Südafrika als Projektionsfläche für Europäer

Unsere Afrikaner

Dass die Ausrichtung der Fußball-Weltmeisterschaft international zu einem moderneren und realistischeren Bild Süd­afrikas beitragen wird, darf bezwei­felt werden. Reproduziert werden die nega­tiven Stereotype und positiven Afrika-­Klischees jedoch nicht nur von auslän­dischen Medien.

Langsam steigt die Spannung. In nur noch drei Wochen werden am Kap die afrikanischen Chaos-Tage beginnen. Oder es findet das Fußballfest des Jahres statt, nach dem »deutschen Sommermärchen« nun das afrikanische Pendant im dortigen Winter. Zwischen diesen beiden Extremen bewegte sich die Berichterstattung der vergangenen Wochen und lieferte damit einen Vorgeschmack auf die zu erwartenden Medienresonanz mit Beginn des Turniers. Die erste Fußballweltmeisterschaft auf afrikanischem Boden hat sich längst zu einer Bürde für das Austragungsland Südafrika und den gesamten Kontinent entwickelt.
Von Anfang an wurde in Zweifel gezogen, ob die Organisatoren fähig seien, die WM auszurichten. Viele Berichte widmeten sich der Fertigstellung der Stadien und porträtierten den Beitrag deutscher Architekten und Ingenieure, als handele es sich um selbstlose Entwicklungshilfe und nicht um die Folge der globalisierten Auftragsvergabe von Bauprojekten. Die unterschwellige Botschaft lautete: Wenn mit der WM doch alles planmäßig verläuft, dann ist es auch den Deutschen zu verdanken.

Nachdem die Stadien fertiggestellt waren und dieser Aspekt nicht mehr skandalisierbar war, konzentrierte sich die Berichterstattung um auf die hohe Kriminalität am Kap. Damit dürfte ein zentrales Thema der nächsten Wochen feststehen. Bereits im Januar fand die Kritik von Uli Hoeneß an der Sicherheitslage in Südafrika vor dem Hintergrund des Angriffs auf togolesische Fußballer bei dem Africa Cup of Nations einen breiten Widerhall in den Medien. Die WM in dieses Land zu geben, sei »eine der größten Fehlentscheidungen« von Fifa-Präsident Joseph Blatter gewesen, so der Präsident des FC Bayern München. Ausfälle wie dieser wurden nicht nur in Südafrika mit Kopfschütteln und bisweilen Belustigung quittiert. Denn der Angriff auf die Sportler fand nicht am Kap, sondern im viele tausend Kilometer entfernten Angola statt.
In den vergangenen Wochen sorgten insbesondere die britischen Boulevardzeitungen für Panikmache. Hintergrund waren erst der Mord an dem 69jährigen südafrikanischen Rechtsextremisten Eugène Terre’Blanche durch schwarze Farm­arbeiter und dann die Konflikte um Julius Malema, den Vorsitzenden der ANC-Jugendliga, der den Song »Kill the Boer« aus der Mottenkiste des Befreiungskampfes holte. Südafrika stehe vor »Rassenkrawallen« und Engländer seien davor gewarnt, zur WM zu fahren, schrieben viele britische Zeitungen.
Die Negativschlagzeilen über die Verhältnisse im Land dürften neben den anfänglich hohen Ticketpreisen dazu beigetragen haben, dass die europäischen Verkaufszahlen für WM-Tickets bisher hinter den Erwartungen zurückblieben. Selbst wenn nicht die Rede davon sein kann, dass es eine durchgängig schlechte Berichterstattung über die Situation in Südafrika gibt, das Land läuft trotz der ihm entgegengebrachten Sympathien Gefahr, mit den üblichen Afrika-Assoziationen des Scheiterns und des Elends belegt zu werden.

Dass die Wahrnehmung des Landes von verschiedenen Faktoren abhängt, meint der Johannesburger Politik- und Geschichtsprofessor Achille Mbembe. Er schließt aus, dass die WM zur Lösung der Probleme der Post-Apartheid-Gesellschaft wie Armut, Kriminalität und Arbeitslosigkeit beitragen könne. Profitieren würden diejenigen, die bereits über ökonomische Macht verfügten, etwa die weiße Minderheit, die den Tourismussektor dominiere. Der Gewinn für das Land und den Kontinent könne nur – und müsse auch – in einem Imagewandel liegen: »Das Ziel muss es sein, einen anderen Entwurf, eine andere Idee von ›Afrika‹ in die Vorstellung, die es global über den Kontinent gibt, einzuschreiben.« Der Anspruch, ein komplexes und modernes Südafrika- und Afrika-Bild zu vermitteln, betreffe vor allem die kulturelle Sphäre, der jedoch im Vorfeld der WM zu wenig Bedeutung beigemessen worden sei, kritisiert Mbembe.
Auch wenn das von Mbembe beanstandete brand-making viele Fragen aufwirft, macht es doch deutlich, dass die Repräsentation peripherer Gesellschaften nicht nur von außen vorgenommen wird. Es ist dabei aber zu befürchten, dass unter dem Druck der Negativberichterstattung sich die Tragödie abspielt, die aus vielen Diskussionen »über Afrika« bekannt ist. Um dem afropessimistischen Mainstream zu widersprechen, wird zumeist auf die Bilder vom authentischen, bunten und lebensfrohen Afrika zurückgegriffen – und die rassistische Konnotation der Debatte reproduziert. Auch im Kontext der WM dürften diese folkloristischen und klischeehaften Vorstellungen aufgerufen werden, prophezeit Mbembe: »Die typischen Bilder, die von der Tourismusindustrie bedient werden, wie wilde Tiere, die ›Big Five‹ (Elefant, Nashorn, Leopard, Büffel, Löwe) und die Zurschaustellung traditioneller Rituale werden die Bildersprache dominieren und die üblichen Stereotype bestätigen, die das weltweite Afrika-Bild ausmachen.«
Daneben ist davon auszugehen, dass auch der Begriff der »Regenbogennation« noch einmal Hochkonjunktur haben wird. In Südafrika gilt die von Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu Anfang der neunziger Jahre eingeführte Beschreibung der neuen, vermeintlich postrassistischen Gesellschaft als überholt und wird kaum noch verwendet. Anders im internationalen Kontext, hier entfaltet die Metapher noch immer eine immense Ausstrahlungskraft. Sie symbolisiert einen angeblich problemlos verlaufenden Wandel Südafrikas zu einer multikulturellen Gesellschaft und ist somit vor allem eine Projektionsfläche für Europäer. Allerdings wurde den weiteren gesellschaftlichen Dynamiken und Prozessen, die auf die Demokratisierung folgten, kaum noch Beachtung geschenkt. Der Kapstädter Sprachwissenschaftler Neville Alexander kritisiert, dass diese Prozesse nicht mit einem Sinnbild der südafrikanischen Nation erfasst werden können, welches im engeren Sinne nicht viel mehr als eine Koexistenz der entlang »rassischer« Kategorien geschiedenen gesellschaftlichen Gruppen symbolisiere.
Es ist durchaus möglich, dass auch Aspekte des modernen Südafrika Einfluss in die Berichterstattung finden. Denn bei den Journalisten dürfte eine Vielzahl neuer Bauten, die ein neues nationales Selbstbewusstsein symbolisieren, Eindruck erzeugen. Insbesondere die futuristischen Stadion-Neubauten in Kapstadt, Durban und Soweto sind unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten. Hier wird die Welt von dem neuen schwarzen Establishment des Landes begrüßt werden, das der offenkundigste Beweis für die Veränderungen seit dem Ende der Apartheid 1994 ist.
Die Entstehung dieser neuen gesellschaftlichen Gruppe ist eng mit den politischen Maßnahmen verbunden, mit denen eine Änderung der durch die Apartheid geprägten Sozialstruktur erreicht werden sollte. Die Schlagworte ›Affirmative Action‹ und ›Black Economic Empowerment‹ haben ihren positiven Klang in den Ohren vieler schwarzer Südafrikaner lange verloren. Denn statt der erhofften Transformation der Sozialstruktur über die breit angelegte Förderung und Qualifizierung schwarzer Beschäftigter auf dem Arbeitsmarkt kam es zu einem Transfer von Eigentum hin zu einer dem ANC nahestehenden schwarzen Bourgeoisie. Statt eine Politik einzuleiten, die auf Entwicklung und auf eine Verminderung der Armut angelegt ist, wurde die schwarze Elite über ihre Kontrolle des Staatsapparates an der Wertschöpfung und an der Aufteilung der Pfründen beteiligt. Kritiker der ANC-Regierung wie Neville Alexander weisen daraufhin, dass das »medial erzeugte Bild eines massenhaften Aufstiegs schwarzer Millionäre und sogar Milliardäre ein Mythos« sei. Dennoch gebe es eine allmähliche Entrassifizierung der herrschenden Klasse, die sich in ihrer Neuzusammensetzung im Rahmen der WM in Szene setzen dürfte.
Dieses Machtarrangement ist der Kern der Post-Apartheid-Ordnung. Die Bewältigung und Aufarbeitung der rassistischen Vergangenheit sollte durch einen nationalen Versöhnungsprozess erreicht werden, in dem die Arbeit der Wahrheits- und Versöhnungskommission einen zen­tralen Stellenwert einnahm. Sie legte ihren Schwerpunkt auf die Aufarbeitung schwerer Menschenrechtsverbrechen bei gleichzeitiger Missachtung der »legalen« Verbrechen der Apartheid wie den Zwangsumsiedlungen und der sozialen Marginalisierung der Bevölkerungsmehrheit. Dies war von Beginn an ein elementarer Kritikpunkt an dem Versöhnungsprozess. Die Zustimmung zur Beibehaltung der kapitalistischen Eigentumsordnung und der damit verbundenen ökonomischen Vormachtstellung der weißen Minderheit erkaufte sich diese durch die Inkorporierung der neuen schwarzen Elite in den gesellschaftlichen Machtblock.
Ashraf Cassiem von der Basisinitiative Kampagne gegen Zwangsräumungen in Kapstadt spricht davon, dass das Land sein Management ausgetauscht habe, aber die sozialen Verhältnisse nicht grundlegend verändert worden seien. Die weit verbreitete Kritik von links lautet, dass die ausbleibende Wirkung der sozialen Maßnahmen zur Änderung der Sozialstruktur und die in den vergangenen Jahren forcierte Durchsetzung neoliberaler Praktiken zu einer »Naturalisierung« der sozialen Wirkungen der Apartheid beigetragen hätten und diese somit dauerhaft in die süd­afrikanische Gesellschaft eingeschrieben worden seien. Viele Statistiken und Erhebungen der letzten Jahre bestätigen den Eindruck, dass der Grundsatz »Schwarz gleich arm« bis heute gilt und die Unterschiede zwischen Arm und Reich eine Größenordnung angenommen haben, die in der Welt kaum in vergleichbarer Weise existiert.

Es ist kaum damit zu rechnen, dass diese Widersprüche des Prozesses der Dekolonisierung und Demokratisierung im Rahmen der WM aufgegriffen werden. Allenfalls wird die soziale Situation der Anstoß für eine Vielzahl von Charity- und Spendeninitiativen für verschiedene Entwicklungsprojekte sein. Während die WM hier für einen Zuwachs an Mitteln sorgen wird, bedeutet sie in anderen Kontexten eine Verschärfung der Situation der Armen.
Besonders großer Protest richtet sich gegen die organisatorischen Anforderungen, deren Erfüllung die Fifa den Ausrichterstädten aufbürdet. Zu den Anforderungen zählt die Unterbindung von informellen und unlizensiertem Straßenhandel in der Nähe der Stadien ebenso, wie die Präsenz von Straßenkindern und Obdachlosen in den Innenstädten. Schon macht das Wort von der »Fifacracy« die Runde, durch die die hart erkämpfte »Democracy« ausgetauscht worden sei. Der noch häufig zu hörende Satz, es handele sich »um eine afrikanische WM«, hätte die Eigenständigkeit und die Verweigerung der Umsetzung der Fifa-Vorgaben durch die südafrikanische Regierung bedeuten können. Doch nun wandelt er sich zum Credo der internationalen Medien. Ohne nach den Hintergründen fragen zu müssen, werden sich damit in essentialistischer Manier alle Erscheinungen wie Armut und Kriminalität erklären lassen, die bei dem Event nicht vorgesehen sind. Sie gehören nun mal zum Kontinent.