Militär, Rechte und soziale Bewegungen in Honduras

Zurück zur Bananenrepublik

In Honduras haben sich das Militär und die alte rechte Elite an die Macht geputscht. Zugleich hat sich dort erstmals eine breite gesellschaftliche Bewegung zusammengefunden, die gegen die Putschisten demons­triert.

»Wir werden den Präsidenten schützen, wenn er nach Honduras zurückkehrt«, sagt Lorena Delaya, eine Aktivistin des Bloque Popular, des wichtigsten Zusammenschlusses linker Basisbewegungen und Gewerkschaften. »Wir verfügen nicht über Waffen, aber der Mut und die Entschlos­senheit der Menschen auf der Straße ist beeindruckend.« Seit der amtierende Präsident Manuel »Mel« Zelaya am Morgen des 28. Juni von Militärs verhaftet und nach Costa Rica ausgeflogen wur­de, herrscht in dem kleinen zentralamerikanischen Land in zweierlei Hinsicht der Ausnahmezustand. Mit nächtlicher Ausgangssperre, zahl­reichen Straßenkontrollen und einer faktischen Nachrichtensperre versucht die Armee, die neu ge­wonnene Macht zu sichern. Gleichzeitig haben sich sämtliche zivilgesellschaftlichen Kräfte zu ei­ner Einheitsfront zusammengeschlossen und sind fest entschlossen, den Putsch rückgängig zu machen.
»Ich war keine Anhängerin des Präsidenten, aber jetzt kämpfe ich um das, wofür er steht: für die Idee, dem Volk eine Stimme zu geben«, sagt Lorena Delaya. Als Kandidat der Liberalen Partei von Honduras (PLH) hatte Manuel Zelaya am 27. Novem­ber 2005 die Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden können. Wie die gesamte politische Elite gehört auch er der herrschenden Oligarchie aus Großgrundbesitzern und Unternehmern an, pflegte als konservativ geltender Politiker gute Kontakte zu den USA und der deutschen FDP. Doch nach der ersten Hälfte seiner Amtsperiode bekannte er sich unerwartet zu linken Positionen. Hatte er sich bereits im ersten Amtsjahr durch den Beitritt von Honduras zu Hugo Chavez’ Petro­caribe-Projekt pragmatisch an die venezolanische Regierung angenähert, um eine Kostensenkung für Erdöl zu erreichen, so setzte er 2008 den Beitritt von Honduras zur Bolivarianischen Allianz für die Völker unseres Amerika (Alba) durch. Dieses wirtschaftspolitische Bündnis bildet das Gegenprojekt zur von der US-Regierung propagierten Freihandelszone Alca, die von Alaska bis Feuerland reichen soll. Dadurch kam es für Zelaya nicht nur zum Bruch mit der eigenen Partei – der politische Kurswechsel versetzte die alte Oligarchie in Panik.
Am Tag des Putsches sollte eine rechtlich unver­bindliche Volksbefragung zeigen, ob die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung Un­terstützung finden würde. Dafür waren zuvor knapp eine halbe Million Stimmen gesammelt wor­den. Eine Verfassungsänderung sollte vor allem die Wiederwahl des Präsidenten ermöglichen und damit eine dauerhafte politische Wende in Honduras garantieren, denn im Januar 2010 wäre die Amtsperiode Zelayas offiziell beendet gewesen. Diese der Politik Hugo Chávez’ nachempfundenen Maßnahmen wurden von sämtlichen staatlichen Institutionen als »Gefahr für die Demokratie« eingestuft. »Gerüchte waren im Umlauf über Enteignungen und sogar über eine generelle Abschaffung des Privat­eigentums im Zuge einer neuen Verfassung«, berichtet Lorena Delaya kopfschüttelnd.

Schon in der Woche vor der angekündigten Volks­befragung gab es ernstzunehmende Anzeichen für einen Umsturzversuch des Militärs. Wenige Ta­ge vor dem Putsch trat der gesamte Führungsstab der honduranischen Streitkräfte nach Auseinandersetzungen mit Zelaya geschlossen zurück, nachdem dieser den Oberbefehlshaber der Streitkräfte abgesetzt hatte. Dieser hatte sich ge­weigert, die für die Volksbefragung vorgesehenen Stimmzettel herauszugeben. Mit einem spektakulären Go-in holte Zelaya diese mit einigen tausend Anhängern aus einem Luftwaffenstützpunkt. Am Vortag des Putsches ließ der Kongress unter Vorsitz von Roberto Micheletti dann als letzte Ge­genmaßnahme eine Untersuchung vor dem Obersten Gericht einleiten, ob der Aufruf zur Volks­befragung verfassungskonform sei. Das Gericht entschied, dass die Volksbefragung ein Verfassungs­bruch sei. Die Militärs, die den amtierenden Präsidenten in den Morgenstunden festnahmen, waren also mit einem offiziellen Haftbefehl ausgestattet.
Sobald die Militärs Zelaya aus dem Bett geholt und nach Costa Rica verfrachtet hatten, begannen erbitterte Straßenkämpfe vor dem Präsidentenpalast. Schon einen Tag nach dem Putsch wurde von den Gewerkschaften, allen voran von der Lehrergewerkschaft und dem Bloque Popular, der Generalstreik ausgerufen. 60 Gruppen und Bewegungen schlossen sich zur Nationalen Widerstandskoordination zusammen: Gewerkschaften, Bauernorganisationen, Umweltorganisationen, Frauengruppen, Studierendenverbände, linke Splitterparteien sowie Gruppen von Indigenen und Garifunas, der schwarzen Minderheit der Karibikküste. In Bussen und sogar zu Fuß sind Delegationen aus dem ganzen Land auf dem Weg in die Hauptstadt im Landesinneren. »Dabei herrscht eine unglaubliche Desinformation vor, es gibt lediglich einige wenige Radiosender, die immer wieder gewaltsam von Soldaten eingenom­men werden, weil sie andere Informationen als die offiziellen und eindeutig propagandistischen Nachrichten senden«, berichtet Lorena Delaya. »Die staatlichen Medien sind abgestellt, die privaten Kanäle gleichgeschaltet, dort wird Micheletti kommentarlos mit ›unser verehrter Herr Prä­sident‹ angeredet.«
Bekannte Oppositionelle sowie die Angehörigen von Zelayas Kabinett sind wohlweislich untergetaucht, gegen 600 Personen liegen Haftbefehle vor. Mindestens drei Personen, ein Abgeordneter, ein Angehöriger der Telekommunikationsbehörde und ein Demonstrant, wurden bisher vom Militär ermordet. Verschiedene Personen, wie etwa der bekannte Karikaturist Allan McDonald sowie zahlreiche Journalisten, wurden zeitweise entführt oder gelten noch als verschwunden.

In Honduras sind es vor allem Graswurzelbewegungen, die die Organisationsform und Ideologie der radikalen Linken prägen. Denn wegen der stets starken Repression von autoritären Zivil- und Militärregierungen konnten sich keine traditionell kommunistischen Strömungen herausbilden, wie sie in den Nachbarländern Guatemala, El Salvador und Nicaragua stets die Basis der jewei­ligen Guerilla bildeten. Bauernorganisationen wie Via Campesina und die radikale Umweltorganisation Madre Tierra sind in Honduras Vorreiter im Protest gegen Freihandelsabkommen und neoliberale Umstrukturierungen. Diese Bewegungen haben Zelaya maßgeblich bei der Organisation der geplanten Volksbefragung unterstützt.
»Die staatliche Repression wiegt schwer. Hunderte von Soldaten stehen mit Panzern und Tränen­gas den nur mit Steinen bewaffneten Demons­tranten gegenüber«, berichtet Juan Almendarez, der im Jahr 2005 Präsidentschaftskandidat der linken Partei der Demokratischen Union (UD) war. »Eine neue Ära der Gewalt ist in Honduras an­ge­brochen. Die vorhandene strukturelle Unterdrückung, die vorherrschende Armut, die soziale Un­si­cherheit, horrende Arbeitslosigkeit, die unangetasteten Machtverhältnisse im Land werden nun mittels direkter militärischer Gewalt aufrechterhal­ten. Zahlreiche Rechte sind außer Kraft gesetzt.«
Juan Almendarez sagt, die Macht sei nach dem Putsch zwar an den vormaligen Kongressvorsitzenden Roberto Micheletti abgegeben worden, doch würden sämtliche staatlichen Einrichtungen de facto von Angehörigen des Heeres geleitet. Ro­berto Micheletti ist gewiss keine charismatische Führungskraft, selbst parteiintern konnte er sich bei den Liberalen keine Basis von Anhängern schaffen. Er dient bei diesem Putsch offenbar nur als vorgeblich demokratisches Aushängeschild einer Militärdiktatur, die zugunsten der traditionellen rechten Oligarchie die Macht an sich reißt.
Wer nicht zu dieser Oligarchie gehört, ist hoher sozialer Unsicherheit ausgesetzt. 80 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Auf den Straßen, die sich durch die Wohn­viertel auf den Hügeln Tegucigalpas schlängeln, sitzen tagsüber fast alle jungen Männer gelangweilt auf der Straße. Wer hier einen Job hat, ist eine Ausnahme. In Honduras herrscht eine kollektive Depression, jeder sucht Arbeit, doch alle wissen schon, dass sie keine finden werden. »Alle wollen in die USA, der ›amerikanische Traum‹ ist allgegenwärtig«, beschreibt Edith Zavala vom Nationalen Migrationsforum Honduras (FONAMIH) den regelrechten Exodus der honduranischen Bevölkerung. »Man kann davon ausgehen, dass alle 15 Minuten ein Honduraner auswandert. Die Geldrücksendungen von Migrantinnen und Migranten aus den USA beliefen sich im vorigen Jahr auf rund 25 Prozent des Bruttoinlands­produkts«, berichtet die junge Frau. »Die Auswirkungen der Wirtschaftskrise, aber auch die ver­stärkten Razzien in den USA haben nun eine Rückkehrerwelle ausgelöst. Diese Menschen strö­men hier auf einen Arbeitsmarkt, der im Grunde genommen nicht vorhanden ist.«

»Wir sind eigentlich noch immer die gleiche Bana­nenrepublik wie vor 60 Jahren, als die United Fruit Company dieses Land regierte«, konstatiert Juan Almendarez, der als Arzt in Armenvierteln und indigenen Gemeinden im ganzen Land tätig war. »Heute sind es andere multinationale Unternehmen, wie Monsanto und Yamana Gold, die auf der Basis von Freihandelsabkommen die Menschen und die Bodenschätze ausbeuten.« Fir­menkonsortien aus Kanada und den USA halten die Konzession über ein Drittel der Landfläche von Honduras. In offenen Tagebauminen wird Gold mithilfe hochgiftiger Chemikalien abgebaut. Die honduranische Regierung erhält einen winzigen Bruchteil des Gewinns. »In den Textilfabriken der Freihandelszonen, den Maquiladoras, herrschen sklavenähnliche Arbeitsbedingungen«, sagt Lorena Delaya. »Arbeitsrechte sind dort ein völlig unbekannter Begriff.«
Auch wenn Zelaya vielleicht nicht zu Unrecht un­terstellt wird, dass er mit einer Verfassungsänderung vor allem seine Wiederwahl und die Sicherung seiner Macht verfolgt, hat die Aussicht auf eine Volksbefragung das Land jedenfalls schlagartig polarisiert. Seine Gegner haben präventiv zum gewaltsamen Gegenschlag ausgeholt. Seine Unterstützer jedoch, denen zuvor niemals ein Mitspracherecht zugestanden wurde, was die ma­roden wirtschaftlichen und politischen Zuständen im Land angeht, werden sich kaum mehr zum Schweigen bringen lassen. »Zelayas Verdienst ist es, dass er zum ersten Mal das Volk zum Dialog eingeladen hat«, sagt Juan Almendarez. Eine so politisierte und organisierte Bevölkerung hat es in dem kleinen zentralamerikanischen Staat jedenfalls nie zuvor gegeben.