Aus Legokindern werden Mathe-Streber

Love, Peace and Plastics

Aus Playmobilkindern werden die besseren Menschen. Legokinder hingegen werden zunächst Mathe-Streber und enden schließlich als Beamte.
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Das alles beginnt ja mit der Möglichkeit, Dinge synthetisch oder halbsynthetisch aus monomeren organischen Molekülen herzustellen – sprich mit dem Plastik. Lego ebenso wie Playmobil, aber selbstverständlich auch die Barbie-Puppe – das sind die Spielzeuge der Kunststoff-Generation, der Plastikkinder. So wie Lego die synthetische Fortsetzung der Holzbauklötze ist und Barbie die Fortsetzung der Porzellanpuppe, ist Playmobil die moderne Variante der Zinnsoldaten. Die ersten Playmobil-Figuren, die 1974 auf den Markt kamen, hatten als Thema »Baustelle«, »Wilder Westen« und »Ritterzeit«. Man besaß als kleiner Knabe – ja, sorry, das ist hier wohl eher ein Jungsding –, man besaß also, oder ich jedenfalls, eine Kiste voller Bauarbeiter, Straßenabsperrungen, Schippen, Spitzhacken, Walzen, Schubkarren, Leitern, Eimerchen, grünen Bierflaschen (ja, wirklich, zur Bauarbeiter-Grundausstattung gehörten drei Kisten Bier!), Helme, Sägen, Signalwesten, einen Kipplaster, Bauwagen, Betonmischer, dazu eher pastellfarbene Indianer mit Federn, Kanus, Friedenspfeifen und Tomahawks, Cowboys mit Hüten, Pistolen, Pistolengürteln und Halstüchern, Mexikaner mit roten Sombreros, blaue Nordstaaten-Soldaten, Kanonen, Säbel, Trompeten, Pferde, Sattel, außerdem Ritter mit sehr schlichten silbernen Helmen, Schwertern, Schildern, Lanzen, Kronen, silbernen Trinkgefäßen, Schatztruhen. Na ja, was man eben alles so braucht als auf dem Bau arbeitender indigener Ritter während des amerikanischen Bürgerkriegs. Alles aus Plastik natürlich, beziehungsweise eben nicht »natürlich«, sondern kunststofflich, und durchaus so klein, dass man es bequem verschlucken könnte, womit klar war: Das ist hier kein Spielzeug für Babys.

Das Wunderbare an Playmobil und damit das Gegenteil von Barbie: Die Figuren sind dermaßen schlicht, dermaßen unrealistisch, dass für die Phantasie jede Menge Raum bleibt. Und früher waren sie noch schlichter. Und zugleich extrem formschön! Das Gesicht: zwei Punkte als Augen und ein lachender Mund. Alle Püppchen hatten dieselbe Frisur mit einem Zickzack-Pony, nur die Haarfarbe variierte. Dann kamen die Konkurrenz-Figuren von »PlayBig« auf den Markt, im Yps-Heft waren die auch gelegentlich als »Gimmick«, die hatten Augenbrauen, eine gerade Topf-Frisur und hässliche Schnurrbärte. Ich habe sie gehasst. Zum Glück musste bereits 1979 die Produktion dieser Störenfriede wieder eingestellt werden, weil Playmobil vor Gericht gegen die Nachahmer gewann.
Playmobil-Figuren ließen den Raum für jede Interpretation und Improvisation. Irgendwann schlossen sich bei mir zum Beispiel die gelben Indianer und die gelben ADAC-Mitarbeiter, ein paar Mexikaner und Bauarbeiter zu den »Guten« zusammen. Sie waren dank ihres gelben PKW und Hubschraubers (beides vom ADAC) den »Blauen«, die sich vor allem aus ehemaligen Nordstaatensoldaten, einigen Indianern, Feuerwehrleuten und Polizisten rekrutierten und nur über ein paar Motorräder und den Kipplaster verfügten, völlig überlegen. Je älter ich wurde, desto mehr stellten die Gelben gesellschaftspolitische Forderungen, während die Blauen mehr und mehr zu Handlangern des Systems, zu einer Art Polizei-Soldaten-Heer wurden. Man kann sagen, so wurde ich politisiert. Schließlich wurde ich selbst ein Gelber, Playmobil war dann nicht mehr nötig.

Und so sind wir Playmobilkinder, wir Träumer und Idealisten, schließlich Künstler, Lehrer, Lyriker, Sozialarbeiter, Alkoholiker, Streetfighter, Filmstars oder Filmfreunde geworden. Frühere Legokinder hingegen programmieren heute deinen Computer, messen den Klimawandel, machen Pläne, nehmen deinen ALG-II-Antrag entgegen oder bauen Häuser. Sicher muss es auch solche phantasielosen Nerds geben, die lieber rechnen als denken. Sie, die Legospießer, sorgen schließlich dafür, dass sich die Schaltkreise schließen, mit denen wir Playmobilpoeten unsere Lava-Lampen betreiben, sie halten die Welt zusammen, in der wir bei entspannter House-Musik in schönen Kostümen kiffend über Adorno parlieren, Blumenbeete wässern und Rehe füttern. Legomenschen wissen nicht, was sie mit einem Stein anfangen sollen, der nicht auf einen anderen passt. Da flippen die aus. Was nicht rechteckig ist, passt nicht in ihren Quaderkopf. Sie sind die Mathe-Streber, die dich später nerven, weil du das Formular falsch ausgefüllt oder das Altglas in die falsche Tonne getan hast, Technokraten, die dir, wenn der Computer streikt, entgegenhalten: »Anwenderfehler«. Die meinen, sie seien früher »auch ziemlich verrückt gewesen«, weil sie mal bei einem Rolling-Stones-Konzert »richtig beschwipst« waren. Aus Playmobilkindern hingegen werden Rolling Stones.