Wolfgang Kaleck im Gespräch über die juristischen Ermittlungen in der Kunduz-Affäre

»Das ist ein Geheimprozess«

Wolfgang Kaleck ist Rechtsanwalt und Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Zusammen mit Karim Popal und Bernhard Docke vertritt er 79 Fami­lienangehörige von afghanischen Opfern des Bombardements auf zwei Tanklaster in der Provinz Kunduz im September 2009, für das der Bundeswehr-Oberst Georg Klein verantwortlich ist. Die Bundesanwaltschaft hat am vorvergangenen Montag entschieden, die Ermittlungen gegen Klein einstellen zu lassen.

Sie haben als Vertreter der Opfer des Bombenabwurfs bei Kunduz versucht, die Bundes­anwaltschaft zur Fortführung der Ermittlungen gegen Oberst Georg Klein zu bewegen. Offenbar ohne Erfolg – die Bundesanwaltschaft hat entschieden, die Ermittlungen einzustellen.
Das Problem ist, dass keiner von uns drei Anwälten, die wir in diesem Fall gemeldet sind, überhaupt Zugang zu den Akten hatte. Wir kannten daher den Umfang der bisherigen Ermittlungen nur den Zeitungen entnehmen. Anregungen zu geben, wie und in welche Richtung weiter ermittelt werden soll, war uns bisher nicht möglich. Wir stehen vor dem ungewöhnlichen Hindernis, dass uns der Zugang zu absolut grundlegenden Informationen erschwert wird. Das, was wir aber jetzt schon aus der Presse wissen, ist, dass die Ermittlungen zu schnell eingestellt wurden. Es gibt etwa keinen Grund, nicht das Ergebnis des parlamentarischen Untersuchungsausschusses abzuwarten. Und es sind ja auch vor Ort keine Ermittlungen gemacht worden, es sind nicht die Menschen gehört worden, die das ganze Geschehen beobachtet haben.
Haben Sie Kontakt zu den afghanischen Geschädigten? Wie wurde die Entscheidung dort aufgenommen?
Den direkten Kontakt hält mein Bremer Kollege Karim Popal. Bei den Menschen dort ist schon die Gesamtsituation äußerst problematisch, das zeigt etwa die Ausstellung des Stern-Journalisten Christoph Reuter, der die Geschädigten aufgesucht hat. Die Menschen dort beschweren sich über vieles, etwa, dass dort nie ein Vertreter Deutschlands aufgetaucht ist, um eine Entschuldigung auszusprechen, und dass sie bisher nur in sehr geringem Umfang entschädigt wurden. Teilweise geht es um bitterarme Familien, deren Ernährer getötet wurden und die jetzt existentielle Schwierigkeiten haben.
Christoph Reuter schreibt, dass sich die Frage, ob es sich bei den Getöteten um Taliban gehandelt habe, nicht klären ließe, da die Unterscheidbarkeit zwischen Taliban und Zivilisten in dieser Gegend eine Fiktion sei. Sehen Sie das auch so?
Christoph Reuter beschreibt ja die Entwicklung dieses Abends, an dem das Bombardement stattfand, und wenn man sich das ansieht, weiß man, dass da natürlich zu einem Zeitpunkt eine größere Gruppe Taliban mit den Tanklastzügen beschäftigt war, das ist Fakt. Die Laster sind ja entführt worden, und mit ihnen sollte etwas passieren. Der eine Fahrer ist erschossen worden, der andere ist bedroht worden. Andererseits weiß man, dass diese Tanklaster irgendwann auf einer Sandbank feststeckten und dass sich dort zu einem Zeitpunkt nach Mitternacht mehrere hundert Leute aus der Umgebung versammelt haben, von denen man zwar nicht im Einzelnen weiß, wer da nun wer war. Sicher ist allerdings, dass die überwiegende Mehrheit der Getöteten Zivilisten waren.
Insofern kann man nicht sagen, Ihre Mandanten seien alle Zivilisten und gar keine Taliban.
Im Regelfall gilt: Im Zweifel sind das Zivilisten. Es geht im Übrigen nicht um deren politische Ansichten, es geht darum, ob die Menschen, die vor Ort waren, Kämpfer waren. Nur dann wären sie legitime militärische Ziele – entschuldigen Sie diesen Jargon, das ist nicht meine Sprache, sondern die des humanitären Völkerrechts. Der Anschein spricht im Moment dafür, dass die Gruppe, die zum Zeitpunkt des Bombardements um die Tanklastzüge versammelt war, eben nicht ausschließlich aus Kombattanten bestand und dass die Gruppe als solche damit kein legitimes militärisches Ziel war. Wenn es nur um die Laster gegangen wäre, hätte man tun können, was die Amerikaner empfohlen haben: einmal runtergehen mit den Fliegern, die Menschenmenge zerstreuen, und dann die Laster bombardieren, aber das ist ja nicht passiert. Wir stehen vor dem ganz großen Problem, dass das alles wenig gesichert ist, weil wir alle Informationen ja nur aus zweiter oder dritter Hand haben …
… weil die Informationen offenbar größtenteils als geheim eingestuft werden.
Das ist ein Geheimverfahren, und es sieht nicht so aus, als ob sich das in absehbarer Zeit ändern würde. Und das ist nicht nur für uns als Anwälte, also als formell mit Vollmachten ausgestattete Vertreter in einem geregelten Strafverfahren, ein Problem. Es ist insgesamt ein absoluter Skandal, dass die deutsche Gesellschaft beabsichtigt, und das vor allem die bundesdeutschen Institutionen beabsichtigen, mit der ersten Massentötung nach dem Zweiten Weltkrieg, die von Deutschen verantwortet wurde, auf diese Weise umzugehen.
Liegt das Problem nicht schon in der juristischen Zuständigkeit? Die Bundesanwaltschaft, die die Einstellung der Ermittlungen beschloss, ist ja kein unabhängiges Gericht.
Genau, die Bundesanwaltschaft ist eine weisungsgebundene Behörde und kein Gericht, und daher darf man diese Entscheidung, die ja wohl auch erstmal eine anfechtbare Zwischenentscheidung ist, auch nicht wie ein Gerichtsurteil behandeln. Insofern sind die politischen Kommentare, die Entscheidung schaffe Rechtssicherheit, aberwitzig. Die Einstellungsverfügung ist der Ausdruck der Rechtsauffassung der Bundesanwaltschaft, und glücklicherweise sind uns ja noch Rechtsmittel gegeben, um das anzufechten. Ob sich andere Instanzen unserer Rechtsauffassung anschließen und ob die Ermittlungen dann tatsächlich fortgesetzt werden, kann ich jetzt noch nicht beurteilen, aber wir werden die Entscheidung nicht so auf sich beruhen lassen. Darüber hinaus hoffen wir, dass politisch noch etwas anders diskutiert wird, als das in den letzten Wochen der Fall war.
Nach der Entscheidung der Bundesanwaltschaft gilt der Krieg in Afghanistan als »nicht-internationaler bewaffneter Konflikt«, und demnach gilt das internationale Völkerstrafrecht. Um das Bombardement in Kunduz nach dem Völkerstrafgesetzbuch als Verbrechen einzustufen, hätte Klein die Ermordung der Zivilisten wissentlich anordnen müssen.
Es spricht im Moment nichts dafür, dass er das getan hat. Es spricht auch in der Tat einiges dafür, dass er kein Kriegsverbrechen begangen hat. Auch das würde man gerne überprüft haben, aber nun gut. Es gibt aber noch andere Straftatbestände, die hier in Betracht kommen – eine vorsätzliche Tötung oder eine fahrlässige Tötung nach den jeweiligen Vorschriften im normalen Strafgesetzbuch, da reichen niedrigere Vorsatzformen aus. Wenn jemand einen bedingten Vorsatz hatte oder wenn jemand fahrlässig gehandelt hat, kann er sich trotzdem strafbar gemacht haben. Bei jeder normalen Tötung stellt sich die Frage, ob es Mord war, oder Totschlag, oder eine fahrlässige Tötung. Und genau diese Frage stellt sich im Fall von Georg Klein ja auch.
Viele linke, friedensbewegte und islamische Medien bezeichnen den Angriff bei Kunduz als Massaker.
Ich habe den Vorfall nie als Massaker qualifiziert, ein Massaker ist auch etwas anderes – wenn man etwa 1 000 Leute zusammentreibt und sie erschießt. Aber Georg Klein hat den Befehl ausgesprochen, eine große Zahl von Menschen aus der Luft zu bombardieren, ohne dass sich diese Menschen der Gefahr bewusst waren. Und es sind bis zu 140 Menschen dort gestorben, das ist eine Massentötung. Und diejenigen, die diesen Befehl gegeben haben, waren sich darüber im Klaren, dass durch den Bombenabwurf massenhaft Menschen sterben.
Ihre Arbeit kann von allen möglichen Seiten politisch vereinnahmt werden – etwa auch von Islamisten.
Das ist natürlich eine Gefahr, und der sind wir uns auch bewusst. Juristische Mittel sind ein technisches Instrumentarium, und man kann das zu einem guten Zweck oder für einen weniger guten Zweck einsetzen. Aber wir versuchen, uns so unabhängig wie möglich zu machen.
Geht es bei der juristischen Ermittlung gegen Soldaten neben dem Streben nach Transparenz und demokratischer Kontrolle auch um eine humanitäre Kriegsführung?
Nein, das Urübel ist natürlich der Krieg. Man kann aus vielen Gründen, aus Verfassungsgründen, aus politischen oder aus sonstigen Gründen gegen den Afghanistan-Krieg sein. Das muss man aber nicht, um eine Meinung zu diesem Bombardement zu haben. Ich denke, man kann für oder gegen diesen Krieg sein, aber trotzdem zu einer klaren juristischen Auffassung kommen, dass ein derartiges Bombardement gegen deutsches oder internationales Recht verstößt. Das heißt nicht, dass man die Kriegsführung irgendwie humaner macht, sondern dass nicht noch mehr Menschen ums Leben kommen, als ohnehin schon in diesem verdammten Krieg sterben.