»Aha, die Gnadenschwestern!«

Hätte ihm seine einstige Managerin nicht sein Millionenvermögen abgeluchst, würde Leonard Cohen heute wohl nicht in der Waldbühne in Berlin spielen. Der kapitale Betrug ereignete sich in den Neunzigern. Der Songwriter Cohen machte in dieser Zeit den Traum vieler geläuterter Ex-Junkies wahr und meditierte einige Jahre in einem buddhistischen Kloster. Als er innerlich gereinigt wieder herauskam, bemerkte er, dass er pleite war. Seitdem braucht er Geld, und das holt er sich unter anderem von den Besuchern seines Konzerts in der Waldbühne. Die sind größtenteils einige Jahre jünger, dafür aber sehr viel geschmackloser gekleidet als der 75jährige Cohen, der mit dunklem Anzug und Bolo-Tie sein angenehmes Pathos unterstreicht. Beim Singen bewegt er sich ungern. Manchmal kniet er sich hin und haucht mit seiner brüchigen, dunklen Stimme Klassiker wie »Suzanne« in Richtung Bühnenboden. Nach jedem Song zieht er seinen Hut, verbeugt sich dezent und lächelt ungläubig die Menge an. Die Gesten sitzen und werden auch durch musikalische Ausrutscher nicht getrübt, wie etwa das fünfminütige Solo des Gitarristen, bei dem nicht wenige peinlich berührt auf den Boden blicken. Dann spielt Leonard Cohen wieder einen seiner bekannteren Titel. Eine Zuschauerin spricht offenbar nicht gut Englisch und fragt ihren Sitznachbarn: »Was heißt ›mercy‹ auf Deutsch?« – »Gnade.« – »Aha, die Gnadenschwestern also. Interessant!« Immer wieder geht einer durch die Gänge, den die Leute nicht mögen. Es ist der Brezelverkäufer. Dass er sein Gebäck gerade dann verkaufen will, als von der Bühne die ersten Takte von »Hallelujah« hallen, nehmen ihm viele sichtbar übel. Später wird der Verkäufer von einem Konzertbesucher als Vollidiot beschimpft. Doch das sich daran anschließende Wortgefecht ist nicht mehr zu hören: Cohen spielt »First We Take Manhattan«.