Die USA und China zwischen Kooperation und Konkurrenz

China wird zum Global Player

China wurde durch die Wirtschaftskrise gestärkt. In den USA betrachtet man die wirtschaftlichen Entwicklungen in der Volksrepublik nicht nur mit Sorge, schwankt aber zwischen Kooperation und Konkurrenz.

Der rasante Aufstieg Chinas zur neuen Wirtschaftsmacht und dessen Verhältnis zu den USA beschäftigt die Weltöffentlichkeit immer mehr.
Die beiden Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson und Moritz Schularick führten den Begriff »Chimerica« ein, um dieses Verhältnis zu beschreiben. Im vergangenen Jahrzehnt führte China immer mehr Güter in die USA aus. Die Erlöse aus diesem Austausch – der Überschuss aus dem chinesischen Export in die USA lag 2009 bei 226,8 Mil­liarden Dollar – wurden zum Großteil in Devisenreserven angelegt, und es wird vermutet, dass 60 bis 70 Prozent davon US-amerikanische Staatsanleihen oder andere in US-Dollar denominierte Titel sind. Dies hielt wegen der großen Nachfrage die Zinsen der Notenbank Fed für Staatsanleihen niedrig und ermöglichte damit die Verschuldung des Staats und der privaten Haushalte, die darin die einzige Möglichkeit sahen, ihren Lebensstandard angesichts sinkender Reallöhne zu halten. Dieser Konsum wiederum führte zu einer Steigerung des Imports, der zu immer größeren Teilen aus China kam und die Wachstumsraten dort das gesamte vergangene Jahrzehnt hindurch bei über acht Prozent hielt. Mit dem Auftürmen von immer größeren Devisenreserven betreibt China übrigens dieselbe Politik wie die meisten südostasiatischen Staaten, die das als Lehre aus der Asien-Krise der Jahre 1997/ 98 ansehen. Damals verloren Währungen 15 bis 20 Prozent ihres Werts, weil kurzfristig angelegtes Kapital fluchtartig aus dem Land abgezogen wurde.

Als Reaktion auf das Platzen der Kreditblase Ende der neunziger Jahre betrieben die Staaten im ostasiatischen Raum und vor allem China eine Politik, die das schuldenbasierte Wachstumsmodell der Weltwirtschaft im vergangenen Jahrzehnt ermöglichte. Ferguson bringt es auf den Punkt: Die Chinesen haben gespart und verliehen, die US-Amerikaner haben geliehen und ausgegeben. Mehr als drei Jahre nach dem Platzen der US-Immobilienblase sind die USA in der längsten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg gefangen. Die Wirtschaft läuft nur stockend, die Auswirkungen der Hypothekenkrise sind noch nicht überstanden, die Rolle des Dollars als Weltreservewährung ist bedroht, die Arbeitslosigkeit ist fast doppelt so hoch wie im langjährigen Mittel, das Leistungsbilanzdefizit liegt bei 3,4 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). China ist dagegen aus der Wirtschaftskrise gestärkt hervorgegangen, mit Exportüberschüssen in den Handelsbeziehungen mit fast jedem Staat dieses Planeten, vor allem mit den USA. Damit verbunden sind auch geopolitische Interessen.

Heißt das, dass sich China »abgekoppelt« hat, wie mancherorts vermutet wird? Wohl kaum. Würde China sich vom Dollar verabschieden, würde dessen Wert fallen und damit der Wert des Renminbi, der chinesischen Währung, steigen. Der Wettbewerbsvorteil Chinas würde sich dadurch vermindern. Dazu würden auch die noch gehaltenen Dollar-Bestände ihren Wert verlieren. Trotzdem forderte der chinesische Zentralbankpräsident Zhou Xiaochuan eine vom Internationalen Währungsfonds (IWF) ausgegebene Währungseinheit, deren Einführung aber erst mittel- bis langfristig und nach vorsichtigen Verschiebungen des Devisenbestandes im Interesse Chinas liegen dürfte.
Die Tendenz zum weiteren Wertverlust des Dollar dürfte bis dahin bestehen bleiben. Der Schuldenstand der USA betrug Mitte 2009 400 Prozent des BIP. Das Defizit belief sich 2009 auf fast 13 Prozent, für 2010 werden elf Prozent erwartet. Mit diesen Defiziten wurde hauptsächlich die Solvenz von Banken und Versicherungen gesichert, während kaum profitträchtige Investitionen ge­tätigt wurden. Dies war dagegen das Ziel des 568 Milliarden Dollar schweren Konjunkturförderprogramms, das China im Jahr 2009 auflegte.
Auch das Wachstum der chinesischen Rüstungsausgaben besorgt das US-Militär. Dieses Jahr sollen sie offiziell bei 57 Milliarden Dollar liegen, inoffiziell werden sie auf 120 Milliarden Dollar geschätzt. Das macht freilich nur ein Achtel bis zu einem Zehntel der US-Ausgaben aus.

Das US-Militär gehört zu den Befürwortern einer harten Linie gegen China. Insbesondere das sogenannte Blue Team, eine Reihe von Politikern und Publizisten, die China als Risiko für die globale Sicherheit ansehen, vertritt diese Meinung. Vor allem seit dem Aufbau einer chinesischen Überseeflotte, die in den Gewässern Somalias aufgetreten ist, sehen sich die USA in der eigenen Bewegungsfreiheit gestört. Das Blue Team konnte allerdings weder in der Bush- noch in der Obama-Regierung einflussreiche Posten besetzen.
Der Aufstieg Chinas wird in den USA aber nicht nur mit Sorge betrachtet. Man sieht China zunehmend als Partner und beschwört den Umstand, dass nur in Zusammenarbeit der »G2«, der USA und China, die globalen Probleme, die Führungseliten beider Länder als Gefahr ansehen, gelöst werden könnten. Darunter fällt die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus, der beispielsweise in der Provinz Xinjiang den chinesischen Staatsorganen Sorgen bereitet und auch zu Obamas Prioritäten gehört.
Man verhält sich also nach den Maßgaben des Shanghai-Kommuniqués, eines Dokuments, das Richard Nixon und Mao Zedong im Jahr 1972 unterschrieben, damals gegen den gemeinsamen Feind, die Sowjetunion. Die sino-amerikanischen Beziehungen sind bislang größtenteils im Rahmen dieses Abkommens geblieben. Die rasante Entwicklung Chinas zum ernsthaften globalen Rivalen war damals nicht vorherzusehen und setzt für die USA jetzt neue Maßstäbe. Zwischen beiden Ländern bestehen handfeste Interessenkonflikte, die zu ernsthaften Auseinandersetzungen führen könnten. Diese betreffen die regionale Nachbarschaft Chinas, welche auch für die USA einen Interessensbereich von vitaler Bedeutung darstellt.

China ist zwar allmählich zum wichtigsten Handelspartner aller Länder der Region geworden. Aus Sorge vor chinesischen Hegemonieansprüchen sehen diese Länder, vor allem Japan und Südkorea sowie ehemalige Kriegsgegner wie Vietnam, die USA weiterhin als machtpolitisches Gegengewicht an. China schürte bereits Ängste mit der Herausgabe von Seekarten, die das ganze chinesische Meer als chinesisches Staatsgebiet ausweisen, das direkt vor die Küsten von fünf Anrainerstaaten reicht, obwohl dabei die interna­tional anerkannte 200-Meilen-Distanz zur Küste um ein Vielfaches überschritten wurde. Die USA sind nach Ansicht des Weltsystemtheoretikers Giovanni Arrighi in die Endphase eines »impe­rialen Zyklus« eingetreten. Die größere Bedeutung von Finanzaktivitäten und das Erscheinen eines neuen produktiven Zentrums sieht Arrighi als die hervorstechenden Merkmale dieser Phase. Die nächsten zwei bis drei Jahrzehnte werden entscheidend sein im Hinblick auf künftige Konflikte, vor allem wenn, wie zu erwarten ist, ein neuer Krisenzyklus ausbricht, der die materielle Basis der USA weiter schwächt, während diejenige Chinas stärker wird.