Die Zukunft der polnischen rechtskonservativen Partei

Erst trauern, dann wählen

Mit der Beerdigung der letzten Opfer der Flugkatastrophe von Smolensk endete in Polen die offizielle Staatstrauer. Die Partei des verstorbenen polnischen Präsidenten Lech Kaczynski sieht nun Chancen auf einen Sieg bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen.

Es sind schwierige Tage für die größte Oppositionspartei im polnischen Parlament. Die 2001 von Lech und Jaroslaw Kaczynski gegründete Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) verlor durch den Flugzeugabsturz am 10. April bei Smolensk einen ihrer wichtigsten politischen Repräsentanten. Polen trauert noch, und doch muss ein Nachfolger des verstorbenen Präsidenten bestimmt werden. Der bisherige Parlamentspräsident Bronislaw Komorowski hat gemäß der Verfassung Polens das Amt des Präsidenten übernommen und die Neuwahl des zweithöchsten Staatsamtes für den 20. Juni angesetzt. Um zur Wahl zugelassen zu werden, müssen die Kandidaten 100 000 Unterschriften für sich sammeln und sie bis zum 6. Mai bei der Nationalen Wahlkommission einreichen.
Am Montagnachmittag, wenige Minuten vor Ablauf der gesetzlichen Frist für die Ernennung eines Kandidaten bei der polnischen Wahlkommission, gab Jaroslaw Kaczynski, der Zwillingsbruder des verstorbenen Präsidenten und derzeitige Oppositionsführer, im Parlament bekannt, dass er für den Kampf um das Präsidentenamt bereit sei. »Der Tod der patriotischen Elite Polens bedeutet für uns eines: Wir müssen ihre Mission vollenden«, hieß es in einer schriftlichen Erklärung. Bereits zuvor waren die Rufe nach Jaroslaw Kaczynski als Nachfolger für seinen Bruder immer lauter geworden. Der Vizepräsident der PiS, Adam Lipinski, hatte gegenüber Newsweek Polska geäußert, in der PiS zähle man darauf, dass sich Jaroslaw für eine Kandidatur entscheidet. Der Vertreter der PiS-Fraktion im Parlament war noch weiter gegangen und hatte in einem Interview öffentlich an ihn appelliert: »Jaroslaw Kaczynski, gehen Sie in die Wahl.«

Bis zum Tode des Präsidenten wurden der PiS keine großen Chancen eingeräumt, die Wahl erneut zu gewinnen. Denn die Regierungszeit der Partei war geprägt von Attacken auf weite Teile der Bevölkerung und des polnischen politischen Establishments. Bei der vergangenen Wahl zum Ministerpräsidentenamt versuchten die Kaczynski-Brüder, ihren politischen Gegner durch kompromittierende Angriffe aus dem Feld zu schlagen. So behaupteten sie beispielsweise, der Vater von Donald Tusk, dem derzeitigen Ministerpräsident Polens von der »Bürgerplattform« PO, habe freiwillig in der Wehrmacht gedient. Dieser Vorwurf wiegt um so schwerer, als Tusk Kaschube ist und damit auch der leise Verdacht in den Raum gestellt wurde, eine ganze Minderheit würde sich nicht ausreichend zur polnischen Nation bekennen.
Die polnische Gesellschaft ist hinsichtlich der Kaczynski-Brüder tief gespalten. Dies zeigte sich auch, nachdem die Wawel-Burg, eine Art polnisches Nationalheiligtum, als Ort für die Beerdigung des verstorbenen Präsidenten ausgewählt worden war und sich anschließend 2 000 Demons­tranten zusammenfanden, um dagegen zu protestieren.
Der Gegenspieler Jaroslaw Kaczynskis, der Interims-Staatschef Komorowski von der PO, gilt in den Augen vieler Polen als jemand, der durch seine ruhige und überlegte Art diese Spaltung überwinden könnte. Es wird ihm zugetraut, die Gesellschaft wieder zu vereinen. Diese Aufgabe stellt ihn jedoch vor große Probleme. Lena Kolarska-Bobinska, Abgeordnete der PO im Europa-Parlament, sagte, dass Komorowski einerseits überparteilich wirken müsse, »auf der anderen Seite ist er ein wichtiges Parteimitglied«. Tatsächlich aber muss er im Wahlkampf polarisieren, um neben seinem Gegenspieler nicht farblos zu wirken. Die Aufgabe, die Gesellschaft wieder zu vereinen, hat er bereits in den ersten Tagen und Wochen nach dem Absturz der Präsidentenmaschine erfüllt. Er erklärte alle politischen Unterschiede in Polen, zumindest kurzzeitig, für überwunden und appellierte an das Zusammengehörigkeitsgefühl der Polen. »Heute gibt es keine Teilung in links oder rechts«, sagte er in einer Fernsehansprache. Allgemein wird Komorowski attestiert, er habe die Geschäfte des Präsidenten souverän übernommen und sich in einer schwierigen Zeit bewährt.
Der Tod des zu Lebzeiten immer unbeliebter gewordenen Lech Kaczynski könnte seiner Partei neue Wahlchancen verschaffen. Der sich mit dem Tode des Präsidenten verbindende neue Mythos eröffnet seinem Bruder Jaroslaw neue Möglichkeiten. In Katyn wurden auf Anweisung Stalins etwa 20 000 Polen ermordet. In der polnischen Geschichtsschreibung wird dieses Dorf als Ort der Vernichtung der »polnischen Elite« betrachtet. Kaczynski und seine Anhänger werden nun in diese Gruppe eingereiht. Gelingt es Jaroslaw Kaczynski, sich mit diesem Mythos zu verbinden, wäre es durchaus vorstellbar, dass sich die PiS bis zur Wahl fangen könnte. Der Wahlkampf hat bereits begonnen. Noch bevor die PiS einen Kandidaten für die Präsidentenwahl benannt hatte, hat das polnische Pendant zur deutschen Bild, die konservative, der PiS nahestehende Boulevardzeitung Fakt, die dem Springer-Verlag gehört, erste Angriffe auf Komorowski publiziert. »Komorowski hat den Test nicht bestanden«, titelte sie. In den Tagen nach dem Unglück habe er mehrfach gezeigt, dass er unfähig sei, das Land zu führen.