Das deutsche Ideal der Über-Mutter

Mein Busen gehört mir

Weniger Kindererziehung, mehr Gleichberechtigung – was die französische Feministin Elisabeth Badinter in ihrem neuen Buch als Gegenstrategie zu immer regressiveren Familienmodellen vorschlägt, kommt beim deutschen Bürgertum gar nicht gut an.

Eigentlich hätte man es sich denken können. Und mit einer Mischung aus diebischer Freude und tiefster Frustration die deutschen Reaktionen auf Elisabeth Badinters Buch »Der Konflikt« voraussagen können. Schließlich ist Deutschland die bis an die Zähne bewaffnete ideologische Bastion wahrer Mutterliebe, auch wenn man hierzulande mit kleinem Kind im Schlepptau unfreundlicher behandelt wird als in jedem anderen Land. Die streitbare französische Feministin, Professorin und Autorin plädiert in ihrem heiß diskutierten Buch dafür, dem wachsenden »Natürlichkeitsterror«, der Frauen zu immer intensiverer Beschäftigung mit ihren Kindern verpflichtet – Stillen nach Bedarf, Biobrei selbst kochen, Stoffwindeln waschen etc. – und sie so wieder ans Haus bindet, Einhalt zu gebieten. Besonders den international agierenden Verein La Leche League, der das Stillen als religiöse Mutterpflicht propagiert, kritisiert sie scharf.
In gewisser Weise hat Badinter die Reaktionen auf ihr Buch in Deutschland sogar einkalkuliert und auf das erzreaktionäre Mutterbild des Nachbarlandes verwiesen, das dazu führe, dass immer weniger deutsche Frauen Kinder bekämen, weil sie den Druck zur perfekten Mutterschaft nicht aushielten. »Wenn ein Fünftel der Frauen in Deutschland kinderlos bleibt, heißt das, dass die Rechnung für sie nicht aufgeht«, analysiert sie und schreibt weiter: »Und wenn es unter den am besten ausgebildeten Frauen sogar 28 Prozent sind, bedeutet das, dass sie sich woanders besser verwirklichen können als in der Form von Mutterschaft, die man ihnen auferlegt.«
Trotzdem war man, wenn zwar in keiner Weise überrascht, so doch erschüttert, welche Ablehnung das Buch erfahren hat, das dafür plädiert, Mutterschaft mit weniger unrealistischen Anforderungen zu überfrachten. So hämt Susanne Mayer in der Zeit über das französische Erziehungsmodell: »Seit vier Jahrhunderten gilt Kinderaufzucht in Frankreich als delegierbar – und die Frage nach der Befindlichkeit der Kinder offensichtlich als Tabu. Da liegen sie, die Würmchen, im edlen Pariser Marais, in einem ehemaligen Laden hinter der Schaufensterscheibe, im Dutzend abgestillt und abgelegt. So eilt es sich leichtfüßig und ohne feuchte Flecken auf der Bluse zum Geldverdienen.« Auch der implizite Vorwurf, eine Frau, die ihr eigenes Geld verdienen wolle, sei selbstsüchtig, während der berufstätige Mann als verantwortungsvoller Ernährer gilt, ist so altbekannt reaktionär wie ärgerlich. Verächtlich wird von Mayer nachgesetzt: »Badinters Beschwörungen der schönen Arbeitswelt haben den Sound der siebziger Jahre.« Das ist der klassische Generalvorwurf an Feministinnen, die am Status Quo etwas zu meckern haben: Sie seien von gestern und hätten nicht mitgekriegt, dass heute eben alles anders laufe. Und selbstredend wird auch noch »das Kreatürliche in uns«, das durch Kinder berührt würde, beschworen.
Im Interview der Süddeutschen Zeitung wurde Badinter als erstes gefragt, ob sie ihre drei Kinder gestillt habe, und als Badinter verneinte und erklärte, sie habe nur eines der Kinder gestillt und dies auch nur einige Wochen lang, wurde penetrant nachgefragt, warum denn nur eines? Badinter verbittet sich denn auch diese Indiskretion.
Die deutsche Bloggerin »Frau Stricktier« echauffiert sich über das Buch, ohne es überhaupt gelesen zu haben, und behauptet: »Ich glaube, eine so gehäkelte Feministin wie Frau Badinter sitzt einem Irrtum auf. Die Frauen von heute unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt von den Frauen ihrer Generation. Heute entscheiden sich manche Frauen BEWUSST für ein paar Jahre Familienarbeit.« Weiter heißt es: »Viele Frauen von heute verfügen außerdem über einen Haufen Bildung. Die geht ihnen doch nicht verloren, wenn sie ein paar Jahre mit ihren Kindern verbringen! Herrjeh! Mir ist kein Gehirn aus der Brust getropft, während ich gestillt und nebenher im Übrigen meine Aufträge erledigt habe. Heutzutage kann man doch im akademischen Diskurs bleiben, wofür gibt es denn Skype und das Netz im Besonderen und WLAN und all den Kram? Männer können ganz hervorragend von allüberall her Mails checken und sich in Flugzeugen und Zügen herumtreiben, während sie Konzerne leiten – warum also nicht die Mutter, die eben eine Weile zuhause ihre Basis hat?«
Die Antworten gibt die Realität der Arbeitswelt, wo sich die Zahl der Mütter, die vom Stillzimmer aus internationale Konzerne leiten, wohl im Promillebereich bewegt.
Die Äußerung über die Bildung, die nicht verloren geht, wirkt zudem wie eine unfreiwillige Persiflage auf die Debatten um die »Prenzlauer-Berg-Mütter«, die trotz guter Ausbildung »freiwillig« die Erziehungsarbeit übernehmen und dann verwundert feststellen, dass sich der Macker samt gutem Einkommen vom Acker gemacht hat und sie mit großen Lücken in der Berufsbiografie mit 40 plus und betreungsintensiven Kindern an den Hacken eben keinen geilen, gut bezahlten Kreativ-Job mehr angeboten bekommen. Ob das Schicksal bourgeoiser Vollzeit-Mamas, die sich sehenden Auges in diese finanzielle Abhängigkeit begeben, genauso zu betrauern ist wie das jener unterprivilegierten Frauen, die ihren Nachwuchs von Anfang an alleine und von mageren Hartz-IV-Sätzen über die Runden bringen müssen, sei dahingestellt. Fakt ist jedoch, dass das Ideal der stillenden, allzeit betreuenden Mutter dazu führt, dass immer mehr Frauen sich in diese Fünfziger-Jahre-Dystopie flüchten.
Die deutsche Professorin Barbara Vinken, die ebenfalls ein Buch über den Mythos der Mutterliebe veröffentlicht hat, lobt in der taz die »bemerkenswerte intellektuelle Verve« des Buches, das aufgrund des reaktionären deutschen Mutterbildes in Deutschland in der Schärfe niemals hätte geschrieben werden können. Doch Badinter hat Vinken etwas Entscheidendes voraus: Obgleich in ihrem Buch die Rolle der Männer nur gestreift wird, weiß sie sehr wohl um die Wichtigkeit von gerechter Arbeitsteilung. Im Interview mit der SZ betont Badinter: »Partner müssen ihre Aufgaben teilen. Es ist undenkbar, dass wir weiterhin akzeptieren, dass Männer sich weigern, Verantwortung für die Familie, für den Haushalt zu übernehmen. Darüber müssen wir reden, auch wenn es manchen verstaubt vorkommt.«
Vinken hingegen antwortet in einem Interview mit dem feministischen Missy Mag auf die Frage, ob Väter mehr Arbeit bei Erziehung und Haushalt übernehmen müssten, rundweg mit »Nein«. Stattdessen sollten »Kindermädchen und Haushaltshilfen« steuerlich absetzbar sein. Da ist die von Vinken als Angehörige der »Groß-Bourgeoisie« geschmähte Badinter wohl doch weniger snobistisch, da sie offensichtlich nicht darauf setzt, dass sich Mittelklassefrauen auf Kosten von schlecht bezahlten »Kindermädchen« emanzipieren, statt ihre Partner in die Pflicht zu nehmen.
Gegen das Ideal der Über-Mutter formiert sich aber auch in Deutschland allmählich der Widerstand. Eine Avantgarde junger Feministinnen verweigert sich dem Stilldiktat, weil sie auch als Mütter noch autonom bleiben und von Anfang an gleichberechtigt mit den Vätern alle Aufgaben teilen wollen. Das Argument »Was sollen wir machen, Männer können eben nicht stillen, die Mutter muss die erste Zeit ans Kind gekettet sein«, hat dann keine Grundlage mehr. So behalten diese Frauen ihre Brust ohne schlechtes Gewissen für sich – und wer weiß, vielleicht gibt es ja bald T-Shirts mit der Aufschrift: »Mein Busen gehört mir!«

Elisabeth Badinter: Der Konflikt: Die Frau und die Mutter. Beck, München 2010, 222 Seiten, 17,95 Euro