Die Band The Ex

Lekker Punk

The Ex feiern 30jähriges Jubiläum. Unser Autor porträtiert die legendäre Band und sprach mit Sängerin Katherina Bornefeld über die Freiheit des DIY

The Ex sind in diesem Jahr dreißig geworden, fast so alt wie die Punk-Bewegung selbst. Aus der Amsterdamer Hausbesetzer-Szene hervorgegangen, haben sich The Ex über all die Jahre dezidiert als politische Band verstanden. An ihrer Geschichte lässt sich auch die Geschichte der politischen Linken ablesen, so haben The Ex beispielsweise 1981 eine Benefiz-Single für den bewaffneten Widerstand in El Salvador veröffentlicht, wenige Jahre später unterstützten sie die streikenden Bergarbeiter in Großbritannien mit einer Solidaritäts-Tour. Doch was die Sache so besonders macht: The Ex sind alles andere als eine konventionelle Polit-Punk-Band. Widerstand ist für sie auch eine ästhetische Kategorie, die sich im musika­lischen Material niederschlägt. Das bedeutete schon früh: Einsatz nichteuropäischer Musikelemente jenseits von Weltmusik-Pop und Kollaborationen mit Free-Jazz-Musikern, die wiederum auf den Ex-Sound abfärbten und ihn zunehmend atonaler und merkwürdiger werden ließen, ohne dass die Punk-Power darunter leiden musste.
All das ist ungewöhnlich, denn das Umfeld, in dem The Ex sozialisiert wurden und in dem sie bis heute noch oft spielen, ist musikalisch – vorsichtig ausgedrückt – sehr konservativ. Die Rede ist von der autonomen Linken. Deren Musikgeschmack hat sich in den vergangenen 30 Jahren so wenig verändert wie der Speiseplan in den Volxküchen. Nahrungsaufnahme und Musik dienen da vor allem der Selbstvergewisserung, die richtige Gesinnung zu haben. Diese findet sich seit mehreren Dekaden in Hardcore-Punk und Reggae-Partys repräsentiert, alle Jahre wieder darf auch mal Attila The Stockbroker vorbeikommen und schnittigen Volksbefreier-Folk aufspielen, zu dem sich antiimperialistisch schunkeln lässt. In so manchem autonomen Zentrum liefen auch dann noch schwulenfeind­liche Toaster aus Jamaika, als Homophobie im Reggae längst schon in der bürgerlichen Presse verhandelt wurde. – Nein, hier soll keine hämische Karikatur einer Szene gezeichnet werden, dennoch muss man sich kritisch vor Augen halten, dass die autonome Linke ihren nicht unerheblichen Beitrag zur musikalischen Berechenbarkeit und Festgefahrenheit von Punk geleistet hat. Als sich Punk Ende der siebziger Jahre, in Deutschland zu Beginn der Achtziger, in zwei nahezu unvereinbare Fraktionen auszudifferenzieren begann, nämlich in musikalisch schlichten Punkrock und in »Kunst-« oder »Studentenpunk«, wie der avancierte Post-Punk von seinen Gegnern tituliert wurde, entschied sich die autonome Linke sehr schnell für Slime statt für Mittagspause, also für Rock, Gesinnung, Härte. Musiker, die ihre klaren Botschaften in ebenso klar kategorisierbare Musik verpackten, wurden jenen vorgezogen, die inhaltlich mit Ambivalenzen und ästhetisch mit Brüchen spielten.
Hier wiederum kommen The Ex ins Spiel als eine der wenigen Ausnahmen, die sozusagen einen dritten Weg gewählt haben. Sie haben zwar inhaltlich klare linke Botschaften, stehen musikalisch aber eher der Kunst-Fraktion von Bands wie Sonic Youth nahe. »Es kommt wohl ganz darauf an, welches Selbstverständnis man von Punk hat«, erzählt Katherina Bornefeld von The Ex. »Ich würde Punk nicht als Stil, sondern als Freiheit des Ausdrucks definieren. Die Freiheit zu sagen: ›Ich mache, was ich will, ganz egal, ob es euch passt oder nicht, denn ich bin anders.‹ Punk wurde schnell zum Klischee, aber das passiert ja bei fast allen Trends. Für uns als Musiker bedeutet Punk jedoch nichts anderes als künstlerische Freiheit. Uns war vor allem die DIY-Haltung wichtig, die zum Beispiel auch Crass in England an den Tag gelegt haben, also alles in Eigenregie zu machen und sich von den großen Plattenfirmen bewusst fernzuhalten. Das ist eine Haltung, die meiner Ansicht nach bis heute lebendig ist, unabhängig von Punk als Mode oder Dogma.«
Das radikale Beharren auf DIY ist auch der einzige Punkt, der sie von den befreundeten Sonic Youth trennt. »Wir mögen uns und respektieren einander«, so Katherina, »aber ihre Entscheidung, zu einem großen Plattenlabel zu gehen, um noch mehr Leute zu erreichen, war nie unser Ding. Für uns hat das keinen Sinn ergeben, denn wir haben zu viele Kollegen gesehen, die von den Labels sofort wieder fallengelassen wurden, wenn ihre Platten nicht genug Umsatz einbrachten.«
DIY bedeutete für The Ex auch, dem Bild des Musikers als Star zu misstrauen. In den Anfangsjahren wurde vor den Konzerten ausgelost, wer welches Instrument spielen sollte. Eine Möglichkeit, Berechenbarkeit und Routine zu verhindern, die Jahre später auch von den Goldenen Zitronen genutzt wurde, während Fugazi – eine weitere DIY-Ikone, die wie The Ex den »dritten Weg« eingeschlagen haben – bei Konzerten auf eine Setlist verzichten, um der Spontaneität mehr Raum zu geben.
Trotzdem haben The Ex immer wieder zusammen mit virtuosen Musikern gespielt, unter anderem mit den niederländischen Free-Jazz-Koryphäen Micha Mengelsberg und Han Bennink, mit dem heute 73jährigen äthiopischen Saxophonisten Gentatchew Mekuria und mit dem viel zu früh verstorbenen Cellisten Tom Cora. Doch die Virtuosität des Free Jazz hat wenig mit jenem Star-Gestus zu tun, der Virtuosität im Rock so unerträglich macht. Hier geht es nicht darum, das Publikum zu überwältigen, im Mittelpunkt steht vielmehr die kollektive Interaktion auf der Bühne, deren Freiheitsgefühl sich bestenfalls auf das Publikum überträgt.
Wer The Ex einmal live zusammen mit Tom Cora erleben durfte, bekam einen Eindruck, was musikalische Entgrenzung bedeuten kann: Während sich die Musiker Hämmer, Schlagzeugstöcke und andere Gegenstände zuwarfen, um damit ihre Gitarren zu malträtieren, kratzte Cora auf seinem Cello Geräusche, die sich wie der ungebremste Aufschlag eines Kleinfamilien-PKWs gegen eine Leitplanke anhörten. All das kam jedoch nie mit kunstsinnigem Gestus daher, sondern blieb in treibende Songs eingebettet, die sich auf einzigartige Weise zwischen Folk, Punk und Free Jazz bewegten. »Uns hat es immer Spaß gemacht, unser Publikum mit etwas zu konfrontieren, was es noch nicht kannte. Das macht den Kopf frei für Neues. Aber uns selbst geht es ja genauso«, meint Katherina, »wir begeben uns selbst gerne in unbekannte Situationen. Das hat nichts mit verstiegenem Konzept zu tun, sondern mit Abenteuer.« Auf diese Weise fungieren The Ex als Vermittler zwischen den Musikwelten. Nicht nur das autonome Reispfannen-Publikum wird auf ihren Konzerten mit Neuem konfrontiert, auch auf Jazzfestivals haben sich The Ex sehr schnell als angenehme Fremdkörper einen Namen gemacht. Als sie mit Tom Cora in Moers auftraten, dauerte es keine zwei Nummern, bis das Publikum fast ohne Ausnahme von den Sitzen aufgesprungen war. Um zu tanzen, versteht sich, nicht um zu gehen.
The Ex haben Vorarbeit für das geleistet, was heute unter jungen Post-Punk- und DIY-Bands gängig ist: Musikalische Dogmen und stilistische Beschränkungen spielen keine Rolle mehr. Was sie allerdings von Gruppen wie Animal Collective oder Black Dice unterscheidet, ist die Tatsache, dass sie musikalische Freiheit explizit als politisches Statement betrachten. »Das liegt wohl daran«, so Katherina, »dass wir in einer extrem politisierten Zeit aufgewachsen sind, in der es darum ging, sich gegen Ungerechtigkeit zur Wehr zu setzen. Dieses positive Gefühl von Zusammenhalt und Gemeinschaft haben wir dann als Band auf die Musik übertragen.«

The Ex: 30. Ex Records/Cargo