Proteste gegen Waldrodungen in Russland

Singen für den Wald

Überraschend setzte sich der russische Präsident Dmitrij Medwedjew für die vorübergehende Einstellung umstrittener Rodungsarbeiten nahe Moskau ein. Doch gestoppt wurden die Arbeiten nicht, und weiterhin geht die Miliz mit Gewalt gegen Protestierende vor.

Dmitrij Medwedjew umgibt sich gerne mit einer Aura von Liberalismus, wenn es der Sache dient. Ende August, am Morgen nach dem ersten Konzert der irischen Band U2 in der russischen Hauptstadt, erteilte der Präsident über seinen Berater Wladislaw Surkow der regierungstreuen Partei Einiges Russland den Auftrag, schnellstens eine Pressemitteilung zu veröffentlichen. Darin bat die Parteileitung um die sofortige, vorübergehende Einstellung der Rodungsarbeiten in einem Wald des Moskauer Vorortes Chimki. Kurz darauf meldete sich Medwedjew in seinem Videoblog selbst zu Wort.
Bislang hatten sich weder die Partei Einiges Russland noch der Präsident zu den Protesten gegen die Waldrodung (Jungle World 32/10) geäußert. Der Bau der Autobahn, deretwegen eine breite Schneise in den Wald geschlagen wurde, war längst auf oberster Führungsebene beschlossen worden. Allerdings hatten die Proteste beunruhigende Dimensionen angenommen. Am 22. August fand auf dem Puschkinplatz in Moskau eine Kundgebung für den Erhalt des Walds in Chimki mit etwa 3000 Menschen statt, zu der neben der liberalen Opposition auch bekannte Intellektuelle und Künstler aufgerufen hatten. Als Stargäste wollten einige bekannte Musiker wie Jurij Schewtschuk auftreten.

Offensichtlich wagten die Behörden wegen der Popularität der geladenen Musiker nicht, die Veranstaltung zu verbieten. Die Miliz und unbekannte Helfer der Regierung handelten jedoch in gewohnter Manier. Einer der offiziellen Veranstalter, der Menschenrechtler und Oppositionspolitiker Lew Ponomarjow, wurde auf dem Weg zum Puschkinplatz festgenommen und später zu drei Tagen Arrest wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt verurteilt. Musiker wurden daran gehindert, mit ihren Instrumenten den abgesperrten Platz zu betreten. Unbekannte attackierten den Wagen mit der Lautsprecheranlage noch auf dem Weg zum Veranstaltungsort, sie sprangen an einer Ampel vom Motorrad und zerstachen die Reifen des Fahrzeugs. Jurij Schewtschuk sang trotzdem, am folgenden Tag begann die Jugendorganisation von Einiges Russland eine Hetzkampagne gegen ihn.
Schewtschuk stand auch beim Konzert von U2 auf der Bühne. Bono stellte sich mit dieser Einladung, ohne diees explizit zu sagen, auf die Seite der Waldschützer. Medwedjew, mit dem Bono zuvor in Sotschi über Gott und die Welt geplaudert hatte, wollte offensichtlich nicht so tun, als ob er die Anspielung seines neuen irischen Freundes nicht verstanden habe, und ging in die Offensive. Die Intervention des Präsidenten hat indes keine Auswirkungen auf die Routenführung der umstrittenen Autobahn. Umweltschützer berichteten, dass die vorbereitenden Arbeiten zum Bau nach Medwedjews Erklärung nicht gestoppt wurden. Zudem gilt das Autobahnprojekt in der bislang favorisierten Version als wichtiges Anliegen von Premierminister Wladimir Putin, der nicht dafür bekannt ist, auf Protestierende zu hören.

Mit der Parteidisziplin ist es beim Einigen Russland indes nicht weit her. Wladimir Streltschenko, Bürgermeister von Chimki und eines der bekanntesten Parteimitglieder, initiierte noch am Tag, an dem die Presseerklärung veröffentlicht wurde, eine Unterschriftenkampagne für die heftig kritisierte Autobahnroute. Der Bürgermeister versuchte, insbesondere die Mitarbeiter lokaler staatlicher Betriebe und Kleinunternehmen unter Druck zu setzen. Es ist bekannt, dass es gefährlich sein kann, sich Streltschenko zu widersetzen. Einer seiner Kritiker wurde von Unbekannten getötet.
Wenig zimperlich gehen auch die Miliz und der Inlandsgeheimdienst FSB gegen angebliche Teilnehmer einer Demonstration für den Erhalt des Waldes in Chimki vor, die Ende Juli stattfand. Um Aussagen von Aleksej Gaskavor und Maxim Solopow, die sich in Untersuchungshaft befinden, zu erpressen, bedienten sich die Ermittler mehrmals roher Gewalt und Folter. Einer der Verhörten liegt nach den Misshandlungen, die nicht nur aus Schlägen, sondern auch aus dem Entzug der Atemluft mit einer über den Kopf gestülpten Plastiktüte bestanden, mit einem Schädel-Hirn-Trauma im Krankenhaus.