Das »Klimaschutz-Sofortprogramm« der Grünen im Selbstversuch

Geduscht, nicht gebadet

100 individuelle Möglichkeiten, das Klima zu retten, präsentieren die Grünen auf ­ihrer Homepage. Eine Jungle-World-Autorin hat sich einen ganzen Tag lang daran gehalten – soweit es möglich war.

Schon lange drängen uns Al Gore und andere, endlich das Klima zu schützen. Wenn wir wirklich wollen, lautet die Botschaft, sind wir in der Lage, die Welt zu verändern. Jeder einzelne und wir alle zusammen. Und da die Grünen schon alte Hasen im Umweltschutz-Geschäft sind, haben sie nun die ultimative To-Do-Liste für Newcomer im Retter-Business veröffentlicht. Zu finden ist sie auf der Homepage der Partei. Ganze 100 Punkte be­inhaltet »dein Klimaschutz-Sofortprogramm«. Denn um das Eis zwischen grünen Klimaprofis und uns kleinen Umweltsündern zu brechen, werden wir konsequent geduzt. Bereits der erste Satz enthüllt eine unfassbare Wahrheit. So erfährst du, dass »wir in Deutschland zwei Kraftwerke sofort abschalten könnten, wenn alle Menschen auf den Standby-Modus ihrer Fernseher und Stereoanlagen verzichten« würden. Das dürfte wohl auch den größten Skeptiker davon überzeugen, dass Klimaschutz richtig cool ist.
Aber ist das umfassende Regelwerk wirklich einzuhalten? Kann das Sofortprogramm überzeugen? Geht es dem Klima oder zumindest uns persönlich damit besser? Um das herauszufinden, halte ich mich einen Samstag lang an alle 100 Regeln, na ja, so gut es eben geht.

Der Test

Es ist zwölf Uhr. Während andere schon seit Stunden die Umwelt verpesten, beginne ich den Tag als frischgebackene Umweltschützerin aus­geschlafen und völlig korrekt: Es wird geduscht, nicht gebadet. Diese Regel (Nr. 28) gilt allerdings »nicht für Dauerduscher«. Die Zähne werden von Hand geputzt (Nr. 30) und der Wasserhahn wird währenddessen abgedreht (Nr. 29). Ob die Partei ganz allein und ohne fremde Hilfe festgestellt hat, dass man auf diese Weise Strom und Wasser sparen kann?
Ich merke bereits: Die Welt zu retten, macht hungrig. Auch beim Essen muss auf einiges geachtet werden. So sollten die Produkte regional (Regel Nr. 1), saisonal (Nr. 2), möglichst fleischlos (Nr. 3), biologisch (Nr. 4) und in recycelbaren Materialen (Nr. 5) verpackt sein. Das klingt im ersten Moment etwas anstrengend. Wenn man sich informiert, stellt man jedoch fest, dass es Geschäfte gibt, die sich genau auf solche Produkte spe­zialisiert haben. Mein Ziel ist der Laden »Veni Vidi Vegi« in Berlin-Kreuzberg. Selbstverständlich trete ich die Reise mit dem Fahrrad an (Nr. 87). Vier »Tofu-Filets«, Brot, pflanzlicher Aufstrich, ­Karotten, Kartoffeln, eine Zwiebel und eine Zucchini werden mir in einer Papiertüte eingepackt. Die Tagesration für zwei Personen kostet zwölf Euro. In einem Supermarkt um die Ecke hätte ich etwa sieben Euro bezahlt. Die Sonne scheint, milder Wind, eine Papiertüte mit der Aufschrift »Bio« auf dem Gepäckträger und flatternde Haare: So sieht es aus, wenn eine Umweltretterin unterwegs ist. Ich fühle mich gut. Bis die Papiertüte reißt. Mit einer Zucchini in der Hosentasche und Tofu unter dem Arm wird der Einkauf beendet. Immerhin können weitere zehn Regeln abgehakt werden.

Zu Hause wird die Liste gecheckt. Regel 88 besagt: »Inlandsflüge vermeiden«. Das lässt sich einrichten heute. Und das ist nicht die einzige Regel, die durch bloßes Nichtstun befolgt werden kann. Zum Beispiel halte ich mich an Regel 60 bereits mein Leben lang, ohne sie je gekannt zu haben: »Schmutziges Geschirr nicht vorspülen.« Aber das scheint nicht auszureichen, sonst wäre es schließlich nicht so weit gekommen mit dem Klima. Ich muss also mehr tun. Weiter geht’s mit meinem Kampf gegen den Klimawandel. Was gibt es Schöneres zu tun an einem sonnigen Samstag, als den vereisten Kühlschrank zu reinigen? »Der Eispanzer vermindert nämlich den Wirkungsgrad.« (Nr. 15) Doch das ist noch nicht alles, der Kühlschrank sollte nicht direkt an der Wand stehen (Nr. 10) und erst recht nicht neben dem Herd (Nr. 9). In meiner vier Quadratmeter großen Küche ist für solche Extrawünsche aber kein Platz. »Ach, du willst jetzt die Umwelt retten, und deshalb soll der Kühlschrank in den Flur?« Obwohl sich der grinsende Nachbar nicht wirklich für diese Idee begeistern kann, hilft er, den Kühlschrank rüberzuschaffen. Der Vorteil einer kleinen Wohnung ist, dass die Wege nicht sehr weit sind. Ich wundere mich, wie groß mein Kühlschrank ist, nun da er mitten im Flur steht. Ich lasse ihn »nicht unnötig offen« und erfülle damit stressfrei Forderung Nr. 11.
In der vollen Waschmaschine wartet ein Berg sauberer Kleidung darauf, aufgehängt zu werden. Natürlich wurde die Wäsche bei nur 40 Grad gewaschen, denn »dank moderner Waschmittel reicht das heutzutage aus«, besagt Regel 38. Ein improvisiertes Wäscheständerimitat auf dem Balkon, bestehend aus zwei Kordeln und zwei Haken, wird auf seine Belastbarkeit getestet. Denn Wäschetrockner sind tabu (Nr. 42), da die Kleidung »in den meisten Fällen ganz von selbst« trocknet. Nach wenigen Minuten und starker Schnappatmung sind die Leinen beladen, und die Sonne macht ihren Öko-Job.

Nachmittags wird das umweltfreundliche Autofahren getestet. Am besten ist es natürlich, gar keinen Wagen zu besitzen. Ohne ein absolviertes »Spritspartraining«, wie es in Regel 91 angepriesen wird, sollte man sich aber zumindest an Regel 90 und 94 halten. Diese schreiben vor, mit »möglichst geringer Motordrehzahl« und nicht zu schnell zu fahren. Spätestens beim Be­folgen dieser Regeln ist festzustellen, dass sich die neue To-Do-Liste noch nicht herumgesprochen hat. Abgedrängelt, angehupt und angepöbelt wird man, was man der Umwelt zuliebe über sich ergehen lässt. Ein Mann, der nicht im Namen der Umwelt unterwegs zu sein scheint oder es einfach nur eilig hat, ruft mit garstigem Gesichtsausdruck: »Du Scheiß-Hirni, lass das Auto stehen.« Dann setzt er zum Überholen an und reiht sich theatralisch mit einem großen Schlenker wieder ein. An der Ampel stelle ich den Motor ab, das »lohnt sich fast immer«, sagt ­Regel 96. Aber eben nur fast, da sich mit Tatütata ein Krankenwagen ankündigt. Egal, wie enthusi­astisch an die Sache herangegangen wird: Bei der Rettung des Klimas sollte man nicht über Leichen gehen. Die Hitze entweicht ohne laufende Klimaanlage (Nr. 97) auch trotz heruntergekurbelter Fenster nicht. Die Fahrt bringt weder Freude noch Freunde, ich gebe das Auto wieder bei seinem Besitzer ab.
Nach dieser unerfreulichen Fahrt wird erst mal Nahrung eingefahren. Jeder Topf steht auf einer passenden Feuerstelle (Nr. 18), die Deckel bleiben geschlossen (Nr. 17), der Gasherd (Nr. 21) bringt die Hitze. Biologisch und zugleich vegan gestärkt geht’s jetzt ans Eingemachte: Mülltrennung (Nr. 86). An den Containern im Innenhof verbringe ich ganze zehn Minuten. Offenbar eine unterhaltsame Show für einige Anwohner. »Das finde ich wirklich super! Und das trotz der Wespen«, lobt mich ein Nachbar mit breitem Oberlippenbart und einer Zeitung in der Hand. Helfen möchte er allerdings nicht.
Inzwischen ist es 18 Uhr. Um nicht das Ereignis des Aufleuchtens der Energiesparlampen (Nr. 79) zu verpassen, die zwar gesund für die Natur, aber beim Menschen krebserregend sein sollen, wird das Licht schon mal angeknipst, bevor es dunkel ist, auch ein Zusammenstoß mit dem Kühlschrank im düsteren Flur muss verhindert werden. Die Wäsche ist inzwischen trocken und der Balkon wieder betretbar. Mit einem leckeren Stück Brot, den letzten Sonnenstrahlen und korrektem Wasser aus dem Hahn (Nr. 37) geht der Tag für mich, die Umweltretterin, zu Ende.

Ich habe für mich die 100 Regeln in fünf Rubriken eingeteilt: »elektrische Geräte«, »Wirtschaft ankurbeln«, »Körperhygiene«, »Mülltrennung« und »Schwachsinn«. Dass ein ausgestöpseltes Notebook weniger verbraucht als eines, das auf Standby-Modus eingestellt ist, weiß so ziemlich jeder. Wirklich neu sind die Tipps auf der Liste allesamt nicht. Aber das ist der Klimawandel ja auch nicht. Viele Regeln sind von Normalverdienern, ganz zu schweigen von Studenten, gar nicht einzuhalten. Beispielsweise die Anschaffung eines neuen Heizungssystems, von Solarzellen, eines neuen Autos, neuwertiger Küchengeräte und die Sanierung der Gebäudedämmung. Auf all das musste ich an diesem Samstag verzichten. Ich hoffe, das Klima und die Grünen verzeihen mir.

Die »Klimaschutz-Liste« im Internet: gruene.de/einzelansicht/artikel/dein-klimaschutz-sofortprogramm.html