Über den Goldstandard

Blasen aus Gold

Mit seiner Forderung nach einer Gold­bindung des internationalen Währungssystems hat der Präsident der Weltbank für Aufsehen gesorgt. Sein Vorschlag ist ein Akt der Verzweiflung.

Man muss wahrscheinlich doch noch einmal zu Marx zurückkehren, und zwar zu einem seiner Gedanken, der von der zeitgenössischen Linken eher wenig geschätzt wird. Im »Kapital« findet sich der Hinweis auf eine »Schranke der kapitalistischen Produktionsweise«: »Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten.« Den Grund hierfür sah Marx in der Überakkumulation von Kapital. Dass diese nicht nur einen rein zyklischen Charakter habe, sondern sich mit jeder Krise beständig verschärfen würde, lag ihm zufolge daran, dass die Profitrate in jedem Akkumulationszyklus tendenziell gegenüber der vorherigen fallen müsse und sich die Krisen demzufolge immer dramatischer zuspitzen würden.
Robert Zoellick, der Präsident der Weltbank, dürfte nicht an Marx gedacht haben, als er vor dem G20-Gipfel im südkoreanischen Seoul für das beschädigte internationale Währungssystem die Rückkehr zum Goldstandard vorschlug. Die derzeitigen Probleme der »Realisierung des Mehrwerts« (Marx) sind offensichtlich. Vor allem in der Krise – aber im Prinzip gilt diese Entwicklung auch schon für die vergangenen Jahrzehnte – wurde die Akkumulation durch die Staatsverschuldung aufrechterhalten. Private und öffentliche Schulden werden im Anschluss mit neuer Verschuldung bezahlt, um den Absatz ansonsten kaum absetzbarer Waren zu gewährleisten oder, wie bei den Banken- und Betriebsrettungen, Pleiten zu verhindern. Es gibt gegenwärtig keinen relevanten Wirtschaftsstandort, der nicht verschuldet ist. In Deutschland, das mit etwas mehr als 73 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsproduktes (BIP) über eine relativ geringe Staatsschuld verfügt, hat sich seit Mitte der siebziger Jahre die Staatsverschuldung fast verzehnfacht. Und in den USA überstieg diese im Sommer erstmalig die unfassbare Summe von 13 Billionen US-Dollar. Die keynesianische Idee eines Deficit Spending in der Krise hat sich zu einer lediglich quantitativ konjunkturabhängigen Spendabilität des Staats entwickelt. Die Ankündigung der US-Notenbank Fed, nochmals mehr als 600 Milliarden Dollar in den Markt pumpen zu wollen, hat offensichtlich nun den Präsidenten der Weltbank auf den Plan gerufen.

Zoellick machte dem »Club der matten Mächtigen«, wie der Spiegel den G20-Gipfel nannte, in einem Artikel in der Financial Times den Vorschlag, dass Gold verwendet werden solle, um es als »internationalen Bezugspunkt für Markterwartungen zu Inflation, Deflation und künftigem Währungswert zu nutzen«. Das bedeutet eine Rückkehr zum Goldstandard, um die Währungen langfristig zu stabilisieren. Nach Zoellicks Vorstellung sollte dies zwar nur ein ausgewähltes »kooperatives Währungssystem« aus US-Dollar, Yen, Euro und chinesischem Renminbi umfassen, aber angesichts der überragenden Bedeutung dieser Währungen und der Bindung vieler Währungen an den US-Dollar würde das einem neuen Bretton-Woods-System gleichkommen. 1944 wurde in Bretton Woods die Goldbindung des US-Dollar, die im Zweiten Weltkrieg zuvor aufgegeben worden war, wieder eingeführt und die Dollarbindung der anderen westlichen Währungen für das internationale Nachkriegssystem vereinbart.
Erst die beginnende Verschuldung der USA im Zuge des Vietnam-Kriegs ließ den damaligen amerikanischen Präsidenten Richard Nixon davon abweichen. 1971 kündigten die USA einseitig die Goldbindung auf, seit Mitte der siebziger Jahre führte das zu einer Flexibilisierung der Währungskurse, die als Bretton Woods II bezeichnet wird. Robert Zoellick möchte seinen Vorschlag nun explizit als »Bretton Woods III« verstanden wissen – als währungspolitische Negation der Negation.
Damit befindet sich der Präsident der Weltbank durchaus auf der Höhe der Zeit. Im Jahr 2008 überschritt der Goldpreis erstmals die Marke von 1 000 US-Dollar, seitdem befindet er sich weiterhin im Höhenrausch. Derzeit liegt er bei etwa 1 365 US-Dollar je Feinunze. In Bretton Woods war damals ein Gegenwert von 35 Dollar je Feinunze vereinbart worden. Offensichtlich sinkt das Vertrauen in die Währungen rapide. Buchtitel wie »Freiheit durch Gold. Sklavenaufstand im Reich der Papierkönige« von Hans Bocker sind derzeit Bestseller. Und auch Messen für Edelmetalle erfreuen sich zunehmend großer Beliebtheit, so konnte im vergangenen Jahr die Messe in München einen Besucherrekord verzeichnen.
Das Credo der vom Gold Überzeugten ist einfach: Die permanente Ausgabe neuen Geldes beziehungsweise von Vermögenstiteln seitens der Staaten müsse langfristig in einer Inflation münden, weil ihr Wert das Wirtschaftswachstum bei weitem übersteige. Der Goldpreis müsse in dieser Situation unweigerlich steigen, »erst Richtung Mond, dann Richtung Mars«, wie Bocker seinen Lesern erklärt. Die derzeitige Entwicklung scheint ihm Recht zu geben. Auch Zoellick sieht diesen inflationären Trend: »Obwohl die Lehrbücher Gold vielleicht nur noch als das alte Geld sehen, nutzen die Märkte Gold heute wieder als eine alternative Geldanlage.«

Zoellick ist allerdings naturgemäß weniger an Anlagetipps als an der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Weltwirtschaft interessiert. Der internationale »Währungskrieg« (Jungle World 42/2010) dürfte ihn dazu inspiriert haben, Gold als »internationalen Referenzwert« zu etablieren. Vor allem der Streit zwischen den USA und China um die handelspolitisch intendierte, künstlich aufrechterhaltene Unterbewertung des Renminbi würde durch ein »kooperatives Währungssystem« sofort gegenstandslos werden. Die Regierungen müssten über die Festlegung des Währungsverhältnisses politisch einen Kompromiss finden.
Einen wichtigen Bündnispartner hätte der Präsident der Weltbank immerhin schon auf seiner Seite. Bereits 2009 hatte der Präsident der chinesischen Zentralbank, Zhou Xiaochuan, eine Ablösung vom US-Dollar als internationaler Leitwährung aus den gleichen Gründen wie Zoellick gefordert. Allerdings wollte Zhou kein Revival der Goldbindung, sondern die Nutzung der Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds (IWF), einer künstlichen Verrechnungswährung, deren Stabilität ähnlich wie die des geologisch begrenzten Goldes nicht politisch durch Regierungen in Frage gestellt werden kann.
Langfristig geht es den Verfechtern des Goldstandards aber vor allem darum, die Inflation und wirtschaftliche Blasenbildung zu bekämpfen, wovon sie sich eine neue Dynamik der Akkumulation versprechen. Tatsächlich wurde die Überakkumulation von Kapital, also die Existenz von strukturellen Überkapazitäten im verarbeitenden Gewerbe, durch den leichten Zugang zu Krediten nicht nur nicht abgebaut, sondern in Spekulationsblasen überführt, deren Ausmaß in der Geschichte »ohnegleichen« ist, wie der US-Ökonom Robert Brenner feststellt. Auch die noch anhaltende Weltwirtschaftskrise hat daran nichts geändert.

Ein Problem an Zoellicks Überlegungen ist jedoch, dass eine der nächsten Spekulationsblasen ausgerechnet auf dem Goldmarkt platzen könnte. Das prognostiziert zumindest Jim Rogers, der einst mit George Soros einen der ersten Hedge-Fonds gründete und nun einer der größten Investoren auf dem Edelmetallmarkt ist. »Am Ende wird es eine wilde Spekulationsblase mit Gold geben«, so Rogers, »ich hoffe, dass ich dann so schlau sein werde, es zu verkaufen.«
Aber nicht nur aus diesem Grund dürfte die Zukunft eines auf dem Goldstandard aufgebauten internationalen Währungssystems kaum rosig aussehen. Sollten die Staaten durch eine expansive Geldpolitik den Absatz nicht mehr stimulieren können, wären Kapitalvernichtungen in großem Ausmaß die unweigerliche Folge. Angesichts der seit den siebziger Jahren zu beobachtenden neuen Phänomene von struktureller Überakkumulation und Arbeitslosigkeit, die sich von Krisen- zu Dauerphänomenen entwickelt haben, würde das eine Krise in Permanenz produzieren.
Da scheint den »matten Mächtigen« die Verschuldung ihrer Staaten doch attraktiver zu sein. Zumindest wollte sich auf dem G20-Gipfel keiner der Staats- und Regierungschefs hinter Zoellicks Konzept stellen. Angesichts der Alternative zwischen einer dynamischen Boom & Bubble-Entwicklung, die teilweise auf Staatskosten erfolgt, oder der Stagnation in einer permanenten Krise war das vielleicht keine schlechte Idee. Zumindest scheint bei den Vertretern der G20-Staaten das Vertrauen in eine dauerhafte Dynamik des Kapitalismus geschwunden zu sein. Da sind sie nun ganz bei Marx.