Über das Buch »Das Ende der Welt, wie wir sie kannten«

Esst strategisch!

»Das Ende der Welt, wie wir sie kannten« von Claus Leggewie und Harald Welzer handelt vom Klimawandel und seinen Herausforderungen für die Demokratie. Ihr Ansatz zielt auf »grünen Kapitalismus« und den kritischen Konsumenten.

Wenn im Dezember die UN-Klimakonferenz in Kopenhagen stattfindet, sind Regierungsdelegationen aus 191 Ländern und schätzungsweise 20 000 Delegierte von NGO dazu eingeladen, unendlich viel recyceltes Papier zu beschriften. Während die offiziellen Delegationen um Punkte, Spiegelstriche und Kommata ringen, werden die NGO durch Side Events und Lobby­arbeit darauf drängen, dass auch ihre Inhalte in Unterabsätzen berücksichtigt werden. Ob es am Ende der Verhandlungen zu dem von Klimaschützern erhofften Nachfolgevertrag für das 2012 ablaufende Kyoto-Protokoll kommt, welches erstmals völkerrechtlich verbindliche »Zielwerte« für den Ausstoß von Treibhaus­gaben in den Industrieländern festlegte, ist un­gewiss. Fest steht, dass die im Kyoto-Protokoll festgeschriebenen bescheidenen Zielvorgaben von der Mehrzahl der Länder bis heute noch nicht erfüllt wurden; das betrifft Australien, Deutschland, Japan, Kanada, Spanien, die Schweiz und, nicht zu vergessen, die USA, deren Kongress das Kyoto-Protokoll nie ratifiziert hat.
Es verwundert daher kaum, dass sich immer mehr kritische Stimmen zu Wort melden, die den Sinn von derartigen Konferenzen, die keine entscheidenden Verbesserungen im Klimaschutz bewirken, grundsätzlich in Frage stellen. Unter dem Dach des Netzwerks »Climate Jus­tice Now!« haben sich im Jahr 2007 radikale Basisgruppen aus Nord und Süd  zusammengeschlossen, die Organisation versteht sich als Gegenstück zu dem von 365 NGO in 85 Ländern getragenen Climate Action Network, das an der Konferenz teilnimmt, aber Maßnahmen wie den Emissionshandel zur Bekämpfung des Klimawandels und insbesondere den projektbezogenen Clean Development Mechanism (CDM) grundlegend ablehnt. Linke Gruppen wie Attac oder die Berliner Gruppe Fels, die sich im Netzwerk »Climate Justice Now!« zusammengeschlossen haben, gehen noch weiter und haben es sich zum Ziel gesetzt, den offiziellen Gipfel zu stören. Gleichzeitig veranstalten sie einen Gegengipfel in der dänischen Hauptstadt. Die Forderung nach der Reduktion von Emissionen, die zur Erderwärmung führen, wird hier mit einer grundsätzlichen Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise verknüpft. Beide Netzwerke gehen davon aus, dass jeder klimapolitische Ansatz, der auf einer wachstumsorientierten Wirtschaftsweise basiert, zum Scheitern verurteilt ist.
Diese Sichtweise vertreten in einer sehr abgeschwächten Form auch der Politikwissenschaftler Claus Leggewie und der Sozialpsychologe Harald Welzer, beide am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen tätig. In ihrem neuen Buch »Das Ende der Welt, wie wir sie kannten« kritisieren die beiden Wissenschaftler die gegenwärtige »Wachstumsreligion«, die dazu führe, dass die Klimakrise ignoriert werde. Dennoch gehen sie davon aus, dass der Kapitalismus das Potenzial besitzt, »grün« zu werden, und dass auch der Einzelne aktiv dazu beitragen kann, dem Klimawandel erfolgreich zu bekämpfen. Ihre Formel dafür heißt: Klimawandel ist Kulturwandel. Doch was bedeutet das konkret?
Zunächst einmal schildern Leggewie und Welzer, wie die durch menschliches Handeln verursachte Erderwärmung zu einer »Großen Transformation« des Modells westlicher Industriegesellschaften führe. »Wer 2010 zur Welt kommt, kann das Jahr 2100 noch erleben; ohne rasches und entschlossenes Gegensteuern wird die globale Durchschnittstemperatur dann um vier bis sieben Grad Celsius gestiegen sein und unsere Nachkommen werden eine Atemluft vorfinden, wie sie heute nur in engen, stickigen Unterseebooten herrscht.« Mit anderen Worten: Wenn nicht sofort Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise eingeleitet werden, ist es bald zu spät. Die im ersten Teil des Buches geschilderten Szenarien – Inseln versinken im Meer, Dürren überziehen das von Hunger geplagte Afrika, der Amazonas-Regenwald versteppt – lesen sich wie ein Katalog biblischer Plagen. Auf der anderen Seite habe man es mit einer westlichen Staatengemeinschaft zu tun, die vor diesen Gefahren die Augen verschließt und stattdessen Milliarden in Bankenrettungsfonds und Subventionen für die Autoindustrie pumpt.
Diese Art von Schock-Pädagogik verdirbt auch interessierten Lesern, die mehr über die Hintergründe der Klimakrise erfahren wollen, fast die Lust. Man fühlt sich hilflos und wie ein nutz­loses Rädchen inmitten eines Systems, das spätestens seit dem Antritt der neuen Bundesregierung auch in Deutschland nur noch auf einen Namen hört: Wachstum.
Doch lohnt es sich an dieser Stelle, weiter zu lesen. Weniger um eine Sichtweise geliefert zu bekommen, die man selbst problemlos unterschreiben könnte, sondern um einen Blick dafür zu bekommen, welche reformorientierten Ansätze es gibt, Kapitalismus und Klimaschutz zusammenzubringen.
Welzer und Leggewie beleuchten dabei zwei Themenkomplexe. Zum einen die Frage danach, wie »grünes«, »nachhaltiges« Wirtschaften aussehen könnte, zum anderen die Herausforderung einer Erneuerung der Demokratie von unten. Beide Aspekte gemeinsam sollen dazu dienen, der Klimakrise besser beizukommen, als dies gegenwärtig der Fall ist. Es fallen Schlagworte wie »grüne Konjunkturprogramme«, Ausbau von erneuerbaren Energien und öffentlichem Personennahverkehr und der Verzicht auf einen konsumorientierten Lebensstil. Darin steckt viel von der These »Arbeit durch Umwelt«, die einem aus früheren Parteiprogrammen der Grünen bekannt vorkommt. Der Zuwachs an Demokratie beinhaltet für die Autoren Partizipation, Ehrenamt und ein am Gemeinwohl orientiertes Handeln. Praktiziert werden soll das, was man neuerdings als »strategischen Konsum« bezeichnet. Mit anderen Worten: in den Biomarkt gehen, Energiesparlampen benutzen und Fahrrad fahren, so nachzulesen auf dem Konsumentenportal www.utopia.de.
Diese Forderungen sind dann doch etwas zu bescheiden, gerade in Zeiten, wo immer mehr Menschen auch in Deutschland oft nicht über die ökonomischen Mittel und das Wissen verfügen, um »strategisch« zu konsumieren. Man hätte sich gewünscht, dass die Themen soziale Teilhabe, Umverteilung und Bildung zumindest in Ansätzen behandelt würden. So laufen Leggewies und Welzers Vorschläge letztlich in eine Richtung, die sie vielleicht selbst ablehnen: Bestätigung des eigenen bürgerlichen Lebensstils, bei dem individuelles Umweltbewusstsein, solange man es sich leisten kann und es dem eigenen Wohlbefinden nicht entgegensteht, als Distinktionsgewinn praktiziert wird. Oder, wie es in der Songzeile des REM-Hits heißt: »This is the end of the world as we know it. (And I feel fine).«

Claus Leggewie, Harald Welzer: Das Ende der Welt, wie wir sie kannten. Klima, Zukunft und die Chancen der Demokratie; S. Fischer, Frankfurt/M. 2009, 19,95 Euro