Zum Tode des Plakatmalers Erwin Ross

»Wir fertigen nach Ihren Vorstellungen«

Der Dekorateur und Plakatmaler Erwin Ross ist im Alter von 83 Jahren gestorben. Seit den sechziger Jahren prägte er mit seinen Pin-ups das typische Erscheinungsbild des Vergnügungsviertels um die Hamburger Reeperbahn.

Der Rubens von der Reeperbahn« – irgendwann hatte Erwin Ross diesen Spitznamen weg und nannte sich fortan auch selber so, um ein wenig Werbung für sich als Maler zu machen. Selbstverständlich war das ironisch gemeint, denn Erwin Ross wollte immer als Handwerker, nicht als Künstler gesehen werden. Was die Malerei von Ross jedoch mit der von Rubens gemein hat, ist das Sujet: Beide malten üppige Frauen, wobei es sich im Fall von Ross’ Malerei um vergleichsweise dezente Rundungen handelte. Falten kamen in seinen Körperwelten keine vor, und vor allem gab es auch keine der für den Barock so wich­tigen allegorischen Wucherungen.
Statt bildsprachlicher Überhöhung sind es bloß pornografische Übertreibungen, mit denen Erwin Ross seit den sechziger Jahren den Sex-Shops und Showbühnen auf der Reeperbahn und in den umliegenden Straßen ihr unverwechselbares Design gegeben hat. Stärker als all die albernen PR-Kampagnen der Hamburger Tourismus-Agenturen haben seine Malereien das Image des Kiezes geprägt, bis sie schließlich selbst zur Attraktion wurden. Sein Motto: »Wir fertigen nach Ihren Vorstellungen«.
Die berühmteste Arbeit von Ross ist die Gestaltung des Eingangsbereichs der Boxer-Kneipe »Zur Ritze«: Gespreizte Frauenbeine in Netzstrümpfen und roten Stöckelschuhen zieren die schwarze Tür des – wie man in diesem Milieu sagt – Bumslokals. Der Eingang erinnert an die riesige, begehbare Körperskulptur »Hon« von Niki de Saint Phalle.
Erwin Ross wird 1926 in Wriezen an der Oder geboren. Die nächste Station, die seine mit Erinnerungsfotos drapierte Biografie auf seiner Homepage nennt, ist Ross’ HJ-Zeit: »Als Hitlerjunge wirkt er aktiv von 1940 bis 1943 in der Jugendfeuerwehr von Wriezen mit«, heißt es auf www.erwinross.com. Nach der Ausbildung zum Autoschlosser geht er zum »Reichsarbeitsdienst« nach Polen; 1944 ist Ross Panzerjäger der Wehrmacht. Während der britischen Kriegsgefangenschaft »erkennt er«, wie auf der Homepage zu lesen ist, »seine zeichnerischen Fähigkeiten«. 1948 wird er aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und kehrt nach Wriezen zurück. In der jungen DDR arbeitet er in einer Konsum-Genossenschaft als Dekorateur. »Als das Talent für die Malerei erkannt wird, übernimmt Erwin auch Tätigkeiten als Plakatmaler und Großbildmaler. Bilder von Marx, Lenin, Stalin und verschiedene politische Losungen sind sein Alltagsgeschäft.« Er malte die realsozialistischen Leitfiguren so oft, dass er sie, wie er später sagte, »im Dunkeln malen konnte«. Doch es blieb nicht bei Propagandaplakaten. Schon bald werden seine Werbetafeln von Frauen bevölkert, die er nach dem Vorbild der US-amerikanischen Pin-up-Girls gestaltet. Seine nixengleichen Wesen, die sich im Negligé auf den Klüverbäumen von Fischkuttern räkeln, weiß man im Arbeiter- und Bauern-Staat aber nicht recht zu schätzen, und so sucht Ross sich ein neues Betätigungsfeld.
Er zieht nach Hamburg, arbeitet zunächst im Hafen und dann als Dekorateur. 1956 eröffnet er in den Ladenräumen einer ehemaligen Fleischerei in der Großen Freiheit ein eigenes Geschäft und macht sich als Plakatmaler und Innenausstatter selbständig. In beiläufiger und zudem völlig unprätentiöser Weise greift er auf, was im selben Jahr von London ausgehend Alltagskunst und Massenkultur nachhaltig verändern wird. Erwin Ross macht Pop, macht das zur Geschäftsidee, was die britischen Künstlerkollegen als ästhetisches Avantgardeprogramm proklamieren: Die Überführung von Kunst in Lebenspraxis, die Auflösung der ästhetizis­tischen Ideale in Desire und Design, und statt Kontemplation liefert er konsumistische Gebrauchsgrafik. »REKLAME« steht in großen Grotesk-Buchstaben auf dem Ladenschild, daneben verschnörkelt »Schrift« und »Ölbilder«. Im Schaufenster hat er einige Landschaftsbilder ausgestellt. Das – wenn man so sagen will – seinem Werk eigene Genre erschließt sich Ross mit Beginn der sechziger Jahre. 1962 eröffnet in der Großen Freiheit der Star-Club. Ross malt für den Bühnenhintergrund eine Wolkenkratzer-Skyline, dem Schlagzeuger Ringo Starr malt er den Bandnamen auf die Basstrommel: The Beatles.
Ende der Sechziger beginnt er mit der Gestaltung von Sex-Shop-Fassaden, bringt die nunmehr barbusigen, häufig nur mit Straps und Strümpfen bekleideten Pin-ups ins Straßenbild. Mit seinen Bildphantasien vom weiblichen Körper bekommt die sexuelle Revolution ihre nachgerade eigensinnige Ikonologie. Ross ist jetzt Genremaler – und sein Genre ist die zur Ware geronnene Geilheit, eine Verdinglichung des menschlichen Glücks, die in der Regie von Profit, Zuhälterei und Prostitution bis in die neunziger Jahre eine bizarre, identitäre wie brutale Kiez-Romantik hervorbringt: Es ist die Illu­sion von Erotik, die nur durch die absolute Preisgabe der Erotik funktioniert, durch permanente Ent-Erotisierung des – zumeist weiblichen – Körpers. »Sex sells« – diese Binsenweisheit der Kulturindustrie wird hier aufgehoben: Man kann mit Sex Reklame für irgendwelche Produkte machen; man kann aber mit Sex nicht Sex bewerben, jedenfalls nicht auf Dauer.
Bedeutet der Akt in der Malerei historisch eine Erhebung des menschlichen Körpers in die ide­ale Wirklichkeit der Kunst, so bringt Ross umgekehrt den idealen Körper wieder in die soziale Wirklichkeit nackter Tatsachen zurück. Dabei erweist sich Ross unfreiwillig als Dialektiker: Er produziert zwar nach dem Prinzip der Sexua­lisierung, doch bleiben alle seine Darstellungen merkwürdig asexuell. Erregend sind die Bilder mitnichten, und dies vielleicht gerade deshalb nicht, weil Ross den Menschen so brachial auf den Körper reduziert und weil der zur reinen Oberfläche vermeintlich sinnlicher Reize verflachte Körper schließlich die genitale Fixierung aufhebt. Ross’ Bilder präsentieren den weib­lichen Körper als eine Matrix, mit der zwar »die Frau« zur pornografischen Illusion gerinnt, zugleich aber auch das Geschlecht, verschwindet oder zumindest tendenziell unsichtbar gemacht wird: So wie die Körper insgesamt faltenlose, glatte Flächen sind, fehlen auch alle genitalen Falten und Spalten, Löcher und Ritzen (so bei den Beinen der Kneipe »Zur Ritze«).
Überdies unterscheidet das Ross’ Frauendarstellungen von den amerikanischen Pin-up-Girls, bei denen sich das Genitale immer auf das Gesicht, maßgeblich auf den Mund bezieht (als Beispiele nehme man die Bilder von Alberto Vargas, Mel Ramos oder Olivia de Berardinis). Solche orale Fixierung gibt es bei Ross aus einem ein­fachen Grund nicht: Er kann keine Gesichter malen, erst recht keine Münder. Und das verleiht seinen Porträts, die er von Kiez-Persönlichkeiten anfertigte – die Reihe reicht von Hans Albers über Udo Lindenberg bis Domenica Niehoff und Jan Fedder –, stets etwas unfreiwillig Komisches, zugleich aber auch liebenswürdig Gewöhnliches. Den Aktdarstellungen verleihen die grotesk verzerrten Gesichter die sympathische Aura des Billigen, Schmutzigen. Genau darin wird aus dem schlechten Handwerker Ross der gute Künstler, der »Kunstmaler«, wie er sich dann selber nennt. Aber er ist eben kein allegorisierender Rubens; wenn, dann finden sich Vorbilder im 19. Jahrhundert, Maler wie Edouard Manet und dessen »Olympia«. Und das Allegorische steckt dann im Gesamtbild einer Gesellschaft und ihren verbogenen Vergnügungsformen, für deren Erscheinungen Erwin Ross entscheidende Details geliefert hat. Die Wahrheit, die solche Allegorie bedeutet, steht als Albumtitel quer über einem Ross-Pin-up, das die Gruppe Huah! als Cover gewählt hat: »Scheiß Kapitalismus.«
Erwin Ross ist am 12. Februar in Hamburg-Altona im Alter von 83 Jahren gestorben. Die Galerie Ross kann nach Absprache besucht werden.

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