Gute Aussichten. Deutschland profitiert von der Krise der anderen

Sorgen machen nur die anderen

Der Standort Deutschland könnte einer der großen Krisengewinner sein. Das glauben zumindest Manager.

In den vergangenen Monaten wurde dem Standort Deutschland nur wenig internationales Lob zuteil. Vor allem aus Frankreich, dem wichtigsten EU-Partner der Bundesrepublik, war zuletzt fast ausschließlich Kritisches zur deutschen Wirtschaftspolitik zu vernehmen. Die französische Wirtschaftsministerin Christine Lagarde hatte in einer ganzen Reihe von Interviews und Stellungnahmen das Nachbarland aufgefordert, die einseitige Exportorientierung und die geringe Förderung des Binnenkonsums, also die permanente Absenkung der Lohnquote, endlich zu beenden. Und selbst der Internationale Währungsfonds (IWF), ansonsten eher wenig bekannt für eine sozialreformerische Ausrichtung, fand deutliche Worte. Im Kampf gegen die globalen Ungleichgewichte, sagte IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn, müsse sowohl in China als auch in Deutschland die Inlandsnachfrage gestärkt werden, vor allem »durch mehr Konsum und mehr Investitionen«.

Deutsche Politiker dürften sich also über jede Form von Fürsprache freuen. Eine Umfrage der Wirtschaftsprüfungsfirma Ernst & Young kam zu dem Ergebnis, dass der Standort Deutschland, entgegen anderslautenden Einschätzungen seitens der europäischen Politik, von internationalen Topmanagern eine Spitzenbewertung erfahre. Alljährlich erstellt Ernst & Young das »European Attractiveness Survey« und befragt dafür mehrere hundert Führungskräfte von Unternehmen darüber, welche Standorte ihnen für Investitionen ­attraktiv erscheinen. Die aktuelle Umfrage kam zu dem Ergebnis, dass Deutschland als einer der Gewinner der Krise bezeichnet werden könnte. Bei seiner Auswertung hob Peter Englisch von Ernst & Young das deutsche Abschneiden ausdrücklich hervor. »Die positiven Umfrageergebnisse spiegeln die gestiegene Bedeutung und die gestärkte Position Deutschlands als führende europäische Volkswirtschaft wider.« Immerhin zwölf Prozent der Befragten, und damit zwei Prozent mehr als im Vorjahr, bewerten Deutschland als einen der besten drei Anlagestandorte weltweit. Zwar rangieren mit China, Indien, den USA und Russland immer noch vier Länder vor Deutschland, aber in Europa ist Deutschlands Vorrangstellung derzeit unbestritten. Vor allem vor dem Hintergrund der immer geringeren Attraktivität des alten westeuropäischen Kerns der EU, der in der Befragung innerhalb von vier Jahren über 40 Prozent an Zustimmung verloren hat, ist die deutsche Steigerung bemerkenswert. Und damit nicht genug, 54 Prozent der »Entscheider« rechnen zudem damit, dass sich das »Investitionsklima« weiter verbessern werde, nur neun Prozent der Befragten äußern eine gewisse Skepsis gegenüber der Bundesregierung und den Tarifparteien.
Dieser Reputationsgewinn in der Krise spiegelt sich auch am Arbeitsmarkt wieder. Wie aus dem aktuellen Arbeitsmarktbericht der Bundesagentur für Arbeit hervorgeht, ist die Zahl der Arbeitslosen im Mai um 165 000 auf 3 242 000 gesunken. Im Vergleich zum Vorjahresmonat ist die Arbeitslosenquote um 0,5 Prozentpunkte gesunken und liegt derzeit bei 7,7 Prozent. Auch hier zeigt sich in Deutschland eine Entwicklung, die gegen den europäischen Trend läuft, denn in der Eurozone ist die Arbeitslosenquote im April überraschend gestiegen. Die saisonbereinigte Quote habe sich hier von 10,0 Prozent im Vormonat auf 10,1 Prozent erhöht, teilte die europäische Statistikbehörde Eurostat in der vergangenen Woche in Luxemburg mit. Die Behörde schätzt die Gesamtzahl der Erwerbslosen im Währungsraum auf 15,860 Millionen. Dass dabei die »merkliche Besserung« in Deutschland, so der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit Frank-Jürgen Weise, mit den Erfolgen der Exportindustrie zusammenhänge, wird von keinem der sich stets zu Wort meldenden Experten in Frage gestellt.
Um dies zu illustrieren, hilft ein Blick auf die Entwicklung der Branchen, die traditionell am stärksten auf den Export ausgerichtet sind. Im deutschen Maschinen- und Anlagenbau habe der Auftragseingang im ersten Quartal 2010 real 21 Prozent über dem Ergebnis des Vorjahres gelegen, teilte der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) kürzlich mit. Trotz der bereits rekordverdächtigen Exportumsätze aufgrund außergewöhnlich vieler Großanlagengeschäfte im vergangenen Jahr, die im Gegensatz zum krisengezeichneten Inlandsumsatz gestanden hätten, habe man eine weitere Steigerung ermöglichen können. »Das erste Quartal schließt damit – trotz des schwachen Januars – mit einem respektablen Plus von 14 Prozent ab«, sagte ­Ralph Wiechers, leitender Volkswirt des VDMA. Das Gros der Maschinen wurde dabei in die Eurozone geliefert. Aber nicht nur im Maschinenbau greift langsam Optimismus um sich. Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft sei inzwischen so gut wie seit zwei Jahren nicht mehr, befand das wirtschaftsnahe Ifo-Institut nach seiner monatlichen Umfrage unter 7 000 Firmenchefs.

In der jüngeren Vergangenheit hatte das noch anders ausgesehen, zum Jahreswechsel hatte der Spiegel 2010 als »Jobkrisenjahr« bezeichnet. Auch Christian Dreger, Konjunkturanalyst des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), hatte prognostiziert, dass das Tempo der wirtschaftlichen Erholung nicht ausreichen werde, »um die Beschäftigung stabil zu halten«. Die stetige Senkung des Lohnniveaus, dessen Anteil am Gesamtinlandsprodukt auf den niedrigsten Stand seit 1960 geschrumpft ist, die Erhaltung des sozialen Friedens durch die Gewerkschaften und die zunehmende Flexibilisierung des Arbeitsmarktes durch die Ausdehnung von Leiharbeit und Mini-Jobs sowie die Verlängerung von Kurzarbeitsregelungen haben dafür gesorgt, dass sich Europas Primus derzeit nicht mehr vor einem Einbruch fürchtet. Sorgenfalten entstehen hierzulande lediglich beim Blick auf die europäischen Nachbarn. »Die Probleme in und um die Peripheriestaaten der Eurozone dürften an Deutschland als Exportnation nicht spurlos vorbeigehen«, kommentierte Jörg Zeuner von der VP Bank den Arbeitsmarktbericht. »Ein erneuter Nachfragerückgang würde die Beschäftigung wieder unter Druck bringen.« Schon mit der gewählten Terminologie wird hier ein neues innereuropäisches Verhältnis angedeutet. »Kerneuropa«, wie Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) die wirtschaftlich starken Nationen im Gegensatz zu den Nachzüglern nannte, besteht zunehmend aus einer alles niederkonkurrierenden deutschen Volkswirtschaft mit kleineren Anhängseln, wie Österreich oder den Niederlanden. Der Rest ist Peripherie. Wer, wie etwa Frankreich, noch in diesen illustren Kreis aufsteigen will, sollte sich beeilen.

Die von vielen angesprochene Fragilität und fehlende Dynamik des Euro-Raumes könnte sich aber letztlich doch als Hemmnis für den Standort Deutschland erweisen. Zumindest wenn einbrechende Exporte nach Europa künftig nicht durch die in andere Regionen des Weltmarktes ausgeglichen und nicht größere Investitionen angezogen werden können. Insofern könnte sich der europäische Spitzenplatz, den die Umfrage von Ernst & Young Deutschland bescheinigt, eher als Durchgangsort erweisen. Dass im globalen Maßstab da noch einiges zu tun ist, konnte man auch bei der Präsentation der Umfrage entnehmen. »Vor allem China und Indien bieten das, was Investoren suchen: große unerschlossene Märkte und damit erhebliche Wachstumspotentiale«, sagte Peter Englisch. »Da können die etablierten großen Industrienationen wie die USA und Deutschland schlichtweg nicht mithalten.« Vor allem das zu hohe Lohnniveau wird von den Bossen als Hemmnis erkannt. Ein Blick auf das in der vergangenen Woche vorgelegte Sparpaket und die sich gerade wieder entwickelnden Polemiken gegen die »Besitzstandswahrer« zeigt, dass die Bundesregierung das verstanden hat. Vielleicht hat man im kommenden Jahr die Russen und Amerikaner schon abgehängt.