Lafontaine und seine Kritiker in der Linkspartei

Wir sind Oskar!

Die Gegner Oskar Lafontaines in der Links­partei sind nicht in der Lage, die Übernahme der Partei durch Lafontaine aufzuhalten. Sie wollen das angesichts der bevorstehenden Wahlen aber auch gar nicht.
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»Wenn eine Partei sich streitet, wird sie zu Recht von Wählerinnen und Wählern dafür bestraft.« Lothar Bisky, der Parteivorsitzende der Partei »Die Linke«, machte die innerparteilichen Auseinandersetzungen mit verantwortlich für das unerwar­tet schlechte Abschneiden der Partei bei den Europa-Wahlen. Nur 7,5 Prozent statt der angekün­digten »10 plus X«. Ursprünglich war als Wahlziel sogar großspurig »10 plus XXL« ausgegeben worden. Biskys Konsequenz aus der Europa-Wahl: Man solle nun im Bundestagswahlkampf auf Streit, »soweit es eben geht, verzichten«. Er betont das, wo er er geht und steht. Dies scheint jetzt das Wichtigste zu sein.
Die Rufe nach Geschlossenheit zeigen vor allem eines: In der Partei kann von Friede, Freude, Eierkuchen nicht die Rede sein. Die politischen Flügel der Realos und »Fundis« streben immer mehr auseinander. Die Parteispitze ist nervös. Stefan Liebich, ehemaliger Parteivorsitzender im Berliner Landesverband, und Sprecher des realpolitischen Reformer-Flügels »Forum Demokratischer Sozialismus« (FDS) widerspricht im Gespräch mit der Jungle World Bisky ganz deutlich: »Dass jetzt als Lehre aus dem schlechten Wahlergebnis bei der Europa-Wahl – auch von Bisky und Gysi – gesagt wird, der Streit habe uns geschadet, halte ich für falsch. Meinungsunterschiede müssen offen ausgetragen werden.« Doch davon ist wenig zu spüren. Lafontaine kritisieren? Das wäre »politischer Selbstmord«, heißt es regelmäßig aus Vorstandskreisen.

Diejenigen, die ihre Kritik doch vorbringen, tun es dann zumeist besonders drastisch. Etwa durch den Austritt aus der Partei. So zuletzt die Europa-Politikerin Sylvia-Yvonne Kaufmann, der Berliner Abgeordnete Carl Wechselberg und der sächsische Landtagsabgeordnete Ronald Weckesser. Der ehemalige »Vordenker« der Partei, André Brie, der dieses Jahr keinen Listenplatz mehr für die Europa-Wahl bekam und nun um ein Direktmandat für den Bundestag in einem Süd-Branden­burger Wahlkreis kämpft, hatte im Spiegel, den »Lafontainismus« in der Partei kritisiert. Brie warn­te davor, dass Lafontaine die Partei »fast allein« nach außen vertrete und seine »Vasallen« die Par­tei mit »Machtspielchen und Postenkämpfen« in »zahllose Zirkel« zerlegen würden. Freke Over, der früher Abgeordneter in Berlin und stadtbekannter Hausbesetzer war, inzwischen in Branden­burg auf dem Land lebt und nur noch kommunalpolitisch in seinem Dorf für die »Linke« aktiv ist, meldete sich am Montag im Neuen Deutschland zu Wort: »Lafontaine hat die Realos aus dem Osten an die Wand gedrückt. Die Technokraten aus dem Westen übernehmen nach und nach das Ruder, den offensiven Diskurs von früher gibt es nicht mehr.«
Viel mehr Kritik an Lafontaine ist kaum zu ver­nehmen in der Partei. Selbst die schärfsten Kritiker seines Kurses gestehen ihm zu, den Erfolg der »Linken« in den vergangenen zwei Jahren zu verantworten. Selbst André Brie lobte in seinem Spiegel-Artikel Lafontaine als guten Strategen. Halina Wawzyniak, stellvertretende Bundesvorsitzende und ebenfalls Mitglied des Reformer-Netzwerks FDS, sagte zur Jungle World: »Ich glaube, es gibt einige Lafontaine-Kritiker, aber es sind weniger, als es medial den Anschein hat.« Und ihre eigene Kritik an Lafontaine? »Die würde ich ihm persönlich sagen.« Die Geschlossenheitsappelle wirken. Bisky behauptet sogar, es gebe gar »keine Anti-Oskar-Stimmung«. Vor allem aber darf es keine geben, zu viel verdankt man ihm, so viele wichtige Wahlen stehen bevor. Nicht nur die Bundestagswahl, sondern auch Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und dem Saarland. Die Erwartungen in der Partei sind enorm.
Klappe halten ist angesagt, zumindest bis zu den Bundestagswahlen im Herbst. »Ab September wird zurückgeschossen«, erklären Reformer hinter vorgehaltener Hand, und manche setzen auch auf den Faktor Zeit und die Mathematik. Durch eine Quotenregelung im Verschmelzungsvertrag zwischen PDS/Linkspartei und Wasg haben die Landesverbände West bei der Bestellung von Delegierten zu Parteitagen derzeit einen enormen Vorteil. Die Wessi-Quote wird jedoch in den nächsten Jahren schrittweise abgebaut, wodurch der im Vergleich zu den Mitgliederzahlen überproportionale Einfluss der Westverbände wieder langsam abnehmen wird.

Vieles hängt daher auch davon ab, wie nachhaltig Lafontaine die Partei in dieser »Übergangsphase« prägen kann. Nach der Bundestagswahl wird sich entscheiden, wer künftig als Vorsitzender die Bundestagsfraktion führen wird – bisher teilen sich Lafontaine und Gregor Gysi den Job. Und im kommenden Frühling wird der Bundesvorstand neu gewählt. Die dort bisher bestehende Doppelspitze aus Lafontaine und Bisky soll dann ein Ende haben. Lafontaine hat angekündigt, dass er sich vorstellen könne, die Aufgabe alleine zu übernehmen.
Die Frage ist also: Wie viel Lafontaine wird die Linkspartei künftig enthalten? Die Kandidatenlisten für die Bundestagswahl sind inzwischen alle gewählt, die Reformer treten vor allem im Osten und die »Fundis« eher im Westen an. Die künftige Fraktion dürfte noch polarisierter sein, als es die bisherige schon ist. In Nordrhein Westfalen kandidiert zum Beispiel auf sicherem Listenplatz Christiane Buchholz von der in die Partei diffundierten trotzkistischen Splittergruppe Linksruck, die sich als »Marx 21« in der Partei organisiert. Buchholz steht für eine Politik, die radikal antiimperialistisch, antiwestlich und regressiv antikapitalistisch ist (Jungle World 07/2008). In Berlin kandiert dagegen Ober-Reformer Stefan Liebich.
Doch nicht immer und in abnehmendem Maße verläuft die Front im Richtungsstreit zwischen Ost und West. Auch im Osten begeistern sich immer mehr Mitglieder für den national-sozialen Populismus eines Oskar Lafontaines, und im Wes­ten werden durch die Betätigung in der Kommunalpolitik immer mehr Mitglieder in eine prag­matische Sachzwang- und Realpolitik eingebunden. Michael Höntsch, Fraktionsvorsitzender im Stadtrat von Hannover, ist einer von ihnen. Er kam aus der Wasg zur »Linken«, hatte die SPD we­gen der Schröder-Politik verlassen. Bei den »Linken« gehört er nun zum Reformer-Netzwerk. Im niedersächsischen Landesverband ist er ein dezidierter Gegner seines nationalbolschewistischen Landesvorsitzenden Dieter Dehm. Gegen Lafontaine will aber auch er nichts sagen, nur so viel: Eine Partei brauche weder »Säulenheilige« noch »Fan-Clubs«. Vor allem irritiere ihn, wie sich Lafon­taine »von seinen größten Fans instrumentalisieren lässt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Lafontaine etwas mit den Trotzkisten von ›Marx 21‹, der ›Antikapitalistischen Linken‹ oder der KPF (Kommunistische Plattform, d. Red.) am Hut hat.«
Diese »Fundi«-Strömungen, ebenso die »Sozialistische Linke« (SL) unterstützen in der Tat Lafontaine überraschend offensiv – obwohl der ehe­malige SPD-Vorsitzende als langjähriger Ministerpräsident und – nur zum Beispiel – Akteur der Asylrechtsänderung 1993 alles andere als ein Linksradikaler ist. Sie setzen auf ihn offenbar als Gegenpol zum realpolitischen Reformerflügel. Und in der Tat lässt Lafontaine sie auffällig gewäh­ren, hilft ihnen sogar dabei, ihren Einfluss in der Partei zu erweitern. Auch Lafontaine kritisierte wiederholt die »rechten Sozialdemokraten« in ostdeutschen Landesverbänden und meinte da­mit die Reformer und speziell auch den Berliner Landesverband, der sich in einer Regierungskoalition mit der SPD befindet und als besonders reformorientiert gilt. Für »links« hält Lafontaine offenbar ebenso wie die »Fundi«-Netzwerke einen möglichst simplen Antikapitalismus gegen die »Bonzen und Banken« und eine nationale antiimperialistische Außenpolitik. Ob es bei diesen merkwürdigen Konstellationen eine Rolle spielt, dass Lafontaine mit der Old-School-Kommunistin Sahra Wagenknecht von der KFP mehr als ein gleiches Parteibuch verbinden soll, wie seit Mo­naten auf den Partei- und Fraktionsfluren kolportiert wird, lässt sich kaum beurteilen.

Auf dem bevorstehenden Parteitag und bei der dort geplanten Debatte um das Wahlprogramm wird man von dem Richtungsstreit jedenfalls nicht viel zu hören bekommen. Die zahlreichen Änderungsanträge aus dem Reformerflügel zielen vor allem auf eine Überarbeitung der Präambel, um wie Stefan Liebich sagt, »die sprachliche Radikalisierung abzuschwächen«. Außerdem wolle man, so Liebich, »linke Politik vom sozialen Feld auf weitere, emanzipatorische Felder erweitern«.
Hinter sprachlichen Details können sich zuweilen aber entscheidende politische Grundpositionen verbergen. So beantragt etwa der Kreisverband Darmstadt: »Im Programm sollte der an vielen Stellen auftauchende Begriff ›Kapitalismus‹ ersetzt werden durch den Begriff ›Raubtierkapitalismus‹, ›Finanzkapitalismus‹ oder ›heutiger Kapitalismus‹.« Begründet wird dies mit der Feststellung, dass schließlich »die meisten Klein- und Mittelunternehmen« ebenfalls kapitalistische Unternehmen seien, und jene will man schließlich unterstützen. Den gegenteiligen Antrag gibt es vom Kreisverband Offenbach: Der Parteitag möge in dem Satz »Der Finanz-Kapitalismus hat die Welt in die schwerste Finanz- und Wirtschafts­krise seit 80 Jahren getrieben« den Wortteil »Finanz-« streichen. Der »so genante Finanz-Kapitalismus« sei »nur eine Facette des Kapitalismus«. Weiter heißt es: »Eine Unterscheidung in Finanz- (raffendes) und produktives (schaffendes) Kapital ist schlicht falsch, weil faktisch gleichen ideologischen Ursprungs und obendrein mit Blick auf die deutsche Geschichte gefährlich.« Vom FDS gibt es ähnlich lautende Anträge.
Dass hinter diesem kleinen Streit ums Wort völlig unterschiedliche Kapitalismus-Analysen stecken, wird auf dem bevorstehenden Kuschel­partei­tag sicher nicht diskutiert werden. Und dass zumindest in diesem Fall Reformer zuweilen eine weitergehende und fundamentalere Kapitalismuskritik formulieren als »Fundis«, zeigt, wie schwierig die Einordnung der beiden Flügel in links und rechts tatsächlich ist. Erst recht bei außenpolitischen Fragen (Jungle World 21/2008).
An diesem Wochenende geht es aber erst einmal nur um das Wahlprogramm. Das Parteiprogramm der »Linken« – bisher hat die Partei keines – wird nicht vor Ende 2010 verabschiedet werden. Bis dahin aber wird sich spätestens gezeigt haben, wer den jetzt gerade so lautlos und diskret stattfindenden Richtungskampf gewonnen haben wird.