Wie geht es weiter nach der Kampagne »Castor schottern«?

Endlagern? Auslagern!

Das Gleisbett auf der Strecke nach Gorleben wurde zwar nicht vollständig »geschottert«. Atomkraftgegner bewerten den diesjährigen Widerstand gegen den Castor-Transport dennoch als gelungen. Die Pläne, deutschen Atommüll in Russland zu lagern, sorgen bereits für neuen Protest.

Als die schwarz-gelbe Bundesregierung im September die Laufzeiten für Atomkraftwerke verlängerte, war klar, dass sich das nicht deeskalierend auf den Protest gegen den Castor-Transport nach Gorleben auswirken würde. Dass die Anti-Atom-Bewegung die Politik der Regierung als Kampfansage betrachtet, haben die Ereignisse nun gezeigt. 50 000 Menschen haben sich an den Protesten beteiligt, neben bürgerlichen Organisationen konnten sich auch linksradikale Gruppen wie die Kampagne »Castor schottern« öffentlich bemerkbar machen.

Der Versuch von »Castor schottern«, die Möglichkeiten des legalen Widerstandes zu erweitern, war erfolgreich, die Aktionsformen wurden radikalisiert. Obwohl die Behörden die Kampagne schon vor dem Castor-Transport kriminalisiert hatten, beteiligten sich Tausende an dem Vorhaben. Die Beteiligten versuchten, Schottersteine aus dem Gleisbett zu entfernen und so Teile der Schienenstrecke für den Transport des Atommülls aus der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague unbefahrbar zu machen (Jungle World 45/10). Die Polizei reagierte auf dieses Vorgehen ähnlich wie vor kurzem im Stuttgarter Schlossgarten: Mit Wasserwerfern, Pfefferspray und Gummiknüppeln wurden die Atomkraftgegner ausgerechnet von Polizisten aus Baden-Württemberg brutal angegriffen, noch bevor sie die Gleise erreichten. Trotzdem gelangten viele immer wieder an die Schienen und »schotterten«. Dies glückte in einem umfangreicheren Maß, als es in einigen Medien wiedergegeben wurde. Die Berichterstattung, in der die Erfolge der Kampagne nicht erwähnt wurden, ergänzte die staatliche Delegitimierungsstrategie.
Zudem unterschieden einige bürgerliche Medien grundsätzlich zwischen legalem und illegalem Protest, die vermeintliche Gewalttätigkeit von Atomkraftgegnern wurde zur Beurteilung herangezogen (»Zwischen Happening und Krawall«, Süddeutsche Zeitung). Die Sitzblockaden wurden in diesem Jahr akzeptiert. Alle radikaleren Formen wie etwa das »Schottern« des Gleisbetts wurden als gewalttätig eingestuft, von einem »überaus rabiaten, ja brutalen Kampf ums Gleis« schrieb die Welt. Diese Darstellung dürfte es der Polizei erleichtert haben, ihrerseits gewalttätig gegen die Demonstranten vorzugehen, ohne öffentlich allzu sehr dafür kritisiert zu werden.

Tatsächlich ergänzten sich die unterschiedlichen Widerstandsformen sehr gut – ob in den Medien nun als legal oder illegal bezeichnet. Während Polizisten damit beschäftigt waren, das »Schottern« der Gleise zu verhindern, konnten mehrere tausend Menschen eine große Blockade auf den Schienen in Harlingen beginnen, Bauern verstellten der Polizei mit Traktoren zunächst die Zufahrtswege. Als Beamte die Menschen dann von den Schienen schafften, bahnte sich bereits die nächste Großblockade auf der Straße zum Zwischenlager an. Eine Aktion von Greenpeace – die Organisation blockierte mit einem Bierlaster zwölf Stunden lang eine zentrale, zum Endlager führende Kreuzung – verschaffte den Sitzblockierern auf der Straße eine relative ruhige Nacht.
Die Bilder von der Räumung der Blockaden in Harlingen und Lüchow, wo sich die Polizei darauf beschränkte, die Demonstranten wegzutragen, täuschen darüber hinweg, dass die Beamten auch in diesem Jahr überaus gewaltsam vorgingen. Nach Angaben der Organisatoren wurden etwa 1 000 Menschen verletzt, die sich an der Aktion »Castor schottern« beteiligten. Während der Räumung der Schienenblockade in Harlingen kesselte die Polizei zwischen ihren Fahrzeugen etwa 1 000 Demonstranten mehr als sechs Stunden lang ein – bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. Eine richterliche Überprüfung fand nicht statt. Nach Mitteilung des Ermittlungsausschusses Wendland wurde das zuständige Amtsgericht erst vom anwaltlichen Notdienst über das Bestehen des Kessels in Kenntnis gesetzt.
Der Ermittlungsausschuss spricht von »einem der brutalsten Polizeieinsätze anlässlich eines Castor-Transports« und vom »gewalttätigsten Vorgehen der uniformierten Staatsmacht im Wendland in den letzten zehn Jahren«. Trotz der gewaltsamen staatlichen Maßnahmen zeigen sich die Atomkraftgegner keinesfalls eingeschüchtert, die verschiedenen Organisationen bewerten den Protest als überaus gelungen, unter anderem wegen der großen Beteiligung, der überregionalen und internationalen Zusammenarbeit und der Tatsache, dass die Polizei zwar Blockaden räumen, aber nicht den gesellschaftlichen Konflikt um die Atomkraft beseitigen kann.

Diese Auseinandersetzung wird auch in der Frage eines geeigneten Endlagers für Atommüll weiter geführt. Greenpeace mischte sich vor einigen Tagen mit einem Gutachten in die Debatte ein. Die Organisation plädiert dafür, den noch in den Wiederaufarbeitungsanlagen La Hague und Sellafield lagernden deutschen Atommüll in die dezentralen Zwischenlager der Atomkraftwerke Biblis (Hessen), Philippsburg (Baden-Württemberg) und Isar (Bayern) zu bringen. Dadurch würde die Strecke kürzer, sodass die Transporte vollständig auf dem Schienenweg erfolgen könnten, weil alle drei AKW einen Gleisanschluss haben. Als ebenso wichtiges Ziel gab der Greenpeace-Experte Tobias Münchmeyer im Interview mit der Frankfurter Rundschau an: »Wir wollen nicht, dass der geologisch ungeeignete Endlager-Standort Gorleben von Merkel und Co. durchgedrückt wird.«
Die Anregung nahm der niedersächsische Umweltminister Heinrich Sander (FDP) scheinbar auf. Aus seiner Sicht muss, wenn Gorleben tatsächlich ungeeignet sei, eine neue Suche beginnen, »und zwar in allen Bundesländern, in denen es geologisch geeignete Standorte gibt«. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) sagte der Süddeutschen Zeitung: »Wenn Gorleben aus technischen Gründen nicht machbar ist, müssen wir natürlich ganz offen nach einem neuen, geeigneten Standort in Deutschland suchen.« Allerdings versuchen CDU und FDP hartnäckig, Gorleben endgültig als Standort festzulegen.
Ebenso ließ Bouffier jedoch durchblicken, dass er auch eine Endlagerung im Ausland für möglich halte. Ein Ort, den der hessische Ministerpräsident dafür in Erwägung ziehen könnte, ist das russische Atomzentrum Majak im Ural, 1 500 Kilometer östlich von Moskau. Dorthin soll demnächst ein Transport von Atommüll aus dem nordrhein-westfälischen Zwischenlager Ahaus gehen. Er stammt aus der früheren DDR-Atomforschungsanlage Rossendorf. Die 2005 von Dresden-Rossendorf nach Ahaus transportierten Brennelemente sollten ursprünglich bis 2036 in Ahaus gelagert werden. Allerdings ist es dem zuständigen Land Sachsen schlicht zu teuer, die Abfälle so lange zu lagern, daher soll der Müll nach Russland gebracht werden.
Die Gegend um die im Jahr 1948 in Betrieb genommene Atomanlage in Majak ist durch den andauernden Austritt von flüssigem Atommüll bereits schwer verseucht, die Bewohner der Region sind einer extremen Strahlenbelastung ausgesetzt. Russische Umweltschützer ebenso wie deutsche Atomkraftgegner protestieren deshalb gegen das deutsche Vorhaben. Sollte tatsächlich ein Transport auf den Weg nach Russland gebracht werden, ist mit Widerstand zu rechnen.