Über die Fans von SK Rapid Wien

88 ist auch nur ’ne Zahl

Der SK Rapid Wien ist nach dem 3:0 gegen den HSV in der Europa League auch in den Blickpunkt der deutschen Fußball-­Öffentlichkeit geraten. Grund genug, einen näheren Blick auf den Verein und dessen Fans zu werfen, zu deren Opfern der derzeit in der Bundesliga reüssierende Andreas Ivanschitz gehörte.

Rapid Wien ist der mit Abstand populärste Fußballverein Österreichs. Der im Jahre 1899 gegründete Klub aus dem Wiener Stadtteil Hütteldorf konnte seine Zuschauerzahlen in den vergangenen Jahren kontinuierlich steigern, derzeit wird ein für österreichische Verhältnisse fast schon sensationeller Durchschnitt von über 17 000 Besuchern erreicht. Das entspricht einer Auslastung der Heimstätte von Rapid, dem Gerhard-Hannapi-Stadion, von über 97 Prozent. Es gibt 154 offizielle Fanclubs, die wohl bedeutendste Fangruppierung stellen die »Ultras Rapid 1988« dar, die in der Vergangenheit schon des Öfteren für Aufsehen gesorgt haben. Zum einen aufgrund von gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Fans anderer Vereine (insbesondere bei Derbys gegen den zweiten großen Wiener Verein, die Austria), zum anderen durch eine oftmals unterstellte Nähe zu rechtsextremen Gedankengut.
Gründe für den schlechten Ruf der Hütteldorfer Fans gibt es genug: In den achtziger Jahren versuchten organisierte Neonazis in mehreren Anläufen, die Heimat des organisierten Rapid-Supports, die Westtribüne des Hanappi-Stadions, zu unterwandern und Sympathisanten für ihre Sache zu rekrutieren. Der bekannteste Protagonist solcher rechtsextremer Strategien war Gottfried Küssel. Küssel, ein überzeugter Nationalsozialist, gründete 1986 die »Volkstreue Außerparlamentarische Oppostition« (VAPO), eine der einflussreichsten neonazistischen Gruppierungen Österreichs. Die VAPO organisierte Wehrsportübungen und Kundgebungen und wurde Anfang der neunziger Jahre im Zuge des Briefbomben-Terrors in Österreich zerschlagen. Küssel wurde wegen NS-Wiederbetätigung zu zehn Jahren Haft verurteilt, kam jedoch 1999 wieder frei. Seitdem wurde er regelmäßig im Umkreis diverser rechtsextremer Gruppen und Personen gesichtet.
Die Unterwanderungsversuche auf der Westtribüne waren teilweise erfolgreich, so konnte man in den achtziger und neunziger Jahren oft antisemitische und rassistische Parolen hören. Insbesondere der Lokalrivale Austria aus dem Wiener Stadtteil Favoriten, ein Verein mit jüdischen Ursprüngen, wurde regelmäßig mit »Juden­schweine«-Rufen bedacht, auch das so genannte U-Bahn-Lied wurde immer wieder ­angestimmt (»Wir bauen eine U-Bahn, von Favoriten bis nach Auschwitz!«). Des Weiteren sorgten die zahlreichen »88«-Fahnen der Ultras für Aufsehen, wobei die Gruppe selbst diese Zahlenkombination ausschließlich auf ihr Gründungsjahr, 1988, bezogen wissen will.
Zur Ehrenrettung der Rapid Ultras sei gesagt, dass diese vor allem in den vergangenen Jahren relativ erfolgreich versuchten, den Einfluss rechtsextremer Gruppierungen auf der Westtribüne zurückzudrängen. Das neue Credo lautet: »Die Kurve ist unpolitisch.« Ob diese Tendenzen auf einen tatsächlichen politischen Sinneswandel oder doch nur auf die Sorge um das eigene Image zurückzuführen sind, sei dahingestellt. Öffentlich demonstriert wurde der neue Umgang mit rechtsextremen Parolen unter anderem am 20. April 2008 im Bundesliga-Spiel gegen Altach, als ein Transparent mit Geburtstagswünschen für Adolf Hitler (»Alles Gute 18«) gehisst wurde. Das Transparent wurde umgehend von Mitgliedern der Ultras entfernt. Werden von den Rändern der Westtribüne rassistische Sprechchöre oder Affenlaute angestimmt, so antworten die Ultras, in der Mitte der Tribüne positioniert, mittlerweile mit einem gellenden Pfeifkonzert darauf. Solche fast schon anti-rassistischen Positionierungen wären in den Achtzigern und Neunzigern im Hanappi-Stadion nicht möglich gewesen.
Der vorerst letzte bedenkliche Vorfall ereignete sich Anfang November. Rapid empfing im ausverkauften Ernst-Happel-Stadion Hapoel Tel Aviv, schon im Vorfeld wurden antisemitische Äußerungen gegenüber den Spielern und Fans des Gegners aus Israel befürchtet. Wie das Nachrichtenmagazin Profil sowie etliche anwesende Anhänger berichteten, konnte man während des Spiels den Sprechgesang »Wer nicht hüpft, der ist ein Jude« sowie andere antisemitische Anfeindungen vernehmen. Interessanterweise wurde der gleiche Gesang Monate davor von Anhängern des Retortenvereins Red Bull Salzburg in der Partie gegen Maccabi Haifa, damals in einer TV-Live-Übertragung für ganz Österreich hörbar, angestimmt. Wieder einmal dauerte es nicht lange, bis die Ultras auf der Homepage des SK Rapid eine nicht sonderlich überzeugende Stellungnahme veröffentlichten. Unter anderem heißt es dort: »Fakt ist: Auf sämtlichen audiovisuellen Dokumentationen zum Spiel war kein einziger antisemitischer Gesang zu vernehmen, schon gar nicht von den ›Ultras Rapid‹ angestimmt. Dass es unter 48 000 Zuschauern bei einzelnen zu rassistischen oder diskriminierenden Äußerungen gekommen sein mag, schließt der SK Rapid aber nicht aus – verurteilt es aber aufs Allerschärfste.«
Eines der prominentesten Opfer von Unmutsbekundungen der Rapid Ultras war der Österreicher Andreas Ivanschitz, der zurzeit in der deutschen Bundesliga sehr erfolgreich bei Mainz 05 spielt. Ivanschitz war bei Rapid Wien groß geworden, ein Liebling der Fans, der es in jungen Jahren bis zum Kapitän der österreichischen Nationalmannschaft gebracht hatte. Anfang 2006 wechselte er zum »Klassenfeind« Red Bull Salzburg, ein Transfer, mit dem der Mittelfeldspieler den Hass des Rapid-Anhangs auf sich ziehen sollte. In diversen Internetforen und bei Spielen von Rapid wurde er massiv angefeindet und unter anderem als »Andrea« verunglimpft. Unter den Trainern Giovanni Trapattoni und Lothar Matthäus konnte sich Ivanschitz bei Salzburg nicht durchsetzen und wechselte noch im Sommer 2006 nach Griechenland zu Panathinaikos Athen.
Zur ersten Rückkehr in die alte Heimat kam es im Mai 2007, als das österreichische Nationalteam im Hanappi-Stadion ein Testspiel gegen Schottland bestritt. Es kam zu unfassbaren Szenen, der Kapitän des Heimteams wurde im eigenen Stadion über die gesante Spieldauer bespuckt, beschimpft und mit Gegenständen beworfen. Obwohl die Anfeindungen nur aus dem Block West kamen, wo ein großes Transparent mit den Worten »Judasschitz raus aus Hütteldorf!« platziert wurde, und sich ein Großteil des restlichen Publikums demonstrativ hinter Ivanschitz stellte, hinterließ die Partie einen äußerst bitteren Nachgeschmack. Die schottischen Medien waren trotz eines 1:0-Sieges entsetzt über die Vorkommnisse, und der damalige Präsident des Österreichischen Fußball-Bundes, Friedrich Stickler, kommentierte zerknirscht: »Manchmal geniere ich mich, ein Österreicher zu sein. So etwas gibt es in keinem anderen Land der Welt. Das war Terror!«
Die Ereignisse im Spiel gegen Schottland sorgten für Aufregung in den österreichischen Medien, einmal mehr wurde den Rapid Ultras wegen des »Judasschitz«-Transparents Antisemitismus vorgeworfen. Und einmal mehr bewiesen die Ultras ihr fehlendes Fingerspitzengefühl im Umgang mit antisemitischen Codes: »Gleichzeitig verwehren wir uns aber mit aller Entschiedenheit gegen den Vorwurf gewisser Medien, das Spruchband ›Judasschitz raus aus Hütteldorf!‹ habe einen antisemitischen Hintergrund. Wieso sollte ein Anti-Ivanschitz-Spruchband einen derartigen Background haben? Jeder, der Rapid-Spiele besucht, weiß, dass wir jeglichen politischen Strömungen im Block West entgegentreten«, hieß es in einem Kommunique.
Traurig genug, dass es damals einem Kommentar der erzkonservativen österreichischen Tageszeitung Die Presse vorbehalten blieb, die richtigen Worte zu den Ausfällen der Rapid-Anhänger zu finden: »… eine (nicht) zu rechtfertigende Wortwahl wie das Wort: ›Judasschitz‹. Hinter diesem Wort steht, bewusst oder unbewusst, der christliche Antijudaismus, der seit dem Mittelalter an der Wurzel des europäischen Antisemitismus liegt. Judas, der den Herrn verraten hat, für dreißig Silberlinge. Ist diese Fan-Gemeinde die Fortsetzung des notorischen Antisemitismus in einem Fußballklub?«
Der Präsident von Rapid, der frühere österreichische Finanzminister Rudolf Edlinger, hat mittlweile eine Studie zur Erforschung der Vereinsgeschichte angeregt. Vorbild für diese Unternehmungen sind dabei deutsche Bundesligisten wie etwa Schalke 04. Die ersten Ergebnisse klingen gerade in Anbetracht des Antisemitismus-Problems einiger Rapid-Anhänger durchaus interessant: Der Verein dürfte jüdische Wurzeln haben. So waren die Gründer des Vorgängervereins, dem ersten Wiener Arbeiter Fußball Club, zum Teil Juden, und auch die Idee zum Namen »Rapid« scheint einen jüdischen Ursprung zu haben. Man darf also auf weitere Ergebnisse der Untersuchung, vor allem zur Rolle des Vereins während des Nationalsozialismus, gespannt sein.