Sexualisierte Gewalt im Kongo

Gewalt ohne Schüsse

Sexualisierte Gewalt gegen Frauen bleibt im Kongo ein Mittel, den Krieg weiter zu führen. Die internationale Politik verspricht Investitionen in medizinische Einrichtungen, doch das eigentliche Problem ist, dass die Friedensmission der UN im Kongo den Schutz der weiblichen Zivilbevölkerung nicht gewährleisten kann.
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Die Gewalt der Kongo-Kriege findet kaum noch zwischen Soldaten statt. Es gibt auch wenig Schlach­tenlärm. Stattdessen ist die Gewalt meist leise, oft fällt nicht einmal ein Schuss. Der Osten des Kongo befindet sich seit bald 15 Jahren im Krieg, und mit den Jahren haben Vergewaltigungen, Verstümmelungen von sexuellen Organen und andere Formen von Missbrauch immer weiter zugenommen. Wann und wo es zu Vergewaltigungen kommt, ist manchmal vorhersagbar, etwa wenn eine Militäroffensive beginnt. Dann zieht sich der jeweilige Gegner zurück, um Verluste zu vermeiden. Die Zivilisten flüchten in den Busch und hoffen, dass die Bewaffneten weiterziehen. Oft jedoch kommt die Gewalt unerwartet: ein paar versprengte Soldaten, die zufällig eine Frau bei der Feldarbeit beobachten. Jugendliche aus dem Nach­bardorf, die einem Mädchen beim Feuerholzsammeln auflauern. Eine nächtliche Patrouille, die eine Tür eintritt. Wen die Vergewaltigung trifft, lässt sich schwer vorhersagen. Weiblich sind die Opfer fast immer, oft sehr jung, arm. Diese Kategorien erfüllt fast die Hälfte der Bevölkerung.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch bezeichnet den Osten der Demokratischen Republik Kongo als den »schlimmsten Platz, um eine Frau oder ein Kind zu sein«. Um wie viele Verbrechen es sich handelt, ist nicht klar. Denn die Zahlen sind das unzuverlässige Ergebnis aus der Erreichbarkeit von Hilfseinrichtungen, der Interessenpolitik humanitärer Organisationen und der Einschätzung der Dunkelziffer. Der einzig verlässliche Indikator sind die mehreren hundert Frauen und Kinder, die mit zum Teil schwersten Genitalverletzungen jeden Monat in die Krankenhäuser in den größeren Städten kommen.

Die seit einigen Jahren steigende internationale Aufmerksamkeit für diese Verbrechen führte bereits zu einer Reihe von Appellen prominenter Persönlichkeiten. Doch an der Misere ändert das wenig. »Wir haben viele, viele Besucher empfangen, jeder noch wichtiger als der vorherige«, klag­te eine humanitäre Helferin gegenüber der US-Außenministerin Hillary Clinton, die vor zwei Wo­chen den Ostkongo besuchte. »Wir haben auch viele, viele Celebrities empfangen. Am Ende haben wir den Eindruck, dass die Leute nur zum Konsum von menschlicher Armut und menschlichem Unglück hierherkommen. Und am Ende ist alles, was wir bekommen, ein Stapel Visitenkarten.« Clinton, die das Krankenhaus Heal Africa in der Provinzhauptstadt Goma im Nord-Kivu besichtigte, versuchte, der Kritik zu begegnen. Ihre Regierung werde einige Millionen Dollar in medizinische Einrichtungen investieren: »Ich will nicht zu viel versprechen. Ich bin nicht nur hier, um eine Visitenkarte abzugeben, aber ich habe auch keinen Zauberstab.«
Nun wird nicht unbedingt ein Zauberstab benötigt, um wenigstens einige der dringendsten Probleme zu lösen, statt sie durch die eigene Politik auch noch zu verschärfen. Denn eigentlich gibt es zum Beispiel die UN-Friedensmission Monuc, die bereits seit zehn Jahren mit dem Schutz der Zivilbevölkerung beauftragt ist. Doch deren Truppenstärke von derzeit knapp 17 000 Blauhelmen war immer viel zu klein, um in den unzu­gänglichen ländlichen Gebieten dauerhaft etwas auszurichten. Als Ende vergangenen Jahres eine Rebellengruppe beinahe die Provinzhauptstadt Goma überrannte, beschloss der UN-Sicherheitsrat eine Aufstockung um 3 000 Soldaten. Diese sind bis heute nicht eingetroffen. Vermutlich auch, weil die Rebellen einwilligten, ihre Kräfte in die Regierungsarmee zu integrieren. Damit war die unmittelbare Bedrohung Gomas abgewendet. Die in aller Eile entsandten westlichen Fernsehteams zogen daraufhin wieder ab.
Weitgehend unbeobachtet gehen nun seit einigen Monaten die kongolesischen Regierungstruppen gemeinsam mit der UN-Mission militärisch gegen eine zweite irreguläre Kraft vor, die Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas (FDLR). Die Nachfolgeorganisation der Verantwortlichen für den Völkermord an den ruandischen Tutsi 1994 gilt als Haupthindernis für den Frieden in der Region. Die génocidaires flohen damals vor anrückenden Tutsi-Kräften in den Kongo, wo sie seitdem eigene Gebiete kontrollieren. Doch die Offensive der UN richtet mehr Schaden an, als dass sie die FDLR zur Kapitulation zwingen könnte. Einerseits fehlt es an Logistik und Soldaten, um die von den FDLR aufgegebenen Dörfer dauerhaft zu schützen. Deshalb ziehen sich die Armee und die UN nach ihren Vorstößen wieder zurück. Dann marschieren die FDLR wiederum in die Dör­fer ein und rächen sich an vermeintlichen Kol­laborateuren, insbesondere an Frauen.
Zum anderen ist es die kongolesische Armee selbst, die für den größten Teil der sexualisierten Gewalt verantwortlich ist. Die Praktiken der Armee setzen die brutale Militärtradition der Kolonialzeit fort. Von der Regierung unterbezahlt, marodieren die Soldaten durch die Dörfer. Die Zivilbevölkerung muss Nahrung herbeischaffen und Zwangsarbeit leisten. Gegenüber sexuellen Übergriffen sind die weiblichen Zivilisten hilflos. Die international geförderte Militärreform gilt als gescheitert. Dass es ausgerechnet die UN-Mission war, die die Stationierung dieses bewaffneten Hau­fens im umkämpften Osten forderte und förderte, anstatt zunächst den Aufbau der notwendigen Hierarchie und Infrastruktur abzuwarten, bleibt in den meisten Analysen unerwähnt. Ob es richtig ist, dass die UN weiter gemeinsame militärische Offensiven mit dieser Armee durchführt, wird allerdings immer häufiger infrage gestellt.

Während die internationale Politik durch unzureichende Mittel und undurchdachte Kriegsführung die Bedingungen für Vergewaltigungen befördert, bleibt unklar, wieso diese Form von Gewalt so große Ausmaße angenommen hat. Immer wieder wird von Vergewaltigungen als taktischer oder strategischer Kriegswaffe gesprochen, die darauf ziele, die jeweils feindliche Gemeinschaft zu zerstören. Doch auch wenn es in einigen Fällen möglicherweise wirklich Vergewaltigungsbefehle gab, so scheint es sich bei der Mehrzahl der Täter um undisziplinierte Gruppen ohne politisch-militärische Motivation zu handeln. Insbesondere die kongolesische Armee, der die meisten Täter angehören, kämpft nicht gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe. Zudem steigt seit einigen Jahren auch die Zahl der zivilen Vergewaltiger. Bei der Argumentation, sexualisierte Gewalt sei eine strategische Kriegswaffe zur Zerstörung von Gemeinschaften, wird die vermeintliche Ursache mit der tatsächlichen Wirkung verwechselt.
Eher scheinen es die zerstörten gesellschaftlichen Beziehungen selbst zu sein, die zu den wesentlichen Ursachen der Geschlechtergewalt gehören. Zudem wird sexualisierte Gewalt offenbar durch patriarchale Militärkulturen in Konfliktgebieten begünstigt, wie auch die relativ häufigen Fälle von sexuellen Übergriffen durch Blauhelmsoldaten zeigen.
Den betroffenen Frauen und Kindern helfen solche Analysen allerdings recht wenig, sie benötigen vor allem Schutz und medizinische Hilfe. Doch nicht einmal dazu sieht sich die internationale Politik bislang ausreichend in der Lage.