Zwei-Klassen-Hartz IV

Früher war’s auch nicht viel besser

Wer lange in die Sozialversicherung einzahlte, solle mehr ALG II bekommen als lebenslange Transferbezieher, forderte Heinrich Alt. So würden die Hartz-Reformen teilweise rückgängig gemacht. Besser würde dadurch aber nichts.

Jüngst machte Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, einen Vorschlag für »mehr Gerechtigkeit«. Angesichts der erwarteten Auswirkungen der Krise auf den Arbeitsmarkt befürchte er, »dass im kommenden Jahr die Zahl derer steigt, die in die Sozialkassen eingezahlt haben und dennoch in das Hartz-IV-System übergehen«, wie er Welt online sagte. Für das kommende Jahr erwartet die Bundesagentur immerhin 750 000 Arbeitslose mehr, 450 000 von ihnen seien dann auf Hartz IV an­gewiesen, wird geschätzt – schwäbische Facharbeiter, die die Raten für ihr Haus abzahlen müssen, Menschen aus der Mittelschicht, für die vor der Krise nicht vorstellbar war, einst zu den von ihnen oft verachteten Hartz-IV-Empfängern zu gehören.
Um ihnen den Abstieg weniger grauenvoll erscheinen zu lassen, schlug Alt nun vor, sie »dauerhaft« gegenüber jenen zu privilegieren, die noch nie gearbeitet, die schon »ihr Leben lang Transferleistungen bezogen haben«. Ein wenig Distinktion soll sein, und dies »dauerhaft«. Wer länger in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt habe, solle auch mehr bekommen. Denn bisher bekommen Erwerbslose, wenn sie aus dem Arbeitslosengeld I in die Grundsicherung durch ALG II rutschen, nur zwei Jahre lang einen »Armutsgewöhnungszuschlag«. Danach sind sie ebenso arm wie jene ALG-II-Empfänger, die nie in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben.
Heinrich Alts Vorschlag bekam kaum Zustimmung, alle hatten etwas dagegen. Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) warf Alts Vorschlag vor, er »drehe die Hartz-Reformen zurück«. Damit hat er nicht ganz unrecht, haben doch früher die Arbeitslosen Arbeitslosengeld, dann Arbeitslosenhilfe bezogen, all dies am Versicherungsprinzip und am ehemaligen Verdienst orientiert. Mit der Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe zu »ALG II« bekamen stattdessen alle nun früher oder später die staatliche Fürsorge zu spüren, egal, ob ehemaliger Besserverdiener oder Transferbezieher von Kindesbeinen an. Aber angesichts Tausender braver Bausparer, die jetzt in die Armut der Hartz-IV-Empfänger abzugleiten fürchten, die doch gern als arbeitsscheues Mili­eu imaginiert und demzufolge mit Sanktionen gegängelt werden, scheinen der Bundesagentur die Hartz-Reformen plötzlich irgendwie ungerecht zu sein.
Neben dem den Arbeitgebern nahe stehenden DIW sind auch die Gewerkschaften gegen den Vorschlag. »Es wäre wirklich falsch, wenn man die gesellschaftliche Spaltung noch vertiefen würde«, kommentierte Annelie Buntenbach vom DGB-Vorstand. Alts Vorschlag sei »nicht wirklich geeignet, um die Gerechtigkeitsprobleme, die dann neu aufgeworfen werden, zu lösen«. Die Hartz-Reformen rückgängig machen und wieder stärker zwischen Sozialhilfe und Arbeitslosengeld unterscheiden will offenbar niemand. Denn früher war auch nicht alles besser. Wenn Arbeitslosigkeit ein Risiko ist, das alle und auch Jüngere so hart treffen kann, dass einige nicht einmal die Chance haben, je in die Arbeitslosenversicherung einzuzahlen, wäre es kaum gerechter, wenn die, die einzahlten, mehr bekommen sollten. Selbst wenn gleiche Armut für alle mit Sicherheit auch nicht zu mehr Gerechtigkeit führt.