Hinrichtungen im Iran, Generalstreik in den kurdischen Gebieten

Volle Gefängnisse, leere Straßen

Unter den fünf im Iran hingerichteten Oppositionellen war auch Farzad Kamangar, ein Mitglied der regimekritischen Lehrergewerkschaft. Auf die Exekutionen haben die iranischen Kurden mit einem Generalstreik reagiert.

Nur die Polizei patrouillierte in den leeren Straßen. Die Geschäfte blieben geschlossen, die Kinder gingen nicht zur Schule und die Behörden arbeiteten nur mit halber Belegschaft. Am Donnerstag der vergangenen Woche kam es in zwölf Städten der iranischen Provinz Kurdistan zu einem Generalstreik. Die Polizei sollte vor allem verhindern, dass Filmaufnahmen, die den Erfolg des Streikaufrufs zeigen, über das Internet verbreitet werden. In der Stadt Bukan wurden deshalb sogar die Telefone abgeschaltet. Die iranischen Kurden reagierten mit dem Generalstreik auf die Hinrichtung von fünf kurdischen politischen Gefangenen im Evin-Gefängnis am 9. Mai.
Die Todesurteile wurden ohne Benachrichtigung der Anwälte oder Angehörigen vollstreckt, was gegen geltendes iranisches Recht verstößt. Angeklagt und verurteilt wurden die fünf Kurden wegen »Gefährdung der nationalen Sicherheit« und »Feindschaft gegen Gott« – letztgenanntes bedeutet in der theologisierten Sprache der iranischen Justiz so viel wie Hochverrat. Mehdi Eslamin war bereits 2008 zum Tode verurteilt worden, er soll an einem Bombenanschlag auf eine Moschee in Shiraz beteiligt gewesen sein und ist bereits die dritte Person, die im Zusammenhang mit dem Anschlag hingerichtet wird. Die anderen vier sollen in Verbindung zur Partei des Freien Lebens Kurdistans, einer Gruppe militanter Nationalisten, gestanden und Sabotageakte geplant oder unterstützt haben. Iranische Menschenrechtler und Journalisten sowie internationale Gewerkschaftsorganisationen bestreiten dies.
Unter den Hingerichteten war auch der 35jährige Lehrer Farzad Kamangar, ein bekannter Aktivist der Lehrergewerkschaft in der iranischen Provinz Kurdistan. »Er war ein Menschenrechtler, und er war nicht bei diesen Gruppen«, sagt Amib, ein ehemaliger Mithäftling im Evin-Gefängnis. »Das Regime will durch diese Hinrichtung eine Situation des Ausnahmezustands schaffen.« Schließlich nahen die Jahrestage der Massenproteste des vorigen Sommers.

Vier Jahre lang war Farzad Kamangar in Evin inhaftiert, auch er wurde 2008 zum Tode verurteilt. Seitdem befand sich sein Verfahren eigentlich in der Revision, seinem Anwalt wurde aber zwischenzeitlich sogar gesagt, die Akte sei »verloren gegangen«. Im Gefängnis wurde Kamangar zunächst sieben Monate ohne Kontakt zu seinen Angehörigen gehalten, er wurde ausgepeitscht und geschlagen, anschließend wurde ihm medizinische Versorgung verweigert. In einem Brief schreibt er, dass die Wächter ihn umringten während er am Boden lag und mit seinem Körper »Fußball spielten«, wie sie es nannten. Dennoch weigerte er sich, das geforderte »Geständnis« abzulegen.
Farzad Kamangars Briefe aus dem Gefängnis bezeugen aber nicht nur die Brutalität gegenüber politischen Gefangenen, sondern geben auch Aufschluss über seine politischen Motive. In seinem letzten Brief, der zwei Wochen vor seinem Tod von der Human Rights Activists News Agency veröffentlicht wurde, schrieb er: »Ist es möglich, die schwere Bürde zu tragen, ein Lehrer und verantwortlich zu sein für die Aussaat der Keime des Wissens und immer noch still zu halten? Ist es möglich, (…) in die unterernährten Gesichter der Schüler zu blicken und den Mund zu halten?«
Kamangar beklagte auch, dass Kurden als Schmuggler und Kriminelle diffamiert würden, während die Armut und Arbeitslosigkeit in den kurdischen Gebieten ihnen kaum eine Alternative lasse. Unverhältnismäßig sei es, dass iranische Grenzer mit scharfer Munition auf Schmuggler schössen, die lediglich ihr Überleben und das ihrer Familien sichern wollten.

»Bessere Opfer konnten sie nicht bekommen«, erklärt Amib. »Mit ihnen können sie es sich zunächst einmal leicht machen, weil sie in der iranischen Gesellschaft kaum auf Unterstützung hoffen können.« Die Hinrichtung der fünf Kurden soll mehrere Botschaften vermitteln. Einerseits schürt das Bild von kurdischen Bombenlegern die Angst in der persischen Mehrheitsgesellschaft, wo kurdischer, baluchischer oder arabischer Separatismus als Bedrohung für die nationale Einheit Irans empfunden werden.
Bereits in den achtziger Jahren hatte das Regime sich erfolgreich nationalistischer Propagandaideen bedient, obwohl der damalige religiöse Führer, Ayatollah Khomeini, nicht unbedingt ein Freund der Idee der Nation war, die er als Produkt des westlich-liberalen Denkens betrachtete. Der Iran war für ihn lediglich das Land, das Gott ausersehen hatte, um die »islamische Revolution« in der ganzen Welt zu verbreiten.
Sicherlich kennzeichnet das politische Denken der iranischen Führung auch ein hohes Maß an politischer Paranoia, wie der amerikanisch-iranische Historiker Ervand Abrahamian festgestellt hat. Das erklärt zu einem gewissen Grad, wie man in der Arbeit eines Gewerkschafters das Wirken fremder Mächte sehen kann, die darauf zielten, im Iran eine »zionistische Kreuzzügler-Demokratie« zu errichten.
Die Hinrichtungen sollen aber auch eine wohlkalkulierte Abschreckungswirkung haben. Neben Studenten, Frauenaktivistinnen und Arbeitern zählen organisierte Lehrerinnen und Lehrer seit ihrem ersten großen Streik im Jahr 2006 zu den radikalsten Kritikern des Regimes. Zunächst richtete dieser Streik sich gegen schlechte Löhne und Arbeitsbedingungen, doch nahm die Bewegung im folgenden Jahr dezidiert systemkritische Züge an, als Lehrer forderten, endlich die »Massengehirnwäsche von Kindern im Namen des Islam« zu beenden.

Die illegale Busfahrergewerkschaft, gegründet von dem derzeit im Evin-Gefängnis einsitzenden Mansoor Osanloo, hatte bereits im Jahr 2005 mehrfach gestreikt. Zahlreiche weitere illegale Gewerkschaften bildeten sich, es gab eine Serie von Streiks. Die regimenahen »islamischen Arbeiterräte« haben drastisch an Bedeutung verloren. Auch der 1. Mai wurde von der neuen Gewerkschaftsbewegung als Kampftag der Werktätigen wiederbelebt. In den achtziger Jahren war diese im Iran von der stalinistischen Tudeh-Partei eingeführte Tradition von den neuen Machthabern »islamisiert« worden, am 1. Mai fanden nur noch dröge Saalveranstaltungen statt.
In diesem Jahr kam es am 1. Mai in mehreren iranischen Städten zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Einige hundert Demonstranten versammelten sich in Teheran vor der Universität und riefen »Tod dem Diktator«. Zwei Auftritte von Präsident Mahmoud Ahmadinejad verliefen nicht ohne Störungen. Aufgebrachte Arbeiter staatlicher Betriebe beschwerten sich bei einer offiziellen Veranstaltung am 1. Mai im Auditorium des Innenministeriums über schlechte Arbeitsbedingungen, vor einer Rede an der medizinischen Fakultät der Universität Teheran demonstrierten Studenten. In Isfahan umringten einer anonymen Quelle der Los Angeles Times zufolge einige hundert Arbeiter und Studenten eine Polizeistation und versuchten, sie zu stürmen. Daraufhin habe die Polizei das Feuer eröffnet. In Khomeinishahr bedrohten aufgebrachte arbeitslose Tagelöhner die Polizei mit Stöcken und Macheten.
Auch protestierende Arbeiter sollen durch die Hinrichtungen eingeschüchtert werden. Bislang blieben die Arbeitskämpfe und die gewerkschaft­liche Organisierung zwar auf einzelne Betriebe beschränkt, doch erinnern sich die Machthaber wohl noch an das Jahr 1978. Damals waren es vor allem der Ausstand der Ölarbeiter und ein Generalstreik, die das alte Regime entscheidend schwächten.