Kalifornien ist pleite

Hasta la vista, California!

Der wirtschaftlich stärkste US-Bundesstaat ist zahlungsunfähig. Dennoch will Gouverneur Schwarzenegger die Staatseinnahmen nicht erhöhen.

Wenn Kalifornien ein Privatunternehmen wäre, müsste nun ein Insolvenzrichter die Geschäftsführung übernehmen. Der »Golden State« ist zah­lungsunfähig, und Gouverneur Arnold Schwar­zen­egger kann nicht hoffen, dass überraschende Goldfunde ihm aus der Klemme helfen. Im Haushalt des Bundesstaates fehlen 26 Milliarden Dollar, viele Analytiker fürchten nun, dass der Bank­rott des Bundesstaats den Rest der USA wirtschaftlich mit in den Abgrund reißen könnte.
Trotz des drohenden Kollapses liefen die Ver­hand­lungen über das Budget für kalifornische Verhältnisse in den gewohnten Bahnen. Die Demokraten haben die Mehrheit im Parlament, sie propagierten in den vergangenen Wochen eine Mischung aus einschneidenden Kürzungen und Steuererhöhungen, um das Defizit zu verringern. Doch die oppositionellen Republikaner und ihr Gouverneur Schwarzenegger lehnen Steuererhöhungen ab, sie blockierten wiederholt die Haushaltsvorlagen. Die kalifornische Verfassung fordert eine Zweidrittelmehrheit für das Verabschieden des Staatshaushalts, überdies kann der Gouverneur sein Veto einlegen.
Dieses Verhandlungsszenario ist Routine, in der Vergangenheit löste es kleinere Krisen aus, doch wurde in letzter Minute fast immer eine Lö­sung für die Haushaltsfragen gefunden. Wegen der Wirtschaftskrise und der stark rückläufigen Staatseinnahmen ist die Situation jetzt jedoch besonders brisant, und im Ursprungsland der »Rea­gan Revolution« wollen die Republikaner nicht von ihrem ideologischen Prinzip der permanenten Steuerentlastung für die Privilegierten abrücken.

Koste es, was es wolle. Etwa 60 000 Angestellten droht in den kommenden Tagen die Entlassung, alle anderen werden zu unbezahltem Urlaub gezwungen. Die Zuschüsse für Schulen und Universitäten sowie Studiendarlehen und Stipendien werden zusammengestrichen. An den Universitäten werden im Herbst bis 50 000 Studierende weniger erwartet, auch Tausenden von Wissenschaftlern droht die Entlassung. Gut drei Viertel aller Parks und staatlichen Erholungsorte sind be­reits seit Wochen geschlossen. Rund 500 000 Menschen wird die Sozialhilfe gekürzt, mindestens 200 000, vielleicht aber auch eine Million Kinder könnten den Anspruch auf Gesundheitsversorgung verlieren. Viele Staatsausgaben werden seit Donnerstag voriger Woche nur noch per Schuldschein beglichen. Kalifornien erlebt, anders als bei Marx vorgesehen, das Absterben des Staats, organisiert von den Republikanern.
Gut zwei Dutzend Bundesstaaten haben ebenfalls hohe Defizite, darunter Arizona, Illinois, Indiana und Pennsylvania. Doch haben sich die Regierungen dieser Bundesstaaten zur Reduzierung von Ausgaben und zu Steuererhöhungen durchgerungen. In Kalifornien hingegen verhindern die Republikaner mit ihrer Sperrminorität eine solche Lösung.

Überall in Kalifornien entstehen Zeltdörfer obdachloser Familien, die Arbeitslosenrate ist auf knapp zehn Prozent gestiegen. Doch Kalifornien verfügt noch über Geld, nach wie vor ist der Bundesstaat einer der größten Geber für die Zentralregierung. Allerdings wird befürchtet, dass die kalifornische Haushaltskrise die wirtschaftliche Depression verschärft. Da der Bundesstaat immerhin 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der USA erwirtschaftet, könnte die Krise auch die Lage in anderen Bundesstaaten verschlechtern, das hätte auch Auswirkungen auf den Gesamthaushalt der USA. Dennoch will Präsident Barack Obama Kalifornien keine Staatshilfen gewähren. Denn mit der Weigerung, die Steuereinnahmen anzuheben, habe der Bundesstaat seine Notsituation selbst verschuldet.
Schwarzeneggers Amtszeit dauert noch bis Ende 2010, doch die meisten Kalifornier würden ihren Gouverneur wohl gerne schon vorher verabschieden. Den neuesten Umfragen zufolge genießt Schwarzenegger nur noch die Zustimmung eines Drittels der Bevölkerung. Im Mai hatte er versucht, per Referendum einen Haushaltskompromiss für die nächsten drei Jahre durchzusetzen, doch stimmte die Mehrheit gegen seinen Vorschlag. Seitdem beharrt er stur darauf, den Haus­halt allein durch Kürzungen zu sanieren. Gegenüber der New York Times beteuerte er am Wochenende, dass er mit dieser Politik nur dem Willen der Wähler folge. Ihn störe die Notsituation nicht, sein abendliches Bad im Whirlpool mit seiner Zigarre genieße er noch.
Tatsächlich hat Schwarzenegger nicht ganz un­recht, wenn er versucht, den Wählern Kaliforniens die Schuld an der Misere zu geben. Denn die Blockade der Republikaner im Parlament ist nicht der einzige Grund für die Krise. Seit gut 30 Jahren wird die Erhebung von höheren Steuern regelmäßig per Referendum erfolgreich bekämpft. Das Vorbild war die berüchtigte Proposition 13 im Jahr 1978, sie schränkte die Erhebung von Grund­stückssteuern, die für die Bundesstaaten eine der wichtigsten Einnahmequellen sind, stark ein.
Die kalifornische Verfassung gestattet es, bindende Referenden zu zentralen politischen Fragen abzuhalten. Als Beispiel für die Erfolge einer »direkten Demokratie« kann diese Regelung nicht gelten, vielmehr gelang es den Konservativen immer wieder, Ressentiments gegen Arme und Minderheiten zu nutzen. In der Regel gehen die Referenden zu Lasten sozial marginalisierter Gruppen und sind in der Vergangenheit genutzt worden, um die Rechte legaler und illegaler Einwanderer zu beschneiden, sozialstaatliche Leistungen zu streichen oder auch, wie im November 2008, die Ehe gleichgeschlechtlicher Paare zu verbieten.

Wie es weitergeht, ist ungewiss. Aber eins ist für die Courage Campaign, eine progressive kalifornische Basisorganisation, klar: Das System der Schuldscheine, der »Arnoldbucks«, müsse so­fort weg. »Wie soll man Lebensmittel mit Arnold­bucks kaufen?« fragt die Kampagne plakativ. Die ersten 28 000 Schuldscheine empfingen überwie­gend Bürger, die eigentlich eine Steuerrückerstattung erwartet hatten. Bereits in diesem Monat werden wohl auch Sozialhilfeempfänger Schuldscheine statt Geld erhalten.
Die Courage Campaign wirbt für einen neuen Verfassungskonvent, um die »Systemfehler« ein für alle Mal zu beseitigen. Doch auch über Verfas­sungsänderungen muss in einem Referendum abgestimmt werden. Ein Erfolg ist fraglich, denn meist werden die Kalifornier dem Ruf ihres Bundesstaats, ein Refugium der linken Toleranz zu sein, nicht gerecht.
Eine Ausnahme war ein 1996 abgehaltenes Referendum, das den Anbau, Verkauf und Konsum von Marihuana für medizinische Zwecke legalisierte. Da viele Ärzte die »medizinischen Zwecke« großzügig auslegen, hat sich der legale Marihuanakonsum zu einem wirtschaftlichen und daher auch haushaltsrelevanten Faktor entwickelt. Marihuana ist das umsatzstärkste Agrarprodukt Kaliforniens, und Legalisierungsbefürworter rechnen nun vor, dass ein Green New Deal Steuer­mehreinnahmen von 1,2 Milliarden Dollar pro Jahr einbringen könnte. Auch Zulieferbetriebe, Gas­tronomie und Tourismusbranche würden profitieren, überdies könnte der Bundesstaat einer Stu­die der Lobbyorganisation Norml zufolge bei der Kriminalitätsbekämpfung 170 Millionen Dollar einsparen.
Zumindest in diesem Punkt scheint der ehema­lige Kiffer Schwarzenegger nicht der republikanischen Linie folgen zu wollen. Er befürwortet ei­ne »Debatte« über die Legalisierung. Immerhin warten in einem ansonsten sehr steuerkritischen Staat Millionen Menschen darauf, endlich ihren Beitrag zur Haushaltssanierung leisten zu dürfen.