Das iranische Atomprogramm

Im Feuer der islamischen Nation

Das iranische Regime hat einen raketentauglichen Atomsprengkopf entwickelt. Wie schnell die Bombe gebaut wird, ist eine politische Entscheidung. Die westlichen Regierungen beraten nun über neue Sanktionen.

Das iranische Raumfahrtprogramm sei »der Schlüssel für die Verbindung zwischen Gott und der Menschheit«, in Zukunft sollen auch »Wissenschaftler in den Weltraum gesandt werden«, sagte Präsident Mahmoud Ahmadinejad. Doch Gott hat sich im Orbit noch nicht blicken lassen, überdies beförderte die Kavoshgar-3-Rakete, deren Start am Mittwoch der vergangenen Woche bekanntgegeben wurde, nur eine Ratte, zwei Schildkröten sowie einige Würmer ins All. Dass der Zweck dieses Tiertransports unklar blieb, war nicht der einzige Grund für die Zweifel an Ahmadinejads Ankündigung, man strebe den Sieg nur in der »Arena der Wissenschaft« an.
Die bei einem zivilen Raketenprogramm gesammelten Erfahrungen können auch militärisch genutzt werden. Wie weit Ahmadinejads Raketen ihre Sprengköpfe tragen können, ist umstritten, zumal die Iraner hin und wieder schummeln. So hatte die paramilitärische Elitetruppe der »Re-volutionswächter« im Juli vergangenen Jahres das Foto eines Tests verfälscht, um zu verbergen, dass nicht alle Raketen planmäßig abhoben. Auch für die Reise der Schildkröten ins Weltall gibt es keine unabhängige Bestätigung.
Es gilt jedoch als sicher, dass iranische Raketen mindestens 1 500 Kilometern weit fliegen können und intensiv daran gearbeitet wird, die Reichweite zu erhöhen. Derzeit können iranische Sprengköpfe Israel und Indien, den Südosten Europas und weite Gebiete Zentralasiens erreichen, aber auch das Territorium jener Staaten im Nahen und Mittleren Osten, die Ahmadinejad wohl meinte, als er im Jahr 2005, kaum an die Macht gekommen, ankündigte, es werde »jeder, der aus Naivität, Egoismus oder Hedonismus« Israel anerkenne, »im Feuer der islamischen Nation verbrennen«.
Angesichts des iranischen Atomrüstungsprogramms kann man nicht sicher sein, ob das nur blumig formulierte Propaganda war. Es ist möglich, dass die Atombombe vornehmlich ein Drohmittel sein soll, um den militärisch schwächeren Nachbarstaaten, vor allem den Golfmonarchien, Zugeständnisse abzupressen. Doch bereits diese vergleichsweise harmlose Variante iranischer Machtpolitik hätte unabsehbare Folgen. Das saudische Regime, das den Recherchen der britischen Tageszeitung Guardian zufolge bereits im Jahr 2003 eine »nukleare Option« erwog, würde sich wohl Atombomben beschaffen wollen, möglicherweise aber auch Ägypten, das aus »Egoismus«, um die Rückgabe der Sinai-Halbinsel zu erreichen, Israel anerkannte.

Zu den Geistlichen, die Ahmadinejad beraten, gehört jedoch auch Ayatollah Misbah Yazdi, ein Apokalyptiker, der das baldige Erscheinen des Mahdis, des Erlösers, erwartet (Jungle World 4/07). Wie groß Yazdis Einfluss ist und wie intensiv unter den Hardlinern debattiert wird, ob die Apokalypse durch menschliches Handeln beschleunigt werden kann, wenn Gott nicht recht zur Sache kommen will, ist unklar. Es ist jedoch nicht nur eine Kuriosität, wenn Ahmadinejad den Amerikanern vorwirft, sie versuchten, das Erscheinen des Mahdis zu verhindern. Immerhin haben wir es mit einem Präsidenten zu tun, der glaubt, bei seiner Rede vor der Uno im Jahr 2005 sei um seinen Kopf eine grüne Aura entstanden.
Vermutlich würde der religiöse Führer Ali Khamenei, der als Oberkommandierender des Militärs über den Einsatz von Atombomben zu entscheiden hätte und ein Antisemit, aber kein Selbstmörder ist, Ahmadinejad bremsen, wenn es nötig werden sollte. Andererseits muss befürchtet werden, dass die Machthaber die Atombombe als Drohmittel oder als Waffe einsetzen, wenn ihr Sturz unmittelbar bevorsteht. Überdies gewinnen unter der Präsidentschaft Ahmadinejads die »Revolutionswächter« und andere Paramilitärs an Macht. Eine solche Militärbourgeoisie dürfte weit eher zum Abenteurertum im Stil Saddam Husseins neigen als die saturierte Geistlichkeit.
In den vergangenen Jahren ist es dem iranischen Regime mit einer geschickten Verzögerungstaktik gelungen, wirksame Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats zu verhindern. Ahmadinejad kam dabei zugute, dass es vielen Regierungen an Entschlossenheit mangelte, nicht zuletzt der deutschen, die den lukrativen Handel mit dem Iran (siehe Dossier) nicht gefährden wollte. Das könnte sich nun ändern. Dem iranischen Regime war angeboten worden, Uran für die Brennelemente eines Forschungsreaktors im Ausland anreichern zu lassen. Die Bedingung war allerdings, dass die 1 200 Kilogramm Uran, über die der Iran nach offiziellen Angaben verfügt, ins Ausland transportiert werden. Darauf wollte Ahmadinejad sich nicht einlassen, er kündigte an, das Uran im Land zu verarbeiten. Da die Brennelemente des Forschungreaktors auf 20 Prozent angereichert werden müssen, während für ein Atomkraftwerk drei Prozent genügen, würde dies die Produktion von Atombomben erleichtern.
Am Wochenende berieten die westlichen Regierungen über neue Sanktionen. Sollte wegen eines Vetos Russlands oder Chinas ein Beschluss des UN-Sicherheitsrats nicht zutande kommen, könnte eine »Koalition der Willigen« gebildet werden. Wenn eine größere Entschlossenheit nun zumindest bekundet wird, dürfte dies nicht allein darauf zurückzuführen sein, dass Ahmadinejad im Streit mit der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) einmal mehr ein Zugeständnis angedeutet hatte, um kurz darauf neue Forderungen und Drohungen folgen zu lassen. In der zweiten Häfte vorigen Jahres wurden neue Fakten bekannt, die belegen, dass der Iran dem Ziel, einen einsatzfähigen Atomsprengkopf bauen zu können, weit näher ist, als man bislang geglaubt hat.
Über eine Bomberflotte verfügt der Iran nicht, nur Raketen können die nuklearen Sprengköpfe zu ihrem Ziel bringen. Die Nutzlast aber ist begrenzt, das Regime benötigt daher möglichst kleine und leichte Bomben. Bekannt war, dass der pakistanische Nuklearwissenschaftler Abdul Qadeer Khan dem Iran chinesische Pläne für eine Atombombe lieferte. Mit diesem Design aus den fünfziger Jahren gaben sich die Iraner jedoch nicht zufrieden. Einem Bericht der Süddeutschen Zeitung zufolge, der auch eine nicht veröffentlichte Untersuchung der IAEA vorliegt, gelang es dem Regime, einen ehemaligen sowjetischen Atomwissenschaftler zu engagieren. Dessen Expertenwissen habe maßgeblich dazu beigetragen, einen Sprengkopf »von der Größe eines kleinen Medizinballs« zu entwickeln.

Das größte Problem beim Bau einer Atombombe ist es, einen Zündmechanismus zu konstruieren. Mit konventionellem Sprengstoff wird das zuvor in zwei oder mehr Portionen aufgeteilte Uran zusammengeschossen, dies muss innerhalb von Sekundenbruchteilen geschehen. Je kleiner der Sprengsatz sein soll, desto schwieriger ist es, einen geeigneten Zündmechanismus zu konstruieren. Dass die Iraner dieses Problem gemeistert und zumindest zwei- oder dreimal mit den Zündern, allerdings ohne nuklearen Sprengsatz, experimentiert haben, gestanden sie im Februar 2008 bei einem Besuch der IAEA-Inspektoren ein. »Auf eine Erklärung Teherans, für welche zivile Anwendung diese Versuche gedacht waren, wartet die IAEA noch heute«, berichtet die Süddeutsche Zeitung. Der Iran sei nach den Erkenntnissen der Atomkontrollbehörde fähig, »einen funktionsfähigen nuklearen Sprengsatz nach dem Implosionsprinzip zu entwickeln und zu bauen«.
Drei Monate bevor die Inspektoren von den Zündertests erfuhren, hatten die 16 Geheimdienste der USA in einem gemeinsamen Bericht mit »hoher Zuversicht« festgestellt, dass der Iran sein Atomwaffenprogramm im Herbst 2003 gestoppt habe. Einmal mehr waren die US-Agenten offenbar nicht recht im Bild. Vermutlich glaubten sie, aus den Erkenntnissen über die Urananreicherung, die bislang auf den für Brennelemente erforderlichen Grad beschränkt blieb, darauf schließen zu können, dass die gesamte Atomwaffenentwicklung eingestellt worden sei.
Ohnehin beziehen sich alle Einschätzungen nur auf die bekannten und vom Regime gemeldeten Einrichtungen. Die Menge und der Verbleib des offiziell angemeldeten Urans werden von der IAEA kontrolliert, über jene 1 200 Kilogramm, die das Regime registrieren ließ, streiten Ahmadinejad und die »internationale Gemeinschaft«. Im September vorigen Jahres wurde jedoch eine geheime, noch nicht fertig gestellte Urananreicherungsanlage nahe der Stadt Qom entdeckt. Eine solche Anlage ist nicht gerade billig, sie zu bauen ist nur sinnvoll im Rahmen eines Programms, das auch andere Anlagen zur Vorbearbeitung und Weiterverarbeitung des nuklearen Materials vorsieht.

Die Beschaffung nicht registrierten Urans dürfte das geringste Problem sein, denn es gibt Lagerstätten und Bergwerke im Land. Im Herbst vergangenen Jahres wurden Satellitenbilder veröffentlicht, die verstärkte Aktivitäten im Uranbergwerk Gchine nahe der Stadt Bandar Abbas dokumentierten. Die »Entscheidung, die Gewinnung und Verarbeitung in Bandar Abbas auszuweiten, scheint den Verdacht jener zu bestätigen, die glauben, dass es sich um die wichtigste Urananlage für ein verdecktes Programm handelt«, urteilte Jeffrey G. Lewis vom US-Institut New America Foundation. Die Menge des zusätzlich gewonnen Urans kann allerdings nicht festgestellt werden.
Die Ausmaße des verdeckten Programms sind unbekannt, seine Existenz kann jedoch als sicher und als weiterer Beweis dafür gelten, dass Ahmadinejad nicht nur bei den Wahlen betrügt. Manch eine Drohung mag ein Bluff sein, doch gibt es nun ausreichende Beweise dafür, dass der »point of no return« erreicht ist. Das iranische Regime verfügt über die notwendigen Kenntnisse, Technologien und Materialien, um ohne weitere ausländische Hilfe Atombomben zu bauen. In welchem Tempo dies geschieht, ist eine politische Entscheidung.
Ökonomische Sanktionen würden das Regime unter Druck setzen, bereits im Jahr 2006 warnte der Bericht einer Parlamentskommission, sie »könnten soziale Unruhen verursachen«. Unruhen gibt es nun seit dem Sommer ohnehin bei jeder sich bietenden Gelegenheit, in diesen Tagen sind weitere Proteste zu erwarten. Bislang zögern die westlichen Regierungen, sich eindeutig mit der iranischen Opposition zu solidarisieren. Doch nur ein regime change kann ernsthafte Verhandlungen ermöglichen.