Der Atommüll in Asse II

Nur ein leeres Endlager ist ein sicheres Endlager

Der im labilen Salzstock Asse II gelagerte Atommüll soll wieder herausgeholt werden. Allerdings könnte noch einiges dazwischenkommen.

Es ist derzeit nicht die leichteste Aufgabe, die Wolfram König, der Präsident des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS), zu erfüllen hat. Schließlich muss er für seinen Chef, Umweltminister Norbert Röttgen (CDU), Entscheidungen vorbereiten und öffentlich verteidigen.
Die Behörde Königs, der Parteimitglied der Grünen ist, betreibt seit Anfang 2009 die langsam durch eindringendes Wasser absaufende Atommülldeponie im niedersächsischen Asse. In dem zunächst als Forschungsanlage getarnten Endlager durften die Atomkonzerne zwischen 1967 und 1978 kostenlos bzw. gegen ein geringes Entgelt ihren Atommüll abladen. Teilweise wurden die Müllfässer dabei einfach von der Baggerschaufel gekippt. Von Anfang an gab es Stimmen, die davor warnten, dass Wasser in die Stollen des bis 1964 betriebenen ehemaligen Salzbergwerks eindringen könnte. Spätestens seit 1988 ist dies der Fall, was aber vor der Öffentlichkeit jahrelang geheim gehalten wurde. Derzeit sind es 12 000 Liter täglich (siehe Jungle World 14/08).

Wolfram König muss nun erklären, was langfristig mit dem Atommüll passieren soll, ohne in Frage zu stellen, dass Salzstöcke grundsätzlich als Endlager geeignet sind. Schließlich ist in Gorleben ein solches Endlager geplant. Gleichzeitig braucht Minister Röttgen Verhandlungsmasse in den bevorstehenden Gesprächen mit den Atomkonzer­nen, was die Verlängerung der Laufzeiten der Kraftwerke betrifft.
Am 15. Januar stellte König in Hannover die Ergebnisse der wissenschaftlichen »Arbeitsgruppe Optionenvergleich« vor. Verglichen wurden dabei folgende Möglichkeiten zur Schließung der Asse: die Rückholung des Atommülls, die vollständige Füllung des Bergwerks mit Beton sowie die Verlagerung der Abfälle in tiefere Schichten. König hält die Rückholung für die beste Variante, weil nur auf diese Weise ein so genannter Langzeitsicherheitsnachweis erbracht werden könne, der juristisch für ein Endlager erforderlich ist. Bei der vom vorherigen Betreiber, dem Helmholtz-Zen­trum München, favorisierten Lösung, das Bergwerk mit Beton zu füllen, kann langfristig keine Sicherheit garantiert werden, weil der Atommüll früher oder später auch mit Grundwasser in Berührung kommen wird. Was die Verlagerung in tiefere Schichten des Bergwerks angeht, ist aus Sicht des BfS nicht klar, ob dafür überhaupt geeignete Stellen gefunden werden können. Diese Formulierungen lassen schon erahnen, dass der Salzstock für die Verwendung als Endlager von Anfang an ungeeignet war.

Die Entscheidung für eine Rückholung muss allerdings nicht bedeuten, dass die 125 787 eingelagerten Fässer tatsächlich irgendwann wieder ans Tageslicht kommen. Es besteht ein gewisser Zeitdruck, weil ein unkontrollierbarer Wassereinbruch befürchtet wird. Das BfS hält die Stabilität der Anlagen bis etwa 2020 für gegeben. In den nächsten zehn Jahren müssten also ein Planfeststellungsverfahren erfolgreich abgeschlossen, die technischen Probleme der Rückholung gelöst und der Atommüll schließlich vollständig geborgen werden. Wegen der knappen Zeit ist daher ei­ne Flutung mit Beton nicht unwahrscheinlich und wird wie die Rückholung des Atommülls – offiziell als Notfallplan – vorbereitet. Dabei könnte es sicherlich interessant werden zu verfolgen, wer auf welcher Grundlage den Notfall feststellen darf, der zum Anwerfen der Betonpumpen führt. Ein weiterer Vorbehalt könnte sich aus der Untersuchung des Inhalts der Fässer ergeben. Sollte sich herausstellen, dass sie Material mit hoher Strah­lenbelastung enthalten, könnte die Rückholung auch daran scheitern.
Was eigentlich mit dem hervorgeholten Atommüll passieren soll, erklärte das BfS bei der Veröffentlichung des Rückholplans nicht. Doch aus dem 225 Seiten starken Schriftstück der wissenschaftlichen Arbeitsgruppe erfährt man zum Beispiel, dass auf dem Gelände der Asse der Bau und Betrieb einer »Transportbereitstellungshalle«, also eines Zwischenlagers, geplant ist.
Wohin die Fässer transportiert werden sollen, darüber kann nur spekuliert werden. Allerdings liegt Schacht Konrad, das bisher einzige genehmigte Endlager in Deutschland, nur 20 Kilometer entfernt. Hier ist die »Langzeitsicherheit« nach An­sicht der Atombürokratie und -justiz nachgewiesen. Eine Ton- und Mergelsteinschicht um die frühere Eisenerzzeche verhindert angeblich dauerhaft das Eindringen von Wasser. Solche verbrieften Sicherheiten hält der Asse-II-Koordinationskreis für zweifelhaft und fordert: »Für den Asse-Müll wie jeden anderen Atommüll muss gelten: Kontrollierte und revidierbare Lagerung – egal wo!«

Neben der Frage nach der Sicherheit stellt sich natürlich auch jene, wer die Kosten für die Rückholung des Mülls tragen soll. Nach Angaben des Handelsblatts ist in einem Gutachten des Essener Ingenieur- und Consultingunternehmens DMT und des TÜV Nord immerhin von mehr als zweieinhalb Milliarden Euro die Rede.
Die Atomkonzerne profitierten von den jahrelang für sie sehr biligen Bedingungen in der Asse. Bei der Anlieferung von Atommüll wurden in den Jahren 1967 bis 1975 überhaupt keine Gebühren verlangt. Auch in den darauf folgenden drei Jahren wurden nur geringe Gebühren erhoben, al­lerdings von den Anlieferern. Und das waren selten die Atomkonzerne, da nur ein kleiner Teil der Abfälle direkt von den Atomkraftwerken dorthin gebracht wurde. Die größere, ebenfalls aus den Atomkraftwerken stammende Menge kam aus dem Kernforschungszentrum Karlsruhe, einer Forschungsanlage zur Wiederaufbereitung von Brennelementen, in die Asse und unterlag somit der Verantwortung des Bundes.

Es ist abzusehen, dass der Staat die Atomkonzerne auch davor schützen wird, für die Rückholung ihres Mülls aus der Billigmüllkippe zahlen zu müs­sen. Unter der Verantwortung von Sigmar Gabriel (SPD) als Umweltminister der Großen Koalition wurde das Atomgesetz geändert. Dabei wurde auch der Paragraf 57b mit dem Titel »Betrieb und Stilllegung der Schachtanlage Asse II« eingefügt, in dem es wörtlich heißt: »Die Kosten für den Wei­terbetrieb und die Stilllegung trägt der Bund.« Nach Gabriels Gesetzesformulierung wäre es sogar noch möglich gewesen, nach dem Abschluss der vorgesehenen Planfeststellung für die Schließung der Asse weiteren Müll einzulagern.
Als Vorsitzender der nunmehr in der Opposition befindlichen SPD ließ Gabriel nach der Entscheidung des BfS der Presse mitteilen: »Die Asse diente ausschließlich den Interessen der Atomindustrie. Dort wurden an der skandalösen und verantwortungslosen Atommüllentsorgung in der Asse und im Endlager Morsleben bei Helmstedt Milliardengewinne gescheffelt. Jetzt soll die Atommüllindustrie auch die Sanierungskosten bezahlen. Wir brauchen die Steuern für Kindergärten und Schu­len und nicht für die Atomindustrie.«