Der G8-Gipfel in Italien

Gipfel ohne Sturm

Ein Treffen zwischen Trümmern, eine »rote Zone« in Rom, eine perfekte Inszenierung und kaum Protest – die Bilanz des G8-Gipfels in L’Aquila.

Ein voller Erfolg! Vielleicht der beste Gipfel überhaupt! Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi war bester Laune und sparte auf der abschließenden Pressekonferenz des G8-Treffens vergangene Woche in L’Aquila nicht mit Superlativen. Guido Bertolaso, der Leiter des zivilen Katastrophenschutzes, der dafür gesorgt hatte, dass die Staatsgäste von Protesten unbehelligt durch das Erdbebengebiet reisen konnten, wird den Gipfel sogar als »eines der schönsten Kapitel in der Geschichte des Landes« in Erinnerung behalten.
Für die Staats- und Regierungschefs der teilnehmenden Länder war dagegen bereits vor dem Beginn des Gipfeltreffens in L’Aquila klar, dass »das Format« der G8-Treffen ausgedient hat und wichtige Entscheidungen allenfalls im September auf dem Weltfinanzgipfel der G20 in Pittsburgh getroffen würden. Auch die internationale Bewegung der Gipfelgegner hatte das Treffen der großen Acht in den Abruzzen bereits abgeschrieben und stattdessen mit ihren Vorbereitungen für die UN-Klimakonferenz im Dezember in Kopenhagen begonnen. Somit war das Gipfeltreffen nur noch für die Gastgeber selbst von größerer Bedeutung.

Unter dem Titel »Die Welt zu Gast in Trümmern« wurde ein Spektakel mit einigen Stars und vielen altbekannten Komparsen inszeniert. Das zerstörte Stadtzentrum von L’Aquila und die eingestürzten Bergdörfer in der Umgebung boten eine eindrucksvolle Kulisse. Dennoch konnte die Aufführung nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die italienische Trümmerlandschaft weit über das Erdbebengebiet hinaus erstreckt.
Das Image des Ministerpräsidenten ist vor allem jenseits der eigenen Landesgrenzen ruiniert. Aufgrund der Skandale um seine Person sieht die angloamerikanische Presse die Glaubwürdigkeit des Landes in Frage gestellt; die englische Tageszeitung The Guardian spekulierte sogar über einen bevorstehenden Ausschluss Italiens aus dem Club der großen Acht.
Die wenigen Beschlüsse, die auf dem Gipfel in L’Aquila gefasst wurden, stehen im Widerspruch zu den politischen Entscheidungen der rechten Re­gierungskoalition. Zwar unterschrieben auch die Gastgeber die Absichtserklärung, wonach die durchschnittliche Erderwärmung nur um maximal zwei Grad im Verhältnis zum vorindustriellen Zeitalter ansteigen und der CO2-Ausstoß bis 2050 um 50 Prozent reduziert werden soll, ein Programm zur Förderung erneuerbarer Energien liegt jedoch nicht vor. Stattdessen beschloss der italienische Senat just während des G8-Gipfels in L’Aquila die Rückkehr zum Atomstrom. Der Ankündigung der führenden Industrienationen, in den kommenden drei Jahren 20 Milliarden Dollar für die Entwicklung der afrikanischen Landwirtschaft bereitzustellen, schenkt in Italien niemand Glauben, da das Land bisher nur drei Prozent der bereits beim Gipfeltreffen 2005 in Glen­eagles angekündigten Zahlungen geleistet hat.
Doch für Berlusconi ging es in L’Aquila nicht um Inhalte, sondern um eine perfekte Inszenierung. Dazu gehörte auch, mutmaßliche Störenfriede präventiv auszuschalten. In Ermangelung einer starken Anti-G8-Bewegung trafen die Repressionsmaßnahmen die Studentenbewegung Onda Anomala (Jungle World, 47/08).

Zu Beginn der Gipfelwoche wurden in Turin, Padua, Bologna und Neapel 21 Personen in Untersuchungshaft genommen. Ihnen wird vorgeworfen, im Mai bei der militanten Demonstration gegen ein Treffen von Universitätsrektoren aus den G8-Ländern Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet zu haben. Die verspäteten Festnahmen wurden damit begründet, dass angesichts des G8-Gipfels »Wiederholungsgefahr« bestünde.
Tatsächlich schien es so, als würde mit der völlig überzogenen Polizeiaktion unter dem Operationsnamen »Rewind« am Tag der Anreise der Gipfelteilnehmer eine aus der Vergangenheit bekannte Szene noch einmal gespielt. Einer von der Architekturfakultät der Universität Roma Tre organisierten Solidaritätsdemonstration für die inhaftierten Kommilitonen stellte sich in Rom ein enormes Polizeiaufgebot in den Weg. Daraufhin warfen die Protestierenden einige Müllcontainer um und zündeten sie an. Neun Studenten wurden vorläufig festgenommen und erst Ende der Woche wieder freigelassen. Ein Sit-in vor der amerikanischen Botschaft in der Via Veneto wurde dadurch verhindert, dass die Straße von beiden Seiten mit meterhohen Zäunen abgeriegelt wurde. Damit war de facto in der römischen Innenstadt eine »rote Zone« geschaffen worden, die an die Absperrungen in Genua 2001 erinnerte, jedoch in keinem Verhältnis stand zur Zahl und Kampfbereitschaft der Demons­tranten. Das Gros der knapp Tausend Protestierenden versammel­te sich friedlich auf der Piazza Barberini und verlor sich bald Richtung Bahnhof. Kleinere Gruppen tauchten zu Aktionen mit Happening-Charakter über den Tag verteilt an verschiedenen Ecken der Stadt auf und sorgten damit zeitweise für Verkehrschaos.
Das Gebiet rund um L’Aquila wurde von mehr als 15 000 Beamten unterschiedlicher Einheiten der Polizei und der Carabinieri kontrolliert. Einige lokale Bürgerkomitees versuchten mit dem ironischen Slogan »Yes, we camp« die Aufmerksamkeit des US-amerikanischen Präsidenten auf sich zu ziehen. Eine Gruppe namens »Last Ladies« besetzte ein unbeschädigtes leerstehendes Gebäude der Stadtverwaltung in L’Aquila aus Protest gegen die gleichermaßen zögerlichen wie unsinnigen Wiederaufbaupläne der Regierung. Die meisten Aquilaner blieben jedoch in ihren Zeltstädten und übernahmen die Rolle des freundlich applaudierenden Publikums für die unzähligen VIPs, die durch die Trümmer geführt wurden. Carla Bruni-Sarkozy zeigte sich angesichts der Katastrophe zu Tränen gerührt, Barack Obama krempelte seine Hemdsärmel hoch, als würde er mit anpacken wollen. Doch der eigentliche Stargast war George Clooney. Er wurde begeistert umjubelt, als er versprach, im Herbst zurückzukommen, um einen Film zu drehen und damit das richtig große Kino nach L’Aquila zu bringen.
Die Abschlussdemonstration, die von den Basisgewerkschaften und der Rifondazione Comu­nista gegen den erklärten Willen der lokalen Bürgerkomitees organisiert worden war, fiel erwartungsgemäß klein aus. Circa 3 000 »No Globals« marschierten mit ihren roten Fahnen durch das Erdbebengebiet. Versuche, die Absperrungen zu durchbrechen und bis ins Zentrum L’Aquilas zu gelangen, wurden nicht nur von der Polizei, sondern auch von Vertretern der Bürgerkomitees unterbunden, die ihren explizit überparteilichen Charakter gewahrt sehen wollten. »Wir haben schon genug Probleme, die No Globals sollen ruhig bleiben und uns keinen Ärger machen!« Die Stimmung in den Zeltstädten entlang der Route des Protestmarsches war einhellig, die erhoffte massenhafte Solidarisierung der Einheimischen mit den Protestierenden fand nicht statt.

Italiens globalisierungskritische Bewegung hat sich in unzählige Fragmente aufgespalten, und den einzelnen Splittergruppen gelingt es nicht, zu einer schlagkräftigen, wirkungsvollen Opposition zusammenzufinden. Immerhin entsteht derzeit offenbar ein Bewusstsein für die eigene Krisensituation. Anders als die Politiker, die von einem gelungenen Gipfel sprechen, rief Luca Casarini, einer der Anführer der ehemals starken globalisierungskritischen Bewegung, auf globalproject.info unmittelbar nach den Gipfeltagen zu einer offenen und kritischen Strategiediskussion auf: »Wenn wir davon ausgehen, dass die Epoche, die uns 2001 in Genua dazu brachte, die Mächtigen dieser Welt herauszufordern, zu Ende ist, dann muss das auch für die Bewegungen gelten, die sich damals gebildet haben.« Er greift vor allem die »Partei der No Globals« an, die in L’Aquila versucht habe, trotz einer völlig veränderten globalen Konstellation die alten Proteststrukturen und Methoden wieder aufleben zu lassen. Die eigentliche Bewegung habe dagegen nicht allein wegen der Katstrophensituation in L’Aquila auf die Organisation eines zentralen Sozialforums verzichtet und stattdessen diverse Protestaktionen in der Region veranstaltet.
Casarini zieht aus der treffenden Einsicht, dass die Linke eine historische Niederlage erfahren hat und damit der antagonistischen Bewegung ihr politisches Subjekt auf unabsehbare Zeit ver­loren gegangen ist, den falschen Schluss, dass sich Widerstand nur noch lokal organisieren lasse. Insbesondere die von Casarini als »außerordentliches Beispiel« hervorgehobenen Proteste gegen den Ausbau des US-Militärflughafens Dal Molin in Vicenza zeigen deutlich, dass auch lokale Initiativen nicht davor gefeit sind, in alte, antiimperialistische Interpretationsmuster zurückzufallen. Die beschworene »territoriale Verwurzelung« führt mitten im Norden, dem Kernland der Lega Nord, eher zu zweifelhaften überparteilichen Kooperationen. Es besteht die Gefahr, dass die Bewegung auf lokaler Ebene den patriotischen Kleingeist reproduziert, den die nationale Politik der rechten Regierungskoalition vorgibt.