Über den Währungskrieg

Kein Sieg im Währungskrieg

Viele Regierungen wollen derzeit ihre Währung abwerten, um die Exporte zu fördern. Leidtragende werden die Beschäftigten sein. Der US-Dollar könnte seine Funktion als globale Reservewährung verlieren.

Wenn sich im November die Repräsentanten der G20-Staaten in Südkorea treffen werden, dann geht es thematisch zurück zu den Anfangszeiten dieses Gremiums. Denn auch 1975 und 1976 sollte auf den ersten Weltwirtschaftsgipfeln die internationale Währungspolitik koordiniert werden. Nachdem das Bretton-Woods-System der an den Dollar gekoppelten Wechselkurse endgültig zerfallen war, verständigten sich die Regierungschefs der USA, Großbritanniens, Frankreichs, der Bundesrepublik, Italiens, Japans und seit 1976 auch Kanadas damals auf ein weitgehend dereguliertes System freier Wechselkurse, das dem US-Dollar aber eine privilegierte Rolle als Reservewährung einräumte.
Doch auch dieses System scheint nun gescheitert zu sein. In seiner Rede auf dem EU-Asien-Gipfel Anfang Oktober in Brüssel rückte zunächst Nicolas Sarkozy, der im nächsten Jahr sowohl den Vorsitz der G20- als auch den der G8-Gruppe innehaben wird, dieses Problem ins Zentrum der Debatte über die anhaltenden Krisenerscheinungen. Die Ungleichgewichte zwischen den bedeutenden Währungen der Welt seien »ein Risiko für alle unsere Volkswirtschaften«, warnte der französische Präsident und forderte von den kommenden Gipfeln die »Definition einer neuen Währungsordnung«.
Fast zur selben Zeit warnte der brasilianische Finanzminister Guido Mantega vor einem »nicht erklärten Währungskrieg«, für dessen Folgen alle Länder »einen hohen Preis« zu zahlen hätten. Zustimmung erhielt er vom Direktor des Interna­tionalen Währungsfonds (IWF). »Überall in der Welt sehen wir die Möglichkeit eines beginnenden Währungskrieges«, sagte Dominique Strauss-Kahn.
Es mag übertrieben erscheinen, von einem Währungskrieg zu sprechen, doch wird mittlerweile öffentlich über die Geldpolitik gestritten. So kam es Anfang Oktober auf dem Jahrestreffen von IWF und Weltbank in Washington und der gleichzeitigen Sondertagung der G7-Staaten zum Eklat. US-Finanzminister Timothy Geithner kritisierte in ungewohnt scharfem Ton die chinesische Politik. Er warf China vor, den Kurs des Renminbi künstlich niedrig zu halten, um zu Dumpingpreisen exportieren zu können. So werde ein weltweiter Aufschwung verhindert.

Es geht aber beileibe nicht nur um die Wirtschaftspolitik der Volksrepublik China, die besonders häufig kritisiert wird, weil der Renminbi nicht frei konvertierbar ist (Jungle World 27/10). So griff Geithner ebenso die EU-Staaten und insbesondere die deutsche Exportorientierung an. Die EU habe mit ihrer rigiden Haushaltspolitik Zweifel geweckt, ob sie »den Willen und die Fähigkeit hat, ihren Mitgliedern durch einen sehr langen und sehr schweren Reformprozess zu helfen«, sagte der US-Finanzminister.
Dass die ökonomisch starken EU-Staaten wie Deutschland ebenso wie die chinesische Exportindustrie über eine strukturell unterbewertete Währung verfügen, musste Geithner schon gar nicht mehr erwähnen, war dies doch in den vergangenen Monaten sowieso ein ständig diskutiertes Thema. Aber auch andere Länder wollen ihre Währung abwerten. Vor zwei Wochen hat die japanische Regierung eine Nullzinspolitik angekündigt (siehe Seite 15), die allerdings nur für wenige Stunden den Kurs des Yen im Verhältnis zum US-Dollar absenken konnte.
Sogenannte Schwellenländer hingegen versuchen, den Zufluss von Kapital zu beschränken. Die südkoreanische Regierung etwa erwägt, den Handel mit Terminkontrakten auf den Won zu beschränken, während Brasilien ankündigte, die Steuer auf Käufe heimischer Rentenpapiere durch Ausländer zu verdoppeln. Indien und Thailand wollen hingegen den ausländischen Kapitalzufluss kontrollieren, der für die Aufwertung ihrer Währungen mitverantwortlich ist.

Aber auch die USA mischen in diesem Kampf um die Abwertung der eigenen Währung eifrig mit. Die lockere Geld- und Finanzpolitik der zuständigen US-Behörden, vor allem der Zentralbank Federal Reserve (Fed), hat dazu geführt, dass der US-Dollar auf einem historischen Tiefstand gegenüber dem Goldkurs von 1 349,80 Dollar je Feinunze (31,1 Gramm) angelangt ist. Selbst der sonst als Befürworter einer expansiven Geldpolitik bekannte Nobelpreisträger Joseph Stiglitz warf der Fed jüngst vor, die Welt mit ihrer Finanzpolitik ins Chaos zu stürzen. So konnte der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert die Vorwürfe Geithners kontern. Die Amerikaner seien selbst »Teil des Währungsproblems«, da auch ihre Währung nicht dem »ganz reellen Wert« entspräche.
Von einem »Abwertungswettlauf der Nationen« spricht der Ökonom Eberhard Weinberger, und eine Lösung ist derzeit nicht in Sicht. Als die ersten G6- und G7-Gipfeltreffen stattfanden, wollten die westlichen Regierungen gemeinsam die Ansprüche der Entwicklungsländer abwehren und nach den Krisenerscheinungen der frühen sieb­ziger Jahre einen neuen Akkumulationszyklus fördern. In dem nunmehr vergrößerten Gremium macht die Konkurrenz der bedeutendsten Nationalökonomien eine Lösung unmöglich.
Zwar haben offiziell alle Verantwortlichen einer Lösung der Konflikte durch den IWF und dessen zuständiges Gremium, den Finanz- und Währungsausschuss (IMFC), zugestimmt. Auf konkrete Empfehlungen oder gar Beschlüsse konnten sich die Regierungen aber nicht einigen. Zu sehr entsprachen die Vorgaben den jeweiligen nationalen Interessen, als dass sie miteinander vereinbar gewesen wären.
Die chinesische Regierung beharrte darauf, dass es Entwicklungsländern, zu denen sich die Volksrepublik nach wie vor zählt, gestattet sein müsse, ihre Währungen staatlich zu regulieren. Axel Weber, der Präsident der Bundesbank, forderte von den USA mehr Haushaltsdisziplin, während Geithner den IWF aufforderte, »seine Überwachung der Wechselkurspolitik und des Aufbaus von Devisenreserven zu stärken«. Beides würde vor allem China in Bedrängnis bringen, das etwa 30 Prozent der weltweiten Devisenreserven in Dollar hält.
Ob angesichts dessen »der IWF der Ort ist, um Dinge wie Wechselkurse zu behandeln«, wie der Vorsitzende des IMFC, der ägyptische Finanzminister Youssef Boutros-Ghali, verkündete, darf bezweifelt werden. Was unter der von Strauss-Kahn ins Spiel gebrachten »Stabilitätsinitiative« zu verstehen sein soll, bleibt jedenfalls nebulös. Eine Rückkehr zum Bretton-Woods-System ist derzeit jedenfalls ebenso unwahrscheinlich wie die Aufrechterhaltung eines durch keinerlei Schutzmaßnahmen beeinflussten Weltwährungsmarktes.
Weiterhin dürften die Regierungen als protektionistische Maßnahme zum Schutz der jeweils eigenen Nationalökonomie und zur Exportsteigerung ihre Währungen abwerten. Vom kommenden G20-Gipfel sind jedenfalls keine ernsthaften Maßnahmen zur Lösung der Konflikte zu erwarten. Für die Beschäftigten in den jeweiligen Ländern wird das katastrophale Auswirkungen haben. Bei konstanten oder nur leicht steigenden Nominallöhnen müssen sie Einkommensverluste hinnehmen. Überdies werden die Sozialausgaben weiter gekürzt, um die Haushaltsdefizite zu verringern.
Es könnte aber noch einen zweiten großen Verlierer geben: den US-Dollar als weltweite Reservewährung. In einem bemerkenswerten Artikel hat Elmar Altvater auf diese »Dollardämmerung« unlängst in der Schweizer Wochenzeitung Woz hingewiesen. Denn die Abwertung des Dollars verbilligt nicht nur die Exporte aus den USA, sondern schmälert auch den Wert der Währungsreserven anderer Staaten. Dollar zu besitzen, ist insbesondere für die Schwellenländer, die eine Abwertung nicht mit Exportsteigerungen kompensieren können, immer weniger attraktiv.
Der Ökonom Robert Triffin hatte bereits 1959 auf den Widerspruch zwischen nationaler und globaler Geldpolitik hingewiesen. Eine Reservewährung muss in großer Menge verfügbar sein. Dies ist nur möglich, wenn der Staat, der sie emittiert, Geld »exportiert«, also ein hohes Handels­defizit in Kauf nimmt. Eine Regierung kann es jedoch als notwendig erachten, dieses Defizit zu reduzieren. Ein Mittel ist die Abwertung, die derzeit nicht direkt vorgenommen werden kann, da der Wechselkurs nicht vom Staat festgelegt wird. Die Erhöhung der Geldmenge hat jedoch die gleiche Wirkung.
Bislang haben sich die USA – auch mit militärischen Mitteln – zwar allen Versuchen widersetzen können, den Dollar vor allem im Ölgeschäft zu ersetzen, aber ihre internationale Führungsrolle in der Finanzpolitik ist derzeit so gefährdet wie niemals zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg. Zudem sind viele Regierungen über die politisch intendierte Abwertung des Dollar verärgert. Auf der IWF-Tagung haben die Repräsentanten der Schwellenländer daher auch weniger die Chinesen kritisiert als vielmehr die US-Regierung. Die Türkei hat nun angekündigt, den Handel mit China, wie zuvor schon den mit Russland und dem Iran, nicht mehr in US-Dollar, sondern den jeweiligen nationalen Währungen abzuwickeln.
Es sei nicht absehbar, »welche einigermaßen stabile Konstellation aus dem chao­tischen Nebel der aktuellen Währungskonflikte emporsteigen« werde, schreibt Altvater. Angesichts des immer härteren internationalen Konkurrenzkampfs erscheint es mittlerweile jedoch fraglich, ob die Stabilität überhaupt wiederhergestellt werden kann.