Seltsame Ermittlungsmethoden gegen Linke in Göttingen

Hundenasen können irren

Der staatliche Kampf gegen vermeintliche linke Gewalt nimmt bisweilen absurde Formen an. Das zeigt ein Beispiel aus Göttingen.

Die Polizei in Göttingen hat es nicht leicht. Ständig muss sie sich mit linken Demonstrationen herumschlagen und wird noch dazu – wie im November vorigen Jahres – vom Stadtrat ermahnt, zur Deeskalation beizutragen. Und nun das: »Ganz Göttingen lacht über die Polizei. Mit welchen Fantasiegeschichten wir Bürger hier veralbert worden sind und weiter veralbert werden, ist nahezu unglaublich«, schreibt ein empörter Bürger im Forum des Göttinger Tageblatts.
Grund für die Empörung sind bekannt gewordene Details aus den Ermittlungen wegen eines Brandanschlags auf die Göttinger Ausländerbehörde. Nachdem es Ende Januar in deren Teeküche gebrannt hatte, stand für Polizei und Medien schnell fest, dass »Linksextremisten« für das Feuer verantwortlich gewesen seien (Jungle World 5/10). Der große Protest gegen Abschiebungen und ein in der Nähe des Tatorts gefundenes Stück Pappe, auf dem »Abschiebestopp« geschrieben stand, ließen für sie keinen Zweifel an der Täterschaft. Von der »Schwelle zum Terrorismus« sprach Hans-Werner Wargel, Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes. Die Staatsanwaltschaft erwägte sogar, Ermittlungen wegen »versuchten Totschlags« einzuleiten. Nach einer Razzia in einem bekannten, linken Wohnprojekt präsentierte die Polizei vier Verdächtige, sensible Spürhunde – sogenannte Mantrailer – hatten die Beamten auf die Spur gebracht.

Bereits im Juni wurde bekannt, dass es sich bei dem »szenetypischen Brandsatz« um eine Tube Alleskleber, ein paar Streichhölzer und ein wenig Papier gehandelt hatte. Die vermeintliche Explosion war lediglich eine Verpuffung gewesen, ausgelöst vom Löschversuch eines Mitarbeiters der Behörde. »Alleskleber bedroht Kreishaus«, titelte daraufhin selbst das sonst eher unkritische Göttinger Tageblatt zynisch. Mittlerweile wurden die Ermittlungen eingestellt, die Täter dürften unbekannt bleiben. Und das, obwohl die Polizei mehrere Monate mit enormem Aufwand und erstaunlicher Kreativität in der linken Szene nach Verdächtigen suchte. Dies geht aus den nun freigegebenen Polizeiakten hervor, die sich der Zusammenfassung der Anwälte zufolge eher wie ein schlechter Roman als wie rechtsstaatliche Ermittlungsdokumente lesen.
So hatte eine Mitarbeiterin der Ausländerbehörde von einer verdächtigen Person mit »dunklem Teint« berichtet, die sich zur Tatzeit im Gebäude aufgehalten habe. Daraufhin wurden ihr zwölf Fotos vorgelegt, darunter die Passfotos der vier Verdächtigen sowie das eines polizeilich bekannten Linken, der ebenfalls einen »dunklen Teint« hat. Vier Gesichter kamen für die Zeugin in Frage, darunter auch das des Wunschtäters. Die bisherigen Verdächtigen schloss sie jedoch aus. Für die Polizei gab es damit einen fünften Verdächtigen, sie beantragte zugleich sowohl eine Vollobservation als auch eine DNA-Entnahme. Dies wurde jedoch abgelehnt, was den Einfallsreichtum der Ermittler aber anstachelte.
Im März richtete die Polizei an sechs Tagen für jeweils acht Stunden überall in der Innenstadt Kontrollpunkte ein, an denen Fahrradfahrer angehalten wurden. Nur wenige bemerkten die beiden zusätzlichen Beamten, die sich an jeder Kontrollstelle beobachtend im Hintergrund aufhielten. Bei den Kontrollen, die wahrscheinlich mehrere tausend Radfahrer betrafen, ging es nur vorgeblich darum, den ordnungsgemäßen Zustand der Fahrräder zu überprüfen. In Wahrheit war die »Ermittlungsgruppe Teeküche« auf der Suche nach einer Person mit einer »markanten Art des Fahrradbesteigens«. Denn der Verdächtige mit »dunklem Teint« war beim Verlassen der Behörde von einer Überwachungskamera dabei gefilmt worden, wie er von rechts auf sein Rad aufstieg.
Die Suche nach dem Verdächtigen blieb jedoch erfolglos. Auch der Versuch, aufgrund eines Kommentars eines namentlich bekannten »Sprengstoffexperten« auf Indymedia die entsprechenden Server in den USA beschlagnahmen zu lassen, scheiterte. Ein von den Anwälten der Verdächtigen eingeholtes Gutachten von Johann Fruth, dem Ausbildungsleiter der bayerischen Landespolizei für Diensthunde, blamiert die Ermittler zusätzlich: Dem Einsatz der Hunde sei »keine Bedeutung beizumessen, ebenso wenig wie der Interpretation eines möglichen Einsatzergebnisses durch die Hundeführer«.

Für den Landtagsabgeordneten Patrick Humke-Focks von der Linkspartei sind die Ermittlungen Teil einer »politischen Kampagne gegen alle, die linke Politik in Göttingen machen«. Gegen ihn selbst wurde in den vergangenen zwei Jahren dreimal wegen Beleidigung und Widerstand gegen Polizeibeamte ermittelt, zweimal wurde dafür sogar seine Immunität aufgehoben. Tatsächlich kann man den Eindruck gewinnen, dass im Zuge der Extremismusdebatte versucht wird, die äußerst aktive Linke in Göttingen zu marginalisieren. Auffallend ist zum Beispiel, dass die Polizei bis Ende 2008 bei Demonstrationen und Aktionen stets von der »linken Szene« sprach. Seitdem scheint es jedoch in Göttingen nur noch »Linksextremisten« zu geben.
Die Polizei arbeitet dabei mit dem Geheimdienst zusammen. Der Kampf gegen den gemeinsamen Feind wird von personellen Überschneidungen begünstigt. Hans-Werner Wargel, seit Anfang des Jahres Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes, leitete zuvor fünf Jahre lang die Polizeidirektion Göttingen. Dort habe er sich »vor allem mit der Repression gegen linke Aktivisten und Demonstrationen einen Namen gemacht hat«, wie Pia Zimmermann, innenpolitische Sprecherin der Linken im Landtag, bei seiner Amtseinführung kritisierte. Nachfolger von Wargel ist Robert Kruse, zuvor stellvertretender Präsident des Verfassungsschutzes Niedersachsen und ehemaliger Leiter der Abteilung »Politischer Staatsschutz« des Landeskriminalamts.
Wenig verwunderlich ist da, dass die Göttinger Brandstiftung noch in den Landesverfassungsschutzbericht 2009 aufgenommen und als Beweis für die »neue Qualität der linksextremistischen Gewalt« angeführt wurde, obwohl die Tat sich gar nicht in dem Jahr ereignet hatte. Auch das Jugendzentrum Innenstadt und ein linkes Kneipenkollektiv finden in dem Bericht zum ersten Mal Erwähnung: als Auftrittsorte für »linksextremistische Bands«.

Der Versuch, die linke Szene zu diskreditieren und einzuschüchtern, ist jedoch vorerst gescheitert. Dies ist auch der gemeinsamen Gegenwehr der linken Szene und links-liberalen Öffentlichkeit zu verdanken. Bereits vor der Hausdurchsuchung hatte ein Bündnis aus über 40 Gruppen, darunter Gewerkschaften und Parteien, die Initiative »Für gesellschaftliches Engagement – Gegen Kriminalisierung und politische Justiz« ins Leben gerufen. Wargel selbst hatte bei der Amtseinführung seines Nachfolgers Kruse betont, dass es in der Stadt eine »bunte politische Landschaft« gebe, und ihm geraten, sich möglichst bald mit den »Göttinger Besonderheiten« vertraut zu machen. Vielleicht hätte Kruse auf seinen erfahrenen Vorgänger hören sollen.