Das polnische Institut für Nationales Gedenken

Gedenken ohne Vampire

Die konservative polnische Regierung benutzt ein Geschichtsforschungsinstitut, um ihre politischen Gegner zu diskreditieren.
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Eine offizielle Geschichtsschreibung ist in demokratischen Staaten eigentlich nicht vorgesehen. Doch die Versuchung, sich für die eigene Legitimation und zur Diskreditierung politischer Gegner der Geschichtswissenschaft zu bedienen, ist so groß, dass Regierungen sich immer wieder bemühen, die historische Forschung zu beeinflussen. In Polen gibt es dafür das Instytut Pemieci Narodowej (Institut für Nationales Gedenken, IPN), es wurde 1999 gegründet mit dem Ziel, Verbrechen gegen die polnische Nation aufzudecken und entsprechend zu verfolgen. Bei den Vorgängerorganisationen ging es noch darum, die Verbrechen der deutschen Besatzer während des Zweiten Weltkriegs aufzuklären und internationale Gerichte mit entsprechenden Beweisen zu versorgen. Nun widmet sich das IPN auch der Volksrepublik Polen. Insbesondere die Verbrechen des SB, des polnischen Pendants der Stasi, sollen untersucht werden.
In Polen spielt Geschichte eine wesentlich bedeutendere Rolle im Bewusstsein der Bevölkerung als in Deutschland. Fragen nach dem polnischen Opfermythos oder dem polnischen Märtyrertum bewegen die Menschen, die Aufarbeitung der deutschen und der sowjetischen Besatzungszeit in Polen sorgt dabei regelmäßig für erhitzte Gemüter. Damit wird die Steuerung der entsprechenden Debatten zu einem wichtigen Faktor für die Politik. Der Streit in der polnischen Öffentlichkeit über den Umgang mit den Spitzeln aus der realsozialistischen Zeit beispielsweise gipfelte in der Veröffentlichung der »Wildstein-Liste«. Bronisław Wildstein wurde im Januar 2005 international bekannt, nachdem er eine Liste mit Namen ehemaliger Mitarbeiter und Opfer des SB in Umlauf gebracht hatte. Diese stammte aus den Archiven des IPN und war nur Mitarbeitern des Instituts zugänglich.
Aus der Liste selbst ging nicht hervor, wer Opfer und wer Täter war. Zudem waren viele Namen so gebräuchlich, dass sie keine eindeutige Zuordnung erlaubten. Trotzdem bildete die Liste die Grundlage für Verdächtigungen jeglicher Art. Wie Wildstein in den Besitz dieser Liste gekommen war, konnte nie eindeutig geklärt werden. Sicher scheint, dass mindestens ein Mitarbeiter des IPN Wildstein geholfen haben muss. Eine staatsanwaltschaftliche Untersuchung brachte jedoch keine Aufklärung. Zumindest aber, und das war der eigentliche Sinn dieses Datendiebstahls, heiz­te er die Diskussion über die Lustracja, die Durchleuchtung der Bevölkerung, beträchtlich an.

Das Ende der »Schlussstrichpolitik« ihrer Vorgänger war das Ziel Lech und Jaroslaw Kaczynskis. Das IPN spielte als Verwalter der Akten des SB dabei eine wesentliche Rolle. Um an diese Akten herankommen zu können, musste das Institut selbst unter Kontrolle gebracht werden. Die konservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) der Kaczynski-Zwillinge ging dabei nicht gerade zimperlich vor.
Der Präsident des Instituts wird jeweils für fünf Jahre gewählt und kann danach von der Politik unabhängig handeln. Die Politiker sollten keinen Einfluss auf die Aufarbeitung haben, damit den Parteien in dieser wichtigen Angelegenheit keine Plattform geboten wird. Die letzte Wahl des Präsidenten des IPN fand 2005 statt. Die Kandidaten waren der Historiker Andrzej Przewoznik und sein Kollege Janusz Kurtyka. Letztgenannter war der Wunschkandidat des Präsidenten Lech Kaczynski und dessen Duzfreund. Im Juli 2005 behauptete die konservative Zeitung Rzeczpospolita, dass in der Krakauer Außenstelle des IPN Dokumente gefunden worden seien, die eine Zusammenarbeit Przewozniks mit dem SB bewiesen. Nach einiger Zeit erwiesen sich die Anschuldigungen gegen Przewoznik als unhaltbar. Da war sein Konkurrent Kurtyka allerdings bereits gewählter Präsident des IPN.
Nun konnte die Regierung unter Kaczynski mit der Jagd auf ehemalige Spitzel des SB beginnen. Daneben bot sich die Gelegenheit, Gegner zu diskreditieren. Abgesehen hatte es die PiS insbesondere auf Politiker der anderen Parteien, Rechtsanwälte und kritische Journalisten. Jeder Angehörige dieser Berufsgruppen, der vor dem August 1972 geboren wurde, musste erklären, kein Mitarbeiter des SB gewesen zu sein. Diese Maßnahme betraf etwa 700 000 Polen. Sollte sich bei einer Überprüfung durch das IPN im Nachhinein herausstellen, dass die Angaben falsch gewesen waren, drohte Berufsverbot. Der britische Guardian verglich die Hatz der Kaczynskis auf ehemalige Mitarbeiter des SB und Mitglieder der Kommunistischen Partei Polens mit der McCarthy-Ära in den USA. Im Mai 2007 erklärte das Verfassungsgericht Teile des entsprechenden Gesetzes für rechtswidrig und beendete damit die Jagd.

Die Bewahrung der polnischen Nation vor ungerechtfertigten Anschuldigungen ist ein weiteres Aufgabengebiet des IPN. Als im vergangenen Jahr der polnisch-amerikanische Historiker Jan Tomasz Gross das Buch »Angst. Antisemitismus in Polen nach Auschwitz« in Polen veröffentlichte, wurde er von Kurtyka als »Vampir der polnischen Geschichte« bezeichnet. Gross hatte geschrieben, dass nach der Niederlage Deutschlands etwa 2 000 Juden ermordet worden seien. Nicht von Banditen, wie es Kurtyka behauptet hatte, sondern vielmehr von Polen, denen die Nazis die Häuser der Juden übergeben hatten, die in die Ghettos und Vernichtungslager deportiert worden waren. Die überlebenden Juden waren zurückgekehrt und hatten ihre Häuser zurückgefordert.
Gross’ erstes Buch, das sich mit dem Antisemitismus in Polen auseinandersetzte, war der Anlass für die Schaffung eines neuen Gesetzes. In seiner im Jahr 2000 in Polen erschienenen Veröffentlichung »Nachbarn« hatte der Autor enthüllt, dass in Jedwabne Juden nach dem Einrücken der Wehrmacht von ihren katholischen Nachbarn erschlagen worden waren. Anschließend wurden die Überlebenden in eine Scheu­ne getrieben, bevor diese angezündet wurde. Der Pogrom kostete 1 600 Menschen aus dem Dorf bei Bialystok das Leben. In Artikel 132a des pol­nischen Strafgesetzbuches, dem »Lex Gross«, heißt es: »Wer öffentlich die polnische Nation der Teilnahme an und der Organisation von kommunistischen oder nationalsozialistischen Verbrechen oder der Verantwortung für diese bezichtigt, dem droht eine Freiheitsstrafe bis drei Jahre.« Verantwortlich für die Ermittlung nach diesem Gesetz ist die dem IPN angeschlossene Staatsanwaltschaft.

Der »Schutz und der Erhalt des polnischen Patriotismus« ist das Ziel des IPN unter der Präsidentschaft Kurtykas. Da sich die jüngere Generation nicht mehr einfach auf einen Opfermythos fest­legen lassen will, versuchte die Regierung, einen »Patriotismus-Unterricht« an den Schulen einzuführen. Dieses Projekt des damaligen Erziehungsministers scheiterte am Widerstand der Schüler. Derzeit versucht das IPN, durch Weiterbildungsmaßnahmen für Lehrer und durch entsprechendes Bildungsmaterial, das den Schulen zur Verfügung gestellt wird, bei den Schülern die richtige Gesinnung zu erzeugen. Der Kampf um die polnische Nation und den polnischen Patriotismus geht also weiter. Spätestens 2010 wird sich zeigen, wie er weiter geführt wird. Dann wird ein neuer Präsident des IPN gewählt.