Playmobil ist der Untergang des Abendlands

Die Rationalität der Knubbelkupplung

Playmobil ist der Untergang des Abendlandes.

Nichts war enttäuschender, als zu Klassenkameraden eingeladen zu werden, die mit Playmobil spielten. Stundenlang saß man da neben Zweitklässlern, die Brumm- und Kreischgeräusche von sich gaben und Plastikfiguren aneinanderschlugen. Selbst wenn es etwas Phantasie brauchte, um nachzuvollziehen, warum hier eine immerwährende Schlacht zwischen Indianern und Bauarbeitern tobte, zweifelte ich wegen der einfachen Grundstruktur dieses Spiels schon damals an der These mancher Eltern, Playmobil fördere die Entwicklung narrativer Kreativität.
Weil mich also dieses Spiel so entsetzlich langweilte, tat ich mit den Playmobilfiguren das, was Legokinder tun: der Sache auf den Grund gehen. Dinge auseinandernehmen, verstehen, neu kombinieren. Das Ergebnis war erschreckend. Zog man den Playmobilfiguren ihre zottelige Plastikhaarpracht ab, war der Kopf darunter hohl. Da spielten tatsächlich Hohlköpfe mit Hohlköpfen! Für ein Legokind war nichts Schlimmeres denkbar.
Nahm man nämlich Legomännchen Frisur, Mütze oder Helm ab, war darunter ein äußerst intelligenter Knubbel, der Legoknubbel, der nicht weniger ist als die Grundlage eines genialen binären Prinzips, mit dem sich, analog zu anderen binären Codes wie Nullen und Einsen, Zahlung und Nicht-Zahlung, Identität und Differenz, erstaunliche Komplexität erzeugen ließ. Dank seines Knubbels ließ sich etwa der zylindrische Kopf der Legomännchen an alles mögliche kuppeln, nicht nur an Helme und Frisuren, sondern auch an Blinklichter, Bratpfannen oder die Arschbacken anderer Legomännchen. Playmobilmännchen fielen dauernd um. Legomännchen waren anschlussfähig, an was auch immer.

Deshalb hatte es auch keinen Sinn, mit Legomännchen irgendwelche Schlachten zu schlagen. Lego ist konstruktiv. So konstruktiv, dass ich bald ein Legoland besaß, dass beständig ausgebaut werden wollte. Die Lego-Knubbel erzwingen das. Ein bloßes Legomännchen ist nackt, es ist nicht fertig, solange der Kopfknubbel nicht verknubbelt ist, die für die Knubbel anderer Dinge vorgesehenen Löcher in Füßen und Beinen unverkuppelt sind, solange die überdimensionierten gelben Hände in Zangenform noch keinen Schraubenschlüssel fassen. Wirklich zu sich selbst kommt das Legomännchen auf dem Motorrad. Die Hände umschließen die Lenkstange, die Füße stecken auf den Fußrasten, erst wenn dem Kopfknubbel der Helm auf den Kopf gekuppelt wird, ist die Figur eine Entität, ein abgeschlossenes Ganzes.
Wie aber stand es um die Legoweibchen? Brüste oder andere Geschlechtsmerkmale gab es nicht, Distinktionmerkmal waren die Haare. Männer hatten Ritterhelme, Motorradhelme, Mechanikermützen oder Feuerwehrhelme. Frauen dagegen hatten Plastikfrisuren. Für das familiäre Zusammenleben in Legoland war das unpraktisch. Der Feuerwehrmann kam in der Packung »Feuerwache« mit einem Helm an, eine Frisur für seine Freizeit lag ihr nicht bei. Wie also sollte er anders mit seiner Familie zu Abend essen als mit Helm oder blanker Knubbelglatze?
Denn solange man sich in der Legokiste auf der Suche nach einer Frisur auch die Finger wund wühlte, so sehr man alle Legosteine, die man hatte, auch im Zimmer verteilte: Es gab nicht genug Frisuren. Es herrschte Mangelwirtschaft in Legoland, es gab nicht nur zu wenig rote Rücklichter, es gab auch nur für wenige ein Bett, eine Mütze oder eine Frisur. Wie war da an die Verwirklichung der Prinzipien Legolands zu denken, an Gerechtigkeit, an Gleichheit? Die Lösung war einfach: Frisuren gab es nur für Frauen. In meinem Lego-Kommunismus sah es deshalb aus wie in einer National Befreiten Zone: Die männliche Population bestand ausschließlich aus Skinheads.

Schlimm war das nicht. Ihren Mangel an kopfseitiger Verkuppelung sublimierten diese kleinen glatzköpfigen Homo Fabers, indem sie aus einfachen Knubbelsteinen komplexe Dinge schufen, indem sie »Einer«, »Zweier« und »Vierer« nutzten, um ihre pixelige Legowelt zu optimieren, indem sie mit »Achter-Leisten«, Hebeln und Computersteinen Raumschiffe bauten, um ferne Galaxien zu erkunden. Sie hatten Leitern, Schläuche und Äxte, um Brände zu löschen. Polizisten hatten Besen, sie putzten die Straßen. Verbrecher kannte Legoland nicht. Während nämlich die Population der hohlköpfigen Playmobilmenschen aus allem, was sie in die Hände bekam, eine Waffe machte, spielten selbst die Legoritter mit ihren Schwertern nur Theater. Gewalt war den kleinen lächelnden Rationalisten mit ihren schlauen Knopfaugen gar nicht zuzutrauen.
Doch die seit den achtziger Jahren fortschreitende Infantilisierung der Gesellschaft hat auch vor Lego nicht halt gemacht. Lego ist heute längst verplaymobilisiert: Die Einsatzkräfte der neuen »Legospace-Police« haben grimmige Augenbrauen und dicke Waffen. Im Lego-Animationsfilm auf der Lego-Homepage jagen sie damit braune Außer­irdische. Den Sieg der Barbarei über die Vernunft der Moderne – nichts geringeres dokumentiert die kulturelle Hegemonie von Playmobil in den Kinderzimmern von heute.