Warum hat Obama auf das Raketenabwehsystem in Osteuropa verzichtet?

Konvois statt Raketen

Mit dem Verzicht auf die Stationierung eines Raketenabwehrsystems in Osteuropa will Obama das Wohlwollen Russlands gewinnen.

Wer im Zielgebiet von Atomraketen lebt, wird sich wohl Sorgen machen, wenn er weiß, dass ein Abwehrsystem etwa bei jedem fünften Angriff versagt. Dass die SM-3 nach Angaben der US-Marine bei 19 von 23 Tests erfolgreich eine anfliegende Rakete oder einen Satelliten zerstören konnte, gilt jedoch als Beweis für die Zuverlässigkeit des Systems. Kritiker bezweifeln allerdings, dass die Tests die Kriegsbedingungen realistisch simulierten. Niemand bezweifelt jedoch, dass die Raketen, die George W. Bush in Polen und Tschechien zur Abwehr iranischer Interkontinentalraketen stationieren wollte, noch keinen erfolgreichen Test absolviert haben.
So hatte Präsident Barack Obama gute Argumente für die Debatte mit republikanischen Kritikern, die ihm vorwarfen, mit dem Verzicht auf die Stationierung von Abwehrraketen in Osteuropa die Sicherheit der USA zu gefährden. Ein nicht einsatzfähiges Projekt wird ersetzt durch ein mobiles System auf Schiffen stationierter SM-3-Abwehrraketen, das wesentlich billiger und vermutlich effektiver ist.
Auch die Alliierten können zufrieden sein. Während Bushs Planungen allein dem Schutz der USA dienten, könnte das SM-3-System Israel einen gewissen Schutz bieten, ebenso wie anderen Staaten des Nahen Ostens und den Europäern, sofern die iranischen Machthaber tatsächlich auf die Idee kämen, ihre Handelspartner zu bombardieren. Unzufrieden sind jedoch viele Politiker in Polen, Tschechien und den baltischen Staaten, die meinen, dass Obamas Entscheidung Russland zu einer aggressiveren Politik ermutigen könnte.
Bush war wohl vornehmlich daran interessiert, das Bündnis mit den osteuropäischen Regierungen zu festigen, und wollte vermutlich auch Stärke in der Russland-Politik zeigen. Einen zwingenden militärischen Grund, das Abwehrsystem in Osteuropa zu errichten, gab es nicht. Die russische Regierung reagierte mit der Stationierung von Kurzstreckenraketen an der Grenze zu Polen, die nun ebenfalls abgezogen werden.
Dass der Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen der russischen Regierung umgehend einen »Neubeginn« der Beziehungen vorschlug, deutet auf ein abgesprochenes Vorgehen der westlichen Regierungen hin. Rasmussen erwähnte »gemeinsame Bedohungen«, doch gibt es nur eine, die Russland und die Nato tatsächlich einen könnte, nämlich den Jihadismus in Südasien.
Die Nato wird wohl in Zukunft einen größeren Teil ihres Nachschubs für Afghanistan aus dem Norden anrollen lassen, dabei müssen die Konvois das Territorium mindestens eines zen­tral­asiatischen Staats passieren. Die russische Regierung betrachtet diese Region als ihre Einflusssphäre und möchte die westliche Präsenz dort möglichst gering halten, muss aber andererseits eine Stärkung des Jihadismus in Zentralasien und Südrussland befürchten, wenn die Nato in Afghanistan noch weiter an Boden verliert.
Eine bessere Zusammenarbeit bedeutet jedoch wohl auch einen weitgehenden Verzicht auf Kritik an Menschenrechtsverletzungen und anderen Verbrechen der Regierungen Russlands, Zentral­asiens und Chinas, eines weiteren Partners in einem ausgeweiteten Krieg gegen die Jihadisten. So haben die Taliban zwar unfreiwillig einen Beitrag zur Rüstungskontrolle geleistet, aber auch dazu beigetragen, dass die Autokratien und Diktaturen der Region größere Akzeptanz finden.