Die Debatte um eine neue Rechtspartei

Tea Time mit den Konservativen

»Getrennt marschieren« oder »den rechten Flügel stark machen«? Die Debatte um eine neue Rechtspartei zielt vor allem auf die konservative Erneuerung der CDU.

Heiner Geißler (CDU) hat hat am Wochenende in der Süddeutschen Zeitung eine Abrechnung mit dem rechten Flügel seiner Partei veröffentlicht. Unter dem Titel »Gedankenfaule und Frustrierte« geht er scharf mit jenen ins Gericht, die der Union eine Abkehr vom Konservatismus vorwerfen. Der ehemalige CDU-Generalsekretär verteidigt das Selbstverständnis der Union als sozialkonservative Volkspartei, die jenseits der Klientelpolitik fähig sei, »den Globalisierungsprozess zu humanisieren und Ordnung in die internationale Finanzstruktur zu bringen«.
Dabei unterläuft Geißler ein interessanter Fehler: Er schreibt ein Zitat des preußischen Generalstabschefs Helmuth von Moltke dessen Nachfolger Alfred von Schlieffen zu. Dieser habe mit der Devise »Getrennt marschieren, vereint schlagen!« die Taktik vorgegeben, mit der seit jeher über den Aufbau einer neuen Rechtspartei als Mehrheitsbeschafferin für die CDU diskutiert werde. Schlieffen, dem tatsächlich der Ausspruch »Macht mir den rechten Flügel stark!« zugeschrieben wird, steht aber eher für das Gegenkonzept: eine Aufwertung des konservativen Profils der Partei, um die Spaltung in getrennte »Marschkolonnen« zu verhindern. Mit diesen beiden Konzepten ist die derzeitige Debatte über die Zukunft der Konservativen in der deutschen Politik treffend umrissen.

Es steht zu befürchten: Das Potential für eine Partei rechts der CDU ist vorhanden, Schätzungen räumen ihr meist etwa 15 Prozent der Wählerstimmen ein. Nach dem Rückzug Erika Steinbachs aus dem Bundesvorstand der CDU wird eine neue Rechtspartei beinahe herbeigeschrieben. Steinbachs Geschichtsdeutung, Polen sei durch seine Mobilmachung 1939 ein Aggressor gewesen, entspricht der NS-Propaganda zum deutschen Überfall auf das Nachbarland. Trotz großer Kritik an ihrer Äußerung legte Steinbach noch nach. In einer Fernsehsendung attestierte sie dem polnischen Deutschlandbeauftragten Wladyslaw Bartoszewski, einem ehemaligen Widerstandskämpfer und Auschwitz-Überlebenden, »ohne Wenn und Aber« einen »schlechten Charakter«, was sie mittlerweile aber zurückgenommen hat.
Nun wird spekuliert, dass Steinbachs Zukunft außerhalb der Union liege. Allerdings ist der tatsächliche Einfluss des Bundes der Vertriebenen (BdV) heutzutage sehr viel geringer als in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik. Angesichts der Überalterung und sinkender Mitgliederzahlen des BdV dürfte sich für die Vertreter der Exportwirtschaft in der CDU die Frage stellen, ob man sich den Luxus einer organisierten Dauerbrüskierung der östlichen Nachbarn noch leisten will. Damit könnte die CDU ihre traditionelle Rolle als Anwältin der Vertriebenen aufgeben.
In den vergangenen Monaten verabschiedete sich die CDU außerdem recht unsentimental von der Wehrpflicht, einem weiteren Pfeiler klassisch konservativen Denkens – seit den preußischen Heeresreformen galt die Dienstpflicht als »Schule der Nation«. Als schließlich noch der Medientrubel um Thilo Sarrazin entstand, mehrten sich die Stimmen, der CDU käme ein ganzer Flügel abhanden. Die Warnungen reichen von der Welt (»Aufstand der Konservativen«) über die SZ (»Familie, Gott und Machterhalt«) bis zur Jungen Freiheit (»Die konservative Renaissance«). Deren Chefredakteur Dieter Stein träumt gar von einer »Sarrazin-Partei« unter der Führung von Friedrich Merz und Joachim Gauck.

Dabei wird jedoch die Frage nicht beantwortet, welche gemeinsamen Ansichten die in diesem Kontext stets genannten Personen wie etwa Martin Hohmann, Thilo Sarrazin, Eva Herman und Erika Steinbach verbindet. Ressentiments und ein eingebildeter Opferstatus alleine sind langfristig nicht ausreichend. Sarrazins autochthonen Anhängern wird vielleicht irgendwann auffallen, dass sie selbst dem Sozialdarwinismus zum Opfer fallen könnten, den sie derzeit noch bejubeln. Friedrich Merz und Roland Koch besitzen das Image der durchgreifenden Macher, sind mit ihren sozialpolitischen Vorstellungen aber nicht dazu geeignet, die Volksseele zu umsorgen. Sie propagieren vielleicht einen starken, aber keinen behütenden Staat. Angriffe auf die »Alimentierung« von Migranten gehen bei ihnen mit Attacken auf alle Empfänger von staatlichen Hilfsgeldern einher.
Trotz dieser Widrigkeiten ist ein erster Sammlungsversuch bereits gewagt: Anfang September gaben René Stadtkewitz, ein Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, Marc Doll, ein ehemaliger Referent der Berliner CDU für innere Sicherheit, und Aaron Koenig, bis vor kurzem Bundesvorstandsmitglied der Piratenpartei, die Gründung ihrer neuen Partei »Die Freiheit« bekannt. Doch schon im Gründungsdokument fällt der Widerspruch zwischen der Forderung nach Staatsferne und dem Ruf nach »Sicherheit und Ordnung« auf. Für Sozialpolitik mit dem Streifenwagen jedenfalls braucht es keine neue Partei, das kann auch die CDU. Rhetorisches Kuscheln mit der »Volksgemeinschaft« für die – deutschen – Verlierer der Modernisierungsprozesse haben vor allem Nazis im Angebot. Deren notorische Unzurechnungsfähigkeit läuft jedoch allen Sammlungsversuchen zuwider. Derzeit sind beispielsweise DVU und NPD ihrer Fusion wieder etwas näher gekommen, wie es aber weitergehen wird, ist unvorhersehbar. Wenn sich aber schon zwei Parteien kaum einigen können, bei denen die inhaltlichen Differenzen höchstens in der Frage bestehen, ob man sich das Hakenkreuz auf den rechten oder linken Arm tätowieren lässt, wird es schwierig mit der Gründung einer größeren rechten Protestpartei.
Bleibt also die andere Variante: den rechten Flügel in der CDU zu stärken. Als Vorbild für dieses Vorgehen wird die amerikanische Tea-Party-Bewegung genannt, die die Republikanische Partei zu einer konservativeren Politik zwingen will. Im Januar forderten in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vier sich als konservativ verstehende CDU-Landespolitiker von ihrer Bundespartei, »mehr Profil« zu zeigen. Sie kritisierten scharf, dass Angela Merkel mit ihrer Distanz zu Erika Steinbach und zum Papst traditionelle Wählermilieus der Union vor den Kopf stoße.

Zudem gibt es auf dem rechten Parteiflügel Personen, die die Union sicher nicht verlassen werden: Kochs Nachfolger Volker Bouffier etwa, oder Stefan Mappus, den CDU-Landesvorsitzenden und Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. Diesem wird eine nicht nur physiologische Ähnlichkeit mit Franz Josef Strauß nachgesagt. Gerade hat sich Mappus Verstärkung aus Hessen geholt: Dirk Metz, der schon erfolgreich für Roland Koch gearbeitet hat, ist Medienberater der Regierung in Stuttgart geworden. Dass die Kanzlerin das umstrittene Bauprojekt Stuttgart 21 zur Chefsache erklärt hat, zeigt, wie wichtig Mappus für die Union auf Bundesebene werden könnte. Außerdem steht der Partei in Baden-Württemberg das Studienzentrum Weikersheim zur Verfügung, das ebenfalls an einer radikal konservativen Restauration der CDU arbeitet.
Dass führende CDU-Politiker längjährig aufgebaute Apparate aufgeben, um sich einer kleinen Abspaltungsbewegung anzuschließen, aus der dann nach mühevoller Aufbauarbeit eine Partei hervorgehen soll, ist unwahrscheinlich. Derzeit dient die Debatte vor allem dazu, innerhalb der CDU Druck auszuüben. Um im Jargon des preußischen Generalstabs zu bleiben: Es handelt sich um taktische Manöver.