Arbeitskämpfe in Neukaledonien

Kanaken im Visier

Im französischen Neukaledonien herrscht noch immer ein kolonialer Justizapparat, wie die drastische Verurteilung von mehreren Gewerkschaftern gerade wieder einmal gezeigt hat. Bei Arbeitskämpfen auf der pazifischen Inselgruppe spielt auch Rassismus eine Rolle.

Es ist nicht das erste Mal, dass der französische Staat die antikoloniale Gewerkschaft Ustke in Neukaledonien – einer faktischen Noch-Kolonie im Westpazifik mit dem vagen Status eines »Über­seegebiets« – ins Visier nimmt.
Ende Juni wurden 28 Aktivisten der Gewerkschaft in der Inselhauptstadt Nouméa zu Haftstrafen verurteilt. Ihnen wurde vorgeworfen, einen Monat zuvor einen »Eingriff in den Flugverkehr« vorgenommen zu haben. Die Gewerkschafter hat­ten an jenem Tag einen Streik beim Flugunternehmen Air Calédonie unterstützt, wo Gewerkschaftsmitglieder seit zwei Monaten gegen eine rechtswidrige Kündigung kämpfen. Zunächst hat­ten die Protestierenden sich friedlich vor dem Flughafen versammelt, doch infolge eines brutalen Knüppeleinsatzes der Gendarmerie mit Unterstützung des GIPN – eine Sondereinheit der fran­zösischen Polizei – waren sie auf die Start- und Landebahn gedrängt worden. Dort mussten sie sich ins Innere eines außer Betrieb befindlichen Flugzeugs flüchten, um den Schlägen zu entgehen. Dies sollte ihnen nun zum Vorwurf eines »Eingriffs in den Luftverkehr« gemacht werden, obwohl zu diesem Zeitpunkt kein einziges Flugzeug startete oder landete.
Die Repression zielt auf die Spitze des Gewerkschaftsverbands: Sowohl der Ustke-Chef Gérard Jodar als auch der Vorsitzende der Baugewerkschaft der Ustke, Michel Safoka, wurden zu einem Jahr ohne Bewährung verurteilt. Die beiden wurden zusammen mit vier weiteren Aktivisten, noch aus dem Verhandlungssaal heraus in Haft überstellt und in das überfüllte Gefängnis Camp Est transportiert. Üblicherweise können in Frankreich nach einem Strafprozess die Verurteilten das Gericht zunächst frei verlassen und später über den Zeitpunkt und die Modalitäten ihrer Haft ver­handeln.
In Neukaledonien – dort soll nach 2013 über eine mögliche Unabhängigkeit abgestimmt werden – gibt es keine mit Laienrichtern besetzten Arbeitsgerichte wie in Frankreich, wo die so genannten »conseils de prud’hommes« paritätisch mit Gewerkschafts- und Arbeitgeberrichtern besetzt sind. In Neukaledonien ist hingegen ausschließlich der de facto koloniale Justizapparat auch für Arbeitsrechtsprozesse zuständig. Da insofern eine sozialrechtliche »Vermittlungsinstanz« vollständig fehlt, werden Arbeitskämpfe oftmals sehr hart ausgetragen, dauern lange und sind hochgradig politisiert. Zudem haben die­se Arbeitskonflikte häufig eine rassistische Dimension, da in der Ustke überwiegend Angehörige der melanesischen Bevölkerungsgruppe organisiert sind, die auch »Kanaken« genannt wer­den und rund die Hälfte der Inselbevölkerung stellen.
Vorsitzender der Gewerkschaft allerdings ist ein antikolonialistisch gesinnter, weißer Inselbewohner, Gérard Jodar. Jodar war schon im vorigen Jahr zu einer mehrmonatigen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt worden, nachdem es bei der Transportgesellschaft Carsud am Rande eines Arbeitskampfs zu heftigen Zusammenstößen mit Polizeikräften gekommen war. Jodar war zwar nicht am Ort des Geschehens, aber er wurde in seiner Eigenschaft als »organisatorisch Verantwortlicher« in Kollektivhaftung genommen.