Wolfgang Teske vom Diakonischen Werk im Gespräch über die Kirche als Unternehmen

»Es geht nicht um Kapital und Arbeit«

Das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche und ihr katholisches Gegenstück Caritas beschäfigen zusammen rund eine Million Mitarbeiter. Über deren arbeitsrechtliche Sonderstellung sprach die Jungle World mit Wolfgang Teske, dem Vizepräsidenten des Diakonischen Werks.

Sollte man Ihrer Meinung nach das Streikrecht abschaffen?

Wie kommen Sie darauf? Das war niemals eine Position, die Kirche oder Diakonie eingenommen haben.

Ich komme auf diese Frage, da die Diakonie sich in einem Schreiben an die Gewerkschaft Verdi darauf beruft, dass der arbeitsrechtliche Sonderweg der Kirchen kein Recht auf Streik vorsehe. Daraus könnte man schließen, nach Ihrer Ansicht bräuchten Arbeitnehmer kein Druckmittel, um ihre Interessen zu wahren.

Hier muss man differenzieren, was in der gewerblichen Wirtschaft üblich ist und was in Kirche und Diakonie gilt. In Kirche und Diakonie gibt es den »Dritten Weg«, und der macht Streik und Aussperrung überflüssig. Streik und Aussperrung sind, und das ist verfassungsrechtlich abgesichert, im »Dritten Weg« nicht zulässig.

Inwiefern unterscheiden sich kirchliche Einrichtungen von privaten Unternehmen?

Der Unterschied ist, dass Einrichtungen der Diakonie am Verkündigungsauftrag der Kirche teilhaben. Insofern geht es nicht um einen Gegensatz von Kapital und Arbeit, denn sowohl die Arbeitnehmer als auch die Arbeitgeber haben Teil am Verkündigungsauftrag. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es zulässig sein kann, jemanden auch nur zeitweise vom Auftrag der Kirche auszuschließen, sei es durch Aussperrung oder dadurch, dass jemand von streikenden Kollegen daran gehindert werden darf, diesen Auftrag zu erfüllen.

Sie setzen voraus, dass alle Arbeitnehmer der kirchlichen Unternehmen arbeiten, um den Verkündigungsauftrag der Kirchen zu erfüllen. Ist das in der Realität so?

Nach wie vor sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kirchlicher Einrichtungen zum überwiegenden Teil Kirchenmitglieder. Man kann sich übrigens auch Schlimmeres vorstellen, als bei Diakonie und Kirche beschäftigt zu sein.

Auch kirchliche Unternehmen stehen unter enormem Kostendruck. Müssen Einrichtungen der Diakonie nicht heute nach ganz normalen betriebswirtschaftlichen Maßgaben handeln?

Das müssen sie, denn die Bilanzierungsregelungen gelten für alle gleich. Auch kirchliche Einrichtungen sind zum Personalabbau gezwungen. Das liegt aber nicht daran, dass die Mitarbeiter nicht streiken dürfen, sondern daran, dass die Kostenträger wie die Krankenkassen nicht bereit oder nicht befugt sind, die Lohnkosten in vollem Umfang zu refinanzieren. Deshalb müssen wir uns darüber klar werden, was uns soziale Dienstleistungen wert sind. Das ist die entscheidende Frage.

Was unterscheidet die Tätigkeit einer Pflegekraft in einem diakonischen Heim von der ­einer Pflegekraft in einem städtischen Heim?

Der ganzheitliche Ansatz, mit dem sich unsere Mitarbeiter um die Menschen kümmern. Das hängt natürlich immer auch vom Einzelnen ab; es gibt gute Christen, die in kommunalen Einrichtungen oder privat-gewerblichen Einrichtungen tätig sind, das will ich nicht in Abrede stellen, aber unsere Einrichtungen haben durch ihr Leitbild einen ganz anderen Ansatz für ihre Arbeit.

Angesichts der knappen Kassenleistungen dürfte der Zeitdruck für Pflegekräfte in allen Pflegeeinrichtungen gleich sein.

Der Zeitdruck ist immens, aber dennoch kommt es darauf an, wie die Mitarbeiterinnen und Mit­arbeiter auf die Menschen zugehen. Man kann freundlich, von einem inneren Auftrag getragen auf die Menschen zugehen, und davon gehen wir bei unseren Mitarbeitern aus.

Diakonie und Caritas gehören zu den größten Arbeitgebern. Aufgrund der Stellenknappheit sind Menschen in sozialen Berufen oft darauf angewiesen, bei Caritas oder Diakonie zu arbeiten. Ist das nicht ein Problem, dass die kirchlichen Einrichtungen sich als Verkündigungsgemeinschaft sehen, aber in manchen Bereichen fast ein Monopol haben?

Ich kenne keine Gegend, in der die kirchlichen Einrichtungen im sozialen Bereich ein Monopol haben. Auch im Bereich Altenpflege ist es nicht so, dass die Menschen keine alternativen Arbeitgeber finden können. Es gibt überall Einrichtungen anderer Träger, der Arbeiterwohlfahrt etwa, oder private Einrichtungen.

Die Gewerkschaften werfen der Diakonie vor, die Löhne der Beschäftigten seit 2004 nicht mehr erhöht zu haben.

Man muss hier genau hinsehen. Die Löhne sind zum Teil nicht erhöht worden, weil es in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen keine Einigung gab. Dabei lagen seitens der Arbeitgeber Angebote zu Lohnerhöhungen vor. Außerdem sind die Gewerkschaften jederzeit eingeladen, im »Dritten Weg« mitzuarbeiten.

Sofern sie die Sonderbedingungen der Kirchen akzeptieren.

Ja. Ob sich allerdings für die Mitarbeiter etwas zum Positiven verändert, wenn sich Verdi in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen engagiert, da habe ich Zweifel. Schauen Sie sich nur das Beispiel der von Verdi ausgehandelten Haustarifverträge der Rhön-Kliniken an, die teilweise erheblich unter dem Niveau dessen liegen, was im kirchlich-diakonischen Bereich bezahlt wird.

Zugleich wird in der Diakonie zunehmend Personal in Tochtergesellschaften ausgegliedert, um Kosten zu sparen.

Niemand sourct gerne aus. Wir finden es problematisch, wenn immer mehr Bereiche ausgegliedert werden, aber auch hier spielen die Lohnkosten die entscheidende Rolle. Wenn die Kostenträger nur noch bereit sind, die niedrigsten Personalkosten der Privatwirtschaft zu übernehmen, können kirchliche Einrichtungen ihre Mitarbeiter auf Dauer nicht besser bezahlen, wenn sie nicht selbst den Weg zum Konkursrichter antreten wollen.

Werden Bereiche ausgesourct, die nicht mit dem »Verkündigungsauftrag« verbunden sind?

Am Verkündigungsauftrag hat jeder kirchliche Mitarbeiter teil, unabhängig davon, ob er Theologe, Pflegekraft oder Reinigungskraft ist, da grenzen wir niemanden aus. Es handelt sich schlicht um Bereiche, in denen die Privatwirtschaft geringere Löhne zahlen kann als wir, und aus dieser Richtung kommt auch der Druck auf die Löhne: Der kommt nicht aus dem innerkirchlichen Bereich, sondern aus dem Bereich, in dem Arbeit­geber und Gewerkschaften Löhne aushandeln.

Die Kirche beansprucht spezielle »Loyalitätsobliegenheiten« und damit auch eine Sonderstellung im Antidiskriminierungsrecht. Wenn kirchliche Einrichtungen aber dringend Personal brauchen, spielt es offenbar keine Rolle, ob die Putzfrau muslimischen Glaubens ist.

Ich glaube, dass es an jeder Stelle wichtig ist, Menschen einzustellen, die hinter unserem Verkündigungsauftrag stehen. Im Osten Deutschlands, der vielfach aufgrund der Geschichte entkirchlicht ist, muss man sehen, wie man auch andere Menschen dazu bringen kann, den Auftrag zu bejahen und für Kirche und Diakonie tätig zu werden. Wir haben nach wie vor im Osten die Entwicklung, dass vielfach die Tätigkeit nicht-kirchlicher Mitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen zu Kircheneintritten führt – nicht um die Stelle zu halten, sondern aus Überzeugung, weil Menschen dort etwas vom Auftrag der Kirche erfahren, was ihnen in ihrer Jugend vorenthalten worden ist. Unsere Arbeit hat daher auch einen missionarischen Aspekt.