Burka-Debatte in Frankreich

Schleierhafte Debatte

Die französische Regierung will im Sommer ein Verbot der Ganzkörperverschleierung verabschieden. Dabei drohen muslimischen Männern, die ihre Frauen zum Tragen einer Burka zwingen, höhere Strafen als den Frauen selbst.

Auf eine »feierliche Resolution« der französischen Nationalversammlung vom vergangenen 11. Mai wird bald die Beschlussfassung über einen Gesetzentwurf folgen. Gegenstand des Parlamentsbeschlusses wie auch des erwarteten Gesetzentwurfs ist das in Frankreich seit Monaten umstrittene Verbot der Ganzkörperverschleierung, die mal als Burka, wie sie aus Afghanistan und Pakistan bekannt ist, und mal als Niqab, ein unter Frauen der älteren Generationen im Maghreb verbreiteter Gesichtsschleier, bezeichnet wird.
Eine solche Ganzkörper- oder jedenfalls Gesichtsverhüllung wird in Frankreich von einer sehr kleinen Minderheit muslimischer Frauen getragen. Die verfügbaren Zahlenangaben der Sicherheitsbehörden, die in den vergangenen Monaten über die Medien verbreitet wurden, variieren zwischen 367 und 1 900 im ganzen Land. Unter ihnen findet sich diesen Angaben zufolge ein bedeutender Anteil von Konvertitinnen, die sich eher wie Sektenmitglieder verhalten und durch die Verschleierung nicht irgendwelchen Traditionen gehorchen, sondern eher ihre neue Zugehörigkeit zur Schau stellen wollen.

Die große Mehrheit der in Frankreich lebenden Muslime verurteilt diese Bekleidungsform, die angeblich koranischen Vorschriften entspricht, und sie wirft den besonders radikal auftretenden Konvertiten eine Schädigung des Ansehens aller Muslime vor. Die wichtigsten muslimischen Verbände, sowie ein Großteil der Linken und der Antirassismus- sowie Menschenrechtsvereinigungen vertreten eine Position, die sich mit den Worten »weder für die Burka noch für ein Verbot« resümieren lässt. Befürchtet wird, dass die Debatte um ein Verbotsgesetz den »normalen«, ihre Religion als Privatangelegenheit ansehenden Muslimen schaden könnte. Die Burka-Debatte könnte die öffentliche Meinung in Frankreich weiter polarisieren zwischen vermeintlichen Verteidigern des mal als christlich, mal als aufgeklärt definierten Abendlandes, die nicht selten fremdenfeindlich argumentieren, und kleineren extremistischen Sektenströmungen.
Von der Fokussierung der öffentlichen Debatten auf demonstrative Praktiken einer kleinen Minderheit befürchten viele eine stigmatisierende Wirkung. Deswegen möchte die parlamentarische wie außerparlamentarische Linke kein spezielles Verbotsgesetz, mit Ausnahme der Sozialdemokraten. Aus diesem Grund blieb die gemeinsame Parlamentsfraktion von KP und Grünen dem Votum über die Annahme der Resolution fern.
Die französischen Sozialisten treten zwar für gesetzliche Verbote ein, aber nur in speziell begründeten Fällen. Eine Vollverschleierung soll etwa bei Behördengängen und an Serviceschaltern sowie aus besonderen Sicherheitsgründen verboten werden können, argumentieren sie. Ein allgemeines Verbot lehnen die Sozialisten ab.
Die französischen Konservativen treten mehrheitlich für ein Totalverbot ein, weil sie Burka und Niqab als besonders auffällige Symbole für die Herausforderung der »abendländischen Werte« durch manifeste fremde Präsenz betrachten. Allerdings vermischen sie diese Argumentation oft mit dem Zitieren von Frauenrechten.

Am Mittwoch wurde der Gesetzentwurf vom Kabinett verabschiedet, der nun in die Nationalversammlung eingebracht wird. Dort soll der Text im Juli beschlossen und Anfang September auch im Senat angenommen werden. Im Herbst soll das Gesetz dann in Kraft treten.
Einige Details sind innerhalb des rechten Regierungslagers noch umstritten, etwa die Frage, ob auf ein parlamentarisches Eilverfahren zurückgegriffen wird. Nach dem bisherigen Entwurf, dessen vorläufiger Text von Le Figaro enthüllt wurde, soll auf das Tragen einer Burka als »Ordnungswidrigkeit« künftig eine Geldbuße ab 150 Euro stehen. Auf die ursprünglich angekündigte Mindeststrafe in Höhe von 750 Euro wurde verzichtet, dafür wurde der Schwerpunkt auf die Idee gelegt, muslimische Männer zu bestrafen, die ihre Frauen zum Anlegen der Burka zwingen. Auf einen solchen Zwang sollen künftig eine Strafandrohung von bis zu einem Jahr Haft und eine Geldstrafe von 15 000 Euro stehen.
Passend zur Burka-Debatte, die seit Wochen die öffentliche Meinung in Frankreich beherrscht, kam eine »Affäre«, die in der letzten Aprilwoche im westfranzösischen Nantes ihren Ausgang nahm. Dort war eine Autofahrerin, die einen Gesichtsschleier trug, am 2. April kontrolliert und wegen »Fahrzeugführung mit beeinträchtigten Sichtmöglichkeiten« zu einer Geldstrafe von 22 Euro verurteilt worden. Sandrine M., so der Name der Frau, ist eine französische Konvertitin. Sie und ihr algerischstämmiger Ehemann, Liès Hebbadj, machten aus dieser relativ banalen Angelegenheit eine politische Affäre. Statt die 22 Euro für die Ordnungswidrigkeit zu bezahlen, berief Sandrine M. für den 23. April eine Pressekonferenz vor der muslimischen Metzgerei ihres Gatten ein. Am Vortag war ihr die Rechnung zugestellt worden. Die 31jährige suchte offenbar die politische Provokation, sie trat auf der Pressekonferenz vollverschleiert auf.

Der französische Innenminister Brice Hortefeux nahm die Herausforderung an und verkündete in allen Medien, er habe den Einwanderungs- und Identitätsminister Eric Besson in einem Brief aufgefordert, dem Ehemann der 31jährigen seine französische Staatsbürgerschaft zu entziehen. Besson erklärte daraufhin, dies tatsächlich prüfen zu wollen. Grundlage des Schreibens vom Innenminister an seinen Kabinettskollegen war eine polizeiliche Untersuchung zur rechtlichen Situation des Ehepaars. Es habe sich nämlich herausgestellt, erklärte Hortefeux, dass der Ehemann in Polygamie lebe, welche strikt verboten ist, und ferner Sozialleistungen erschlichen habe, da jede seiner vier Ehefrauen Kindergeld als Alleinerziehende für seine angeblich zwölf Kinder beantragt habe.
Der Haken an der Sache ist jedoch, dass diese Vorwürfe äußerst schwer zu beweisen sind. Denn zivilrechtlich ist Liès Hebbadj nur einmal verheiratet. Von Journalisten befragt, erklärte er, nicht mehrere Ehefrauen, sondern lediglich »Gelieb­te« zu haben. Aber falls man jemandem die Staatsbürgerschaft entziehe wolle, weil er außerhalb der Ehe noch Geliebte habe, »dann müssten viele Franzosen ihre Staatsangehörigkeit« verlieren, fügte der 35jährige hinzu.
Hebbadj scheint eine in vielfacher Hinsicht selbstgebastelte Auslegung des Islam zu vertreten. Die Pariser Abendzeitung Le Monde berichtete, der Mann stehe der in Pakistan ansässigen »pietistischen« Muslimsekte al-Tabligh nahe und sei in Frankreich in den vergangenen Jahren wie ein Sektenguru aufgetreten, »um Frauen zu beeindrucken«. All dies macht ihn sicherlich weder zum Sympathieträger noch zum progressiven Individuum. Offenkundig ist jedoch, dass die Affäre aus politischen Gründen aufgeblasen wurde.
Den Ministern Hortefeux und Besson geht es unverkennbar vor allem darum, ein Exempel zu statuieren, um einen Fall des Entzugs der französischen Staatsbürgerschaft aus sogenannten »kulturellen« Gründen als legitim erscheinen zu lassen. Besson trat mittlerweile in eine regelrechte Kampagne für die Möglichkeit eines solchen Entzugs ein. Als weiteren legitimen Beweggrund führte er inzwischen die Mädchenbeschneidung an, die in manchen afrikanischen Familien praktiziert wird, in Frankreich jedoch weitgehend zum Verschwinden gebracht werden konnte. Bislang ist der Entzug der einmal verliehenen Staatsbürgerschaft ein äußerst komplexer Prozess, der fast nur bei Terrorismusdelikten in Frage kommt. Die französische Regierung möchte ihn nunmehr erleichtern und das Spektrum der Anwendungsfälle erweitern.
Der Verdacht liegt nahe, dass Burka und Polygamie dabei als Vorwände dienen, um eine neue, Grenze zwischen »uns« und »ihnen« zu ziehen. Noël Mamère von den Grünen sprach deswegen Anfang Mai von einem »Geruch von Vichy«. Er bezog sich dabei auf das Vichy-Regime, das während des Zweiten Weltkriegs missliebigen Personen ihre französische Staatsangehörigkeit entzogen hatte.
Über ein Verbot der Ganzkörperverschleierung wird nicht nur in Frankreich diskutiert. Nachdem Belgien Ende April als erster Staat der EU ein gesetzliches Totalverbot, erlassen hat, wird die Diskussion auch in anderen europäischen Ländern geführt. Diese Debatten verlaufen nach ähnlichen Mustern: Die Verfechter eines Verbots argumentieren einerseits mit der Verteidigung der »Werte des Abendlands« und berufen sich andererseits auf die Rechte der Frauen.
Die deutsche Europa-Abgeordnete und Vizepräsidentin des europäischen Parlaments, Silvana Koch-Mehrin (FDP), forderte nach dem belgischen Votum in einem Gastbeitrag für die Bild am Sonntag ein europaweites Verbot. Den Ganzkörperschleier bezeichnete sie als »mobiles Gefängnis«, der den Frauen »das Gesicht und damit ihre Persönlichkeit« nehme.