Der Internationale Währungsfonds und die Krise

Armer IWF!

Die »Erste Welt« wächst, zumindest wirtschaftlich betrachtet. Mit den Veränderungen des globalen Finanz- und Wirtschaftssystems wandeln sich auch dessen Institutionen wie der Internationale Währungsfonds.
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Jetzt hat es auch Dominique Strauss-Kahn getroffen. Auf der Herbstkonferenz des Internationalen Währungsfonds (IWF) in der Türkei wurde der Direktor der Institution bei einem Vortrag in der Bilgi-Universität in Istanbul mit einem Schuh beworfen. Die Kampfparole »IWF, hau ab!«, die der Student Selcuk Özbek rief, während er auf Strauss-Kahn zielte, hätte es eigentlich nicht mehr gebraucht. Nach der ebenfalls erfolglosen Schuhattacke auf George W. Bush in Bagdad wäre die Aktion auch so verstanden worden. Herbeieilende Polizeibeamte nahmen den Studenten fest.

Der IWF ist aus der Sicht von Globalisierungskritikern mitverantwortlich dafür, dass ein großer Teil der Menschheit in ärmlichsten Verhältnissen lebt. Er versuche, die so genannte Dritte Welt und die Schwellenländer mittels ihrer Verschuldung in Abhängigkeit vom reichen Norden zu halten. Noch im Jahr 2002 hatte der Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz in seinem Buch »Die Schatten der Globalisierung« geschrieben, dass der IWF zwar »nicht unbedingt« das Inkassobüro der G7-Staaten sei, jedoch alles daran gesetzt hätte, es zu werden.
In den vergangenen Jahren allerdings geriet der IWF selbst mehr und mehr in finanzielle Schwierigkeiten. Die Finanzierung des IWF erfolgte in der Vergangenheit einzig und alleine über die Zinszahlungen für die verliehenen Einlagen. Die Einlagen selbst blieben dabei im Besitz der Staaten, die sie getätigt hatten. Doch dann schafften es einige der wichtigsten Kreditnehmer des IWF, ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erlangen, und damit sanken die Zinseinkünfte des IWF. Die wirtschaftlich äußerst erfolgreichen Jahre vor der Subprime-Krise in den USA beförderten diese Entwicklung. Für die aufstrebenden Schwellenländer gab es immer weniger Grund, sich beim IWF zu verschulden und die Konsequenzen der Kreditnahme in Kauf zu nehmen. Schließlich forderte die Institution von jedem ihrer Schuldner eine radikale Öffnung sämtlicher Märkte für die in aller Regel wesentlich stärkere internationale Konkurrenz, ohne die politischen und sozialen Auswirkungen dieser Politik zu berücksichtigen. Das Ergebnis war, dass die möglichen Kreditnehmer es sich gründlich überlegten, ob es nicht andere Möglichkeiten gebe, an Geld zu kommen.
Die finanziellen Schwierigkeiten des IWF haben bereits dafür gesorgt, dass die Leitung sich Gedanken machen muss, mit welchen Mitteln man seine Ausgaben künftig bestreiten kann. Betrugen die ausstehenden Kredite im Jahr 2003 noch etwa 100 Milliarden Dollar, lag dieser Wert 2008 bei nur noch etwa 15 Milliarden Dollar. Die Zinseinnahmen sanken entsprechend und das Defizit des IWF stieg auf etwa 400 Millionen Dollar pro Jahr.

Um für dieses Problem eine Lösung zu finden, wurde ein besonderes Komitee gegründet. Es bestand aus den Chefs einiger bedeutender Finanzinstitute: Mohamed A. El-Erian von Pimco, einem der größten Investment-Fonds, Alan Greenspan, ehemals Vorsitzender der amerikanische Zentralbank Fed, Tito Mboweni von der südafrikanischen Zentralbank Sarb, Guillermo Ortiz von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), Hamad al-Sayaris von der saudischen Zentralbank Sama, Jean-Claude Triche von der Europäischen Zentralbank (EZB) und Zhou Xiaochian von der chinesischen Zentralbank PBC. Der Vorsitzende dieses Komitees war Andrew Crockett von JP Morgan Chase & Co. Im Januar 2007 legte das Komitee einen Bericht vor. Dort wurde dem IWF geraten, einen Teil seines Goldes zu verkaufen. Nun plant das Institut, etwa 400 Tonnen seiner Edelmetallrücklagen auf den Markt zu werfen. Der Gegenwert dessen soll anschließend zinsbringend angelegt werden. Die Geldnot trieb den IWF sogar zu dem Plan, selbst Kredite aufnehmen zu wollen.
Seit dem Beginn der Wirtschaftskrise haben sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für viele Staaten allerdings deutlich verschlechtert – was die Aussichten für den IWF wiederum erheblich verbessert. Das Institut ist erneut gefragt als lender of last resort (Kreditgeber der letzten Zuflucht), und es wird sogar wieder über eine Aufstockung seiner Mittel verhandelt.
Dabei kommt allerdings ein Problem zum Tragen, welches sich bereits beim G20-Gipfel abzeichnete. Die Auswirkungen der Finanzkrise sind keineswegs überall gleich, wie es die Regierungen in der westlichen Welt vermutlich gern hätten. Besonders betroffen sind bislang vor allem die Staaten, die über hoch entwickelte Finanzsysteme verfügen. In erster Linie sind das die USA, Großbritannien, Deutschland und die Schweiz. Die aufstrebenden Entwicklungsländer hingegen stehen immer noch relativ gut da.

Die nun diskutierte finanzielle Aufstockung des IWF muss aber von seinen Mitgliedern finanziert werden. Die Höhe der Einlagen wiederum bestimmte bei der Gründung des IWF auch über die Stimmrechte innerhalb der Institution. Bislang waren die USA der größte Geldgeber und das Mitglied mit den meisten Stimmen. Bei der jetzt geplanten Aufstockung um 250 Milliarden Dollar stammen bereits 40 Milliarden Dollar aus China. Deutschland will 25 Milliarden Dollar beisteuern, und Brasilien, das in den neunziger Jahren noch unter chronischer Geldnot litt, plant, 4,5 Milliarden zu geben.
Auf der Herbsttagung des IWF in Istanbul traten denn auch erwartungsgemäß gravierende Meinungsverschiedenheiten darüber zu Tage, wie viel Einfluss welcher Staat künftig erhalten sollte. China, Russland, Indien und Brasilien fordern mehr Stimmrechte für sich. Dabei geht China noch weiter und verlangt sogar, die Stimmrechte automatisch den Einlagen anzupassen. Nach der derzeitigen wirtschaftlichen Situation müsste China dann nur noch abwarten, bis es die USA von alleine überflügelt.
Die Finanzierungsschwierigkeiten offenbaren indes auch ein Problem im Währungssystem. Die in den USA angehäuften Schulden müssen irgendwann zurückgezahlt werden. Die Hauptgeldgeber der USA sind China, Saudi-Arabien und Japan. China versucht derzeit, die in den vergangenen Boomjahren angehäuften Dollarreserven irgendwie wieder loszuwerden. Offensichtlich vermutet die chinesische Regierung, dass der Dollar in der kommenden Zeit deutlich an Wert verlieren könnte, sollten die USA in ernsthafte Zahlungsschwierigkeiten geraten. Die 400 Tonnen Gold, die der IWF verkaufen möchte, kommen da gerade recht, um die eigenen Devisenreserven durch etwas Handfesteres auszutauschen. Der IWF fungiert dabei als Rückzahler der US-Schulden gegenüber China. Das Land scheint immer weniger bereit zu sein, den Dollar zu akzeptieren. Der Versuch Chinas, den Dollar durch die Sonderziehungsrechte des IWF als Weltwährung zu ersetzen, zielen genau in diese Richtung. Derzeit sind die Vereinigten Staaten immer weniger in der Lage, ihre Schulden zu bedienen. Der Status des Dollars als Weltwährung garantiert dabei aber noch eine gewisse Stabilität.

Der Verkauf des Goldes und die Zusammensetzung des Komitees machen deutlich, wie gestört das Weltfinanzsystem bereits ist. Wurden in den vergangenen Jahren die Beschlüsse des IWF mehr oder weniger ausschließlich von den westlichen Industriestaaten getroffen, drängen nun ehemalige Entwicklungsländer hinzu. Dass neben dem chinesischen Zentralbanker auch der saudische und der südafrikanische saßen, ist dabei nur symptomatisch für diese Entwicklung der vergangenen zwei Jahre. Durch die Krise an der Wall Street sind die Vereinigten Staaten stark geschwächt worden. Die Machtverschiebung innerhalb des globalen wirtschaftlichen Gefüges beginnt, sich langsam auch auf die internationalen Institutionen auszuwirken, die früher fest in der Hand der reichen Staaten Amerikas und Europas lagen. Die Veränderungen innerhalb des IWF sind dabei ein deutlicher Schritt.