Über Männer und Muskeln im Hollywood-Kino

Muskelmänner hängen durch

Das Actionkino recycelt sich selbst: Man muss alten Männern dabei zusehen, wie sie sich gegenseitig in der Testosteronausschüttung übertreffen. Was soll das alles?

Seit über 30 Jahren versuchen die großen Hollywood-Studios jeden Sommer aufs neue, den ganz großen Blockbusterhit zu landen. Die Erfolgsaussichten lassen sich hierbei nur äußerst schwer kalkulieren. Um das Risiko klein zu halten, greift man am liebsten auf bewährte Rezepte zurück. Aber um möglichst viele Zuschauer anzulocken, braucht man auch frische, unverbrauchte Ideen. Gelingt ein erfolgreicher Blockbuster, ist deshalb das Sequel die logische Konsequenz, das in einer leicht veränderten Version die bereits erfolgreiche Rezeptur wiederholt. Oder man versucht es mit der Schwester des Sequels, dem Remake. Allein 2010 kamen unter anderem die Remakes von »Clash of the Titans«, »A Nightmare on Elmstreet«, »The Karate Kid« und »The A-Team« in die Kinos.
Aber um Kinogänger in die Multiplexe aller Länder zu locken, braucht es nicht nur das technisch avancierte Update einer bekannten Geschichte, es braucht auch Helden, mit denen sich das Publikum identifizieren kann.
»The A-Team« setzt genau dort an. Schon die TV-Serie war die Verwirklichung der Actionformel: Viele Explosionen und noch viel mehr Spaß. Bis heute ist das »A-Team« eines der erfolgreichsten Serienformate weltweit. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die meisten der potentiellen Zuschauer des Films irgendwann einmal die vier unehrenhaft, aber unschuldig aus der Armee entlassenen ehemaligen Mitglieder einer Special-Forces-Einheit im Fernsehen gesehen haben. Der Wiedererkennungswert der vier ist riesig. Die Charaktere sind: John Smith, genannt »Hannibal«, der mit der Zigarre, der die meisten Operationen leitet, der Charmeur Templeton »Faceman« Peck, der verrückte, sich selbst überschätzende Flieger »Howling Mad« Murdock und der ikonische B.A. Baracus, in der Serie dargestellt von Mr. T. An den Figuren wurde im Film so gut wie nichts verändert: Liam Neeson erweckt Hannibal zum Leben, auch Mixed-Mar­tial-Arts-Kämpfer Rampage Jackson als B.A. und Shartlo Copley als Murdoch fügen den Figuren nichts Neues hinzu. Lediglich Bradley Cooper spielt »Faceman« charmanter als das Original. Das ist aber seinem Gesicht und weniger seinem schauspielerischen Können geschuldet.
Auch die Grundformel der Serie wurde im Film beibehalten, das heißt: Keine Charakterentwicklung, dafür umso mehr Schießereien, Explosionen und Verfolgungsjagden. Je absurder, desto besser. Während die Serie aber nach der Entlassung der vier Helden aus der Armee einsetzt, erzählt der Film, wie es dazu kam.
Auch wenn an den Hauptfiguren selbst nichts geändert wurde, ihr Verhältnis zueinander steht im Film deutlich stärker im Mittelpunkt. Ihre Männerfreundschaft ist zentrales Thema. Und nicht nur das: Mit Sosa gibt es einen relativ komplex angelegten weiblichen Charakter, auch wenn dies nur eine Nebenrolle ist. Lange Zeit ist Sosa im Film eine ambivalente Figur. Ihre Toughness übersteigt die der vier Männer bei weitem, was sie sowohl zur unberechenbarsten Feindin als auch zur besten Verbündeten macht.
Von Frauen in Nebenrollen kann dagegen bei dem anderen großen Spätsommer-Blockbuster, »The Expendables«, eher keine Rede sein, denn in Sylvester Stallones Film tauchen fast ausschließlich muskulöse Männer auf. Die Hauptfiguren werden von den bekanntesten Stars des Genres verkörpert: »The Expendables« sind Sylvester Stallone, Mickey Rourke, Dolph Lund­gren, Jason Statham, Jet Li und Randy Couture. Darüber hinaus treten unter anderem auch noch Bruce Willis und Arnold Schwarzenegger in selbstreferentiellen Nebenrollen auf. Denn im Grunde hat sich Stallone des postmodernen Tricks bedient, der schon bei Mickey Rourkes Comeback als »The Wrestler« so gut funktioniert hat: Man nehme gealterte Stars und gebe ihnen Rollen, die sowohl auf ihre Rezeption als Stars als auch auf ihre bekannten Filmfiguren verweisen. Die »Expendables« sind eine Gruppe in die Jahre gekommener Söldner, die noch einmal gemeinsam in den Kampf ziehen. Sie werden angeheuert, um eine lateinamerikanische Insel von einem despotischen General und seinem Kokain anbauenden amerikanischem Verbündeten zu befreien.
Das männliche Action-Ensemble steht im Zentrum der Handlung, die beiden einzigen weib­lichen Figuren verschwinden im Hintergrund, denn auch wenn Sandra, die Tochter des Generals, zumindest pseudo-tough ist, fungiert sie nur als Zückerchen für den von Sylvester Stallone dargestellten Protagonisten Barney Ross. Viel wichtiger ist die Freundschaft der beiden Hauptfiguren Barney und Lee Christmas. Ihre Gefühle füreinander, die Loyalität und Freundschaft, stehen im Mittelpunkt des Geschehens.
In den Achtzigern wurden die Hardbodies der Actionstars in Stellung gebracht gegen alle möglichen Bedrohungen. Aufgepumpte Männermuskeln kämpften in »Rambo« oder »Missing in Action«. Die Männer in »The Expendables« haben noch diese Körper, aber sie schmerzen, sie können ihre Waffen noch wendig bedienen, doch die Knochen knacksen bereits. Sylvester Stallone als Barney ist alt, aber noch nicht zu alt zu kämpfen. So wie er als Regisseur den Jungen noch einmal zeigt, wie man einen »echten« Actionfilm dreht.
Nichts an »The Expendables« ist experimentell, außer so einen Film, der keinen ironischen Subtext hat, überhaupt noch einmal zu drehen. Der Erfolg an der Kinokasse scheint Stallone aber Recht zu geben: »The Expendables« ist einer der erfolgreichsten Filme des Sommers. Kaum jemand hatte damit gerechnet, dass »The Expendables« noch erfolgreicher als Christopher Nolans »Inception« sein würde. Das zeigt einmal mehr die Unberechenbarkeit der Einspielergebnisse, denn Nolans Blockbuster war der Hype des Sommers, bevor den Film überhaupt jemand gesehen hatte.
»Inception« ist die Antithese zum stumpferen Unterhaltungskino wie »The A-Team« und »The Expendables« und steht in der Tradition von »Matrix«. Auch in seiner Bombastik ist der Film wahrlich komplex: Dom Cobb (Leonardo di Caprio) baut Traumwelten im Unterbewusstsein der Menschen und stiehlt ihnen Erinnerungen und Wissen. Diesmal lautet sein Auftrag allerdings, bei einer Zielperson einen Gedanken einzupflanzen. Er würde damit nicht nur die Welt vor der Entstehung eines alles beherrschenden, monopolistischen Konzerns bewahren, sondern könnte auch seinen eigenen Status als flüchtiger Verbrecher aus­löschen. Da »Inception« sich in den Träumen der Menschen bewegt, bekommen die zahlreichen Explosionen und Effekte in dem Film einen Sinn. Darüber hinaus ist Dom Cobb das Gegenstück zum strahlenden Helden im Unterhemd. Er ist ein gebrochener Intellektueller. Seiner Traurigkeit, seiner Depressivität fehlt der Spaß-Faktor. Freunde, Männerbündnisse, das alles spielt bei Cobb keine Rolle, er bleibt, selbst wenn er auf ein Team angewiesen ist, für immer einsam.
Nur eines hat »Inception« mit den anderen Sommer-Blockbustern gemeinsam: Auch hier befinden sich die weiblichen Figuren am Rande des Geschehens. Die Studentin Ariadne (Ellen Page) ist die einzige Frau im Team; kompetent und zugeknöpft ist sie zwar die Architektin der Träume, erfüllt im Film aber nicht mehr als die Funktion der sensiblen, empathischen Kommentatorin, die dem Zuschauer Cobbs Psyche vermittelt. Sie muss einen klaren Kopf behalten, denn Cobb ist verwirrt, weil ihn seine tote, in den Träumen auftauchende Frau Mal lockt, um ihn für immer aus der wirklichen Welt zu sich zu holen. Somit sind in »Inception« zwar die Rollen der beiden Frauen ein wenig mehr in den Mittelpunkt gerückt, dafür aber auch wesentlich negativer gestrickt.
All diese Filme sind Ausdruck einer Unfähigkeit des aktuellen Blockbuster-Kinos, allgemeingültige Figuren zu entwerfen. Schon lange schlägt sich die Filmindustrie damit herum, dass es Frauen als lohnende Zielgruppe nicht zu geben scheint. Die meisten Versuche, einen sogenannten Frauenfilm zu stricken, scheitern.
Wenigstens die männlichen Zuschauer zwischen 18 und 40 waren lange Zeit eine berechenbare Zielgruppe. Aber auch die scheint in den vergangenen zehn Jahren immer mehr zu schrumpfen, der männliche Zuschauer ist wie der weibliche immer weniger klassifizierbar. Kurzfristig sah es so aus, als ob Nerds als Filmfiguren diese Lücke schließen würden. Sie waren die Antihelden, die Losertum zum Grundprinzip erhoben. Ihre Hände steckten in den Hosentaschen und für Frauen hatten sie keine lockeren Sprüche parat, weil sie schlicht nicht wussten, was sie sagen sollten.
Ausgelöst hat diesen Trend Judd Apatow, und zumindest eines haben seine Filme wie »The 40-Year Old Virgin«, »Knocked Up« und »Funny People« geschafft: Sie haben einen neuen Figurentypus und die stärkere Betonung der engen Freundschaft zwischen heterosexuellen Männern in das Blockbuster-Kino eingeführt. Die Gefühle zwischen den männlichen Buddies dürfen nun auch in den vorher eher gefühlsarmen Actionfilmen nicht mehr fehlen. Das heißt aber auch, dass bei diesen Konstellationen weibliche Charaktere noch weniger Platz haben, sich zu entfalten.
Vor den Nerdfilmen wurden die sogenannten »Geeks« und »Fanboys« als Randfiguren wahrgenommen, mittlerweile sind sie Mittelpunkt des Geschehens, ihre sozialen Skills können sie sogar zu Weltrettern machen wie die klassischen Actionstars. Nicht nur das: Mittlerweile muss es selbst in »Die Hard 4« einen Nerd geben, der John McClane beim Bedienen der modernen Informationstechnologie hilft. Die Möglichkeiten dieser Nerds sind damit auch schon wieder erschöpft. Mit »Scott Pilgrim vs The World« kommt bald eine Comicverfilmung in die Kinos, in der der Held mit schmalen Schultern durch die Welt streift, aber trotzdem keine wirkliche Alternative zu den Stallones und di Caprios anbietet. Denn im Grunde wollen beide Heldentypen das gleiche: Auch die Hauptfigur in »Scott Pilgrim vs The World« will als strahlender Held mit einer Frau an seiner Seite als Hauptgewinner aus der Schlacht um die Welt hervorgehen.
Doch es gibt zurzeit einen Blockbuster, der von den beschriebenen Schemata abweicht: »Salt« funktioniert anders und hat eine Frau im Mittelpunkt des Geschehens anzubieten. Angelina Jolie, neben Milla Jovovich zurzeit Hollywoods einziger weiblicher Actionstar, verkörpert darin die Doppelagentin Evelyn Salt. Die Ästhetik des Films hat wenig Neues zu bieten, und auch die Thematik »CIA gegen KGB« erinnert arg an die Achtziger. Regisseur Philipp Noyce hat zu sehr auf Computertechnik verzichtet und stattdessen auf handgemachte Stunts gesetzt. Salt befindet sich auf der Flucht vor ihren Feinden, die Logik des Films folgt der Dynamik der Spannung, nicht der des Plots.
Gerade der körperliche Einsatz Jolies verträgt sich gut mit der soliden Inszenierung, die Figur Evelyn Salt beerbt die Jack Bauers aus der Serie »24«, die das Action-Genre in der vergangenen Dekade geprägt hat, und entwickelt sie weiter. Richard Corliss von der Times nennt Jolies Stil dann auch »Feminismo«, um zu zeigen, dass Jolie das handfeste weibliche Gegenstück zu den männlichen Stars ist. Das stimmt aber nicht.
Drehbuchautor Kurt Wimmer hatte die Rolle ursprünglich für Tom Cruise geschrieben. Gerade in dieser Kluft zwischen einer Rolle, wie Tom Cruise sie mittlerweile nicht mehr besonders spektakulär spielen würde, und Hollywoods modernstem Actionstar Angelina Jolie entsteht eine ungemein moderne Figur. Evelyn Salt ist eine Einzelkämpferin, eine trainierte Menschmaschine ohne großes psychologisches Profil, die in ihrer Figur mehr Dynamik vereint als alle oben beschriebenen Effekte zusammen und neuartiger daherkommt als die verzweifelten Versuche, abgehalfterte Figuren zu modernisieren.
»Salt« ist das Action-Franchise der Zukunft, die Doppelagentin ist die einzige Figur, von der man tatsächlich mehr sehen möchte, mit der man sich ein Wiedersehen in einem weiteren Teil erhofft. »Salt« ist der einzige aktuelle Blockbuster, an dessen Ende selbst Männer im Kinosaal flüstern: »Ich wäre gerne wie sie.«