine bürgerlich wirkende Wahlfamilie bei scheinbar profanen Tätigkeiten in end­losen Schlaufen durch eine von Le Corbusier konzipierte Villa verfolgt wird, unterlegt von merkwürdig eingängiger, theatralischer Musik. Oder Grazia Toderis Videoinstallation, die mit ihren langsam umherfliegenden Leuchtpunkten über einer nächtlichen Stadt wirkt wie eine unheimliche Ästhetisierung des Bombardements von Bagdad. Auch Tamara Grcics im Freien befindliche, raumgreifende Installation, die man mit ihren im Wasser schwankenden Rettungsbooten zunächst als einen Teil des venezianischen Alltags fehlinterpretiert, bis man den nicht mit der Umgebung korrespondierenden Sound und die über den orangenen Plastikinseln hängenden Mikros bemerkt, ist eine erfreuliche Irritation – wie auch ein Großteil der interessan­ten Arbeiten im Arsenale im Freien zu begutachten ist, im erstmals wieder genutzten Giardino delle Vergini, der mit seiner gepflegten Verwilderung angeblich des Kurators ganzer Stolz ist.
So fragt man sich denn auch, ob die Werke nur durch ihre wild-romantische Umgebung und die sich aufdrängende Vorstellung, man habe hier etwas Verstecktes entdeckt, so gut wirken – Tatsache ist jedoch, dass das etwas quatschige Man-Animal-Machine-Trash-Video des katalanischen Duos Bestué-Vives, das unheimlich verwunschene Hänsel-und-Gretel-Haus mit dem Backsteine kotzenden Ofen und vor allem die schlicht auf weißen Stein gepinselten melancho­lisch-ironischen Botschaften von Indie-Darling Miranda July in diesem Kontext den Betrachter ästhetisch durchweg ansprechen.
In den Länderpavillons löst man die Problematik der nicht mehr zeitgemäßen Nationalisierung von Kunst und der daran gebundenen Frage der Repräsentation (bekanntlich sind die festen Länderpavillons in den Giardini begrenzt, so dass teilnahmebegierige exkludierte Länder auf Örtlichkeiten in der Stadt ausweichen müssen) auf unterschiedliche Weise – z.B. mit Selbstironisierung, die allerdings verschieden gut funktioniert. Die nahe des Bahnhofs gelegene thailändische Landesausstellung setzt im Westen kursierende Klischees über das Tourismusland in grell-ironischen Postern um, während die Australier, durch einen Giardini-Pavillon privilegiert, mit slicken Mad-Max-Appropriierun­gen von Wüste und lederbejackter Motorrad-Toughness letztlich leere Design-Kunst produzieren. Der erstmalig installierte Pavillon der Vereinigten Arabischen Emirate, kuratiert von der Documenta-Macherin Catherine David, irritiert völlig mit seiner klischeehaften Modell-Darstellung arabischer Protz-Architektur und der freundlichen Begrüßung durch Kopftuch tragende Hostessen. In den ebenfalls zum ersten Mal eingerichteten palästinensischen Ausstellungsräumen, weitab vom Schuss auf der ehe­maligen Arbeiterinsel Giu­decca, geht es vorhersehbarerweise viel um Deterritorialisierung, Ausnahmezustände und Freiheitskampf, ohne dass die Wahl der künstlerischen Mittel jedoch allzu plakativ wäre.
Im russischen Pavillon rekurriert Irina Korina mit ihrer überladenen Fontänen-Skulptur im Discount-Tischdecken-Gewand auf die Kitsch-Architektur im sowjetischen Ausstellungsgelände VDNH in Moskau, ihre Kolleginnen aus Süd­korea und Japan gehen ihre Länderbeiträge gegenderter an: Die Koreanerin Haegue Yang spielt mit luftigen Jalousien und einer Referenz auf Martha Roslers »Semiotics of the Kitchen« auf die Unsichtbarkeit weiblicher Arbeit an, und die Japanerin Miwa Yanagi lässt Cunning­ham’eske Monsterhybride aus alten und jungen Frauen aus riesigen Tableaus dräuen. Die vielleicht sympathischste, weil uneitelste intelligen­te Arbeit auf dem ganzen Gelände könnte jedoch das von Katrin Rhomberg kuratierte Werk »Roman Ondáks« für den tschechisch-slowakischen Pavillon sein: Im geöffneten Gebäude geht einfach das Außen der Giardini mit Sträuchern und Erdwegen weiter, so dass man eigent­lich nirgends eintritt und doch immer noch drinnen ist, wenn man schon wieder draußen ist. Bei der Kunstkritik kam selbstverständlich die smarte Komposition der nordischen Pavillons von Elmgreen/Dragset gut an – zwei zusammenzudenkende skandinavische Häuser, die von Kunstsammlern besessen und verlassen wurden und der »Dekadenz« anheim gegeben sein sollten. Was wieder einmal beweist: Das Begehrenswerteste an Venedig scheint immer noch die absurd luxuriöse Infrastruktur aus exquisiter (Innen-)Architektur zu sein. In der lässt es sich, gerade in Zeiten der Krise, eben nach wie vor wunderbar schwelgen.