Ein Spieler von Roter Stern Leipzig im Gespräch über die Angriffe in Mügeln

»Es nervt, unter Polizeischutz spielen zu müssen«

Nach dem Überfall von Neonazis auf Spieler und Fans von Roter Stern Leipzig während eines Auswärtsspiels im sächsischen Brandis ist für den linken Fußballverein nicht etwa Ruhe eingekehrt. Ende April kam es während eines Spiels in Mügeln erneut zu rassistischen und antisemitischen Beleidigungen und latenten Bedrohungen. Ein Spieler von Roter Stern Leipzig, der anonym bleiben will, schildert, wie die Mannschaft die Übergriffe erlebt.

Wie hast du den 24. April in Mügeln erlebt?
Schon während der Anfahrt zum Spiel hatte ich ein ziemlich mulmiges Gefühl. Mügeln war ja seit 2007, seit der Hetzjagd auf acht Inder, bekannt als ein Ort, der auch für uns nicht gerade angenehme Stunden verspricht. Als wir vor dem Spiel in die Kabine gingen, standen da schon Menschen, die klar als Neonazis auszumachen waren – mit Thor Steinar und diversen anderen szenetypischen Kleidungsmarken oder NPD- und anderem nazistischem Merchandise. Das mulmige Gefühl hat sich dann vor allem durch Kleinigkeiten verstärkt, zum Beispiel, dass wir noch nicht einmal allein aufs Klo gehen konnten, weil eben auch Neonazis in kleineren Grüppchen dort herumstanden. Mit dem Anpfiff begannen dann etwa 50 Leute homophobe, rassistische und antisemitische Sprechchöre zu skandieren. Das ging das ganze Spiel über so.
In der ersten Halbzeit kam es dann zu einem Spielabbruch …
… den ich nicht direkt mitbekommen habe, weil währenddessen das Spiel noch lief. Anlass war aber wohl der Versuch der Polizei, die Personalien von einem Zeugen aufzunehmen, der einen Hitlergruß im Fanblock von Mügeln anzeigen wollte. Der Polizeieinsatzleiter meinte während der Unterbrechung, dass bei dem Einsatz »etwas schiefgegangen« sei. Er führte dies auch auf übermotivierte Kollegen zurück, die in der emotionalen Lage überreagiert hätten. Ab da war die Atmosphäre sicherlich sehr emotional: Während aus dem Mügelner Fanblock die diskriminierenden Gesänge nicht unterbunden wurden, stieß der Polizeieinsatz im Sterneblock auf Unverständnis.
In der Halbzeitpause blieben wir auf dem Platz, da wir weder an den 50 Neonazis noch an anderen aufgebrachten Anhängern aus Mügeln vorbeigehen wollten. Die Beschimpfungen hörten auch in der zweiten Halbzeit nicht auf. Hinzu kam nun auch das sogenannte U-Bahn-Lied (»Wir bauen eine U-Bahn, von Jerusalem nach Auschwitz«). Einige von uns haben den Schiedsrichter, der es anscheinend beim ersten Mal nicht gehört hatte, darauf aufmerksam gemacht. Nachdem das Lied zum zweiten Mal gesungen worden war, hat der Schiedsrichter das Spiel unterbrochen. Der Unparteiische forderte einige Spieler aus Mügeln auf, dass sie die Leute beruhigen sollen. Die Menge ließ sich aber nicht beruhigen, so dass der Schiedsrichter die Partie abgebrochen hat.
Was dann nach dem Abbruch lief, dieser Hass, der uns entgegengebracht wurde, war fast noch schlimmer: Wir wurden aufs Übelste beschimpft. Nicht nur von den 50 Neonazis, sondern auch von »normalen Fans«: von 60jährigen Männern und von 40jährigen Frauen, die uns mit rassistischen und sexistischen Sprüchen belegt haben. Selbst Kinder haben da mitgemacht.
Wie hat sich die Polizei verhalten?
Die Polizei ist nicht eingeschritten, auch nicht beim Singen des Liedes. Nach dem Abbruch kam dann eine Polizistin in die Kabine, die meinte, dass die Polizei uns nicht rauslassen kann, weil sie nicht für unsere Sicherheit garantieren könne. Wir mussten dann 20 Minuten auf eine Hundertschaft der Polizei warten, um den Sportplatz unter Polizeischutz verlassen zu können.
Man hört häufig von Vertretern anderer Vereine, dass »der Rote Stern solche Reaktionen provoziert, weil er Politik mit in den Fußball bringt«. Dem Roten Stern Leipzig wird quasi die Schuld in die Schuhe geschoben. Wie viel Lust hast du noch, mit solchen Leuten jedes Wochenende auf dem Platz zu stehen?
Die Lust ist seit dem Überfall in Brandis bei allen Auswärtsspielen eh schon relativ gering, weil es schlicht nervt, unter Polizeischutz und diesen Anfeindungen spielen zu müssen. Die Anspannung ist da, und es ist nur schwer möglich, überhaupt ans Fußballspielen zu denken. Das ist ja immer noch unser Hobby. Aber ich denke, dass es diese Widersprüche auszuhalten gilt. Noch ist es nicht so, dass ich sagen würde: Es geht nicht mehr.
Welchen Weg sollte aus deiner Sicht der Rote Stern in der nächsten Zeit einschlagen?
Ich denke, dass wir auswärts mit einem klaren Konzept antreten müssen. Wir müssen mit den anderen Vereinen kommunizieren, wir müssen uns überlegen, wie wir dort auftreten. Das betrifft auch unsere Fans. Denn die Spiele haben durch die Anfeindungen gegen uns immer häufiger Demonstrationscharakter – und nichts mehr mit Fußballschauen zu tun. Entsprechend müssen wir auch mit der Polizei kommunizieren, die dazu da ist, uns und unsere Fans zu schützen. Wir müssen aber auch in der Mannschaft darüber reden, wie wir in Zukunft bei ähnlichen Vorkommnissen handeln: Gehen wir konsequent vom Feld, oder versuchen wir weiterzuspielen?
Wie reagiert dein näheres Umfeld, deine Familie und Freunde, auf diese Situation? Inwieweit stößt dieses wöchentliche Szenario mittlerweile auf Unverständnis?
Einige wenige zeigen Unverständnis. Ich bin eher überrascht, dass ein Großteil sagt, dass wir nicht aufhören sollen. Das kommt im Übrigen nicht nur von der Familie und Bekannten, sondern auch von offizieller Seite: vom DFB. Nach diesen ganzen Ereignissen immerhin diesen Zuspruch zu bekommen, tut gut.
Ihr habt vor kurzem den »sächsischen Demokratiepreis« gewonnen …
… wodurch mir auch wieder klar wurde, dass der Verein teilweise schon den Charakter eines zivilgesellschaftlichen Projekts hat. Als solches Projekt werden wir vor allem in der überregionalen Presse wahrgenommen.
Apropos Medien: Es gab nach den Vorfällen in Brandis und jetzt auch in Mügeln relativ große mediale Aufmerksamkeit. Wie unterscheidet sich aus deiner Sicht die überregionale von der lokalen Berichterstattung?
Da gibt es einen eklatanten Unterschied: Ich denke, dass man da ganz gut ein gesellschaftliches Bild ableiten kann. Überregional wird auf eine objektive Art viel positiver über uns berichtet. Über Mügeln wurde regional – bis auf wenige Ausnahmen – negativer berichtet: »Linke und rechte Extremisten, die den Fußball kaputt machen«, hieß es da. Und das, obwohl der Sachverhalt ganz klar war: Neonazis und »normale« Zuschauer haben uns rassistisch, homophob und antisemitisch beleidigt. Das war der Grund für den Spielabbruch.
Wie erklärst du dir diesen Unterschied zwischen regionaler und überregionaler Berichterstattung?
Im Westen haben sich einfach zivilgesellschaftliche Strukturen eher etabliert als hier im Osten. In Mügeln etwa gibt es kaum Sensibilisierung, dort will man sich nur aus der Verantwortung stehlen, was man ja auch an den Reaktionen des Oberbürgermeisters Deuse sieht, der sich hinstellt und behauptet, dass er unter den 400 Zuschauern weder Neonazis ausgemacht noch antisemitische Sprüche gehört hat.

Alex Koerner ist Mitarbeiter von Radio Corax, wo das Interview vorige Woche aussgestrahlt wurde.